26. Jahrgang | Nummer 25 | 4. Dezember 2023

Antworten

Heinz (Henry) Alfred Kissinger, unter manchem: Ex-US-Außenminister, Jahrhundertgestalt – Ihr inzwischen bereits verstorbener Freund Theo Sommer (lange Chefredakteur, dann Herausgeber der ZEIT) hatte Ihnen eine Laudatio aus Anlass seines 98. Geburtstages (2021) gewidmet, worinnen es hieß: „Wer Henry Kissinger […], für einen Kriegsverbrecher hält, der sollte die Lektüre hier abbrechen. Der Kissinger, der den Sturz des chilenischen Sozialisten Salvador Allende inszenierte und im Kampf gegen die Vietcong Bomben auf Kambodscha regnen ließ, ist nicht der ganze Kissinger – jener Staatsmann von Bismarckschem Format, Großmeister der Realpolitik, Friedensstifter und, zeitlebens in Sorge, ein Praktiker des Mächtegleichgewichts.” Einen großen Denker und Gestalter von Weltpolitik, so Sommer, habe Sie auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier genannt. Das ist natürlich nicht unzutreffend. Und von annähernd vergleichbarer Ambivalenz war auch schon vor Ihnen so mancher, von dem die Geschichtsbücher noch künden. Martin Luther etwa war ja bekanntlich auch nicht bloß Hassprediger, militanter Antisemit und wüster Hetzer „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren”, sondern ein nicht unmaßgeblicher Kirchenreformator, Erneuerer der deutschen Sprache und leidenschaftlicher Verfechter schulischer Bildung der niederen Stände.

Andererseits – wenn wirklich nicht einmal mehr ein blutiger Militärputsch und ein mörderischer Bombenkrieg mit jeweils Hekatomben von Todesopfern genügen sollten, um aus dem Koordinatensystem dessen, was unter „Verdienste an der Menschheit” gerade noch so als tolerabel gelten mag, exkommuniziert zu werden, wo in drei Teufels Namen soll man die Grenze dann eigentlich ziehen? Selbst der Braunauer hat schließlich, Sie werden sich entsinnen, Millionen Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt, Autobahnen gebaut sowie diese gigantische Urlauberbeherbergungsburg bei Prora auf Rügen …

Nun sind Sie in Frieden verschieden. Da können wir die Frage nach Ihrer nächsten Station allerdings getrost einem Höheren anheimstellen: Hölle, Fegefeuer oder…?

Na ja, das dann vielleicht doch nicht.

Jedenfalls nicht gleich!

 

Janina Sokolowskaja, ukrainische Journalistin und als dezidierte Selenski-Kritikerin vorsichtshalber in Warschau lebend – Es gibt Indizien, dass Kräfte am Werke sind, die den ukrainischen Generalstabschef Waleri Saluschni (siehe ausführlicher Blättchen 24/2023) als möglichen Amtsnachfolger des amtierenden Präsidenten Wolodymyr Selenski in Stellung bringen wollen. Vor diesem Hintergrund bemerkten Sie jüngst in einem Interview: „Jeder, der die ukrainischen Medien verfolgt, konnte bereits drei Informationskampagnen zugunsten von Saluschni beobachten. Jedes Mal wird er als die bessere Wahl dargestellt. In den Kiewer Politikzirkeln heißt es, die USA steckten hinter der Saluschni-PR.“ Die Gründe scheinen für Sie auf der Hand zu liegen: „[…] für die Amerikaner ist es einfacher, mit jemandem zu arbeiten, der gewohnt ist, klare Befehle zu geben und zu empfangen. Mit einem Berufssoldaten, der ein höheres Maß an Verantwortung zeigt als jemand aus dem Showbusiness. Vor allem in Zeiten des Krieges.“ Im Übrigen müsse wegen der bereits eingetretenen ukrainischen Verluste „der Krieg beendet werden, so schnell wie möglich“. Die allgemeine Stimmung in Ihrem Heimatland beschrieben Sie zugleich so: „Inzwischen trauen die Ukrainer eher einem Militär zu, den Krieg zu beenden, als einem Zivilisten.  […] Zum ersten Mal in der ukrainischen Geschichte hat ein Militär die höchsten Beliebtheitswerte.“

Was könnte als nächstes folgen?

Präsident schasst Generalstabschef, um lästigen Konkurrenten kaltzustellen?

Konkurrent putscht, um genau dies zu verhindern?

Es kommt ganz anderes, was dann mal wieder vorher niemand auf dem Schirm gehabt hat?

Wenn man nicht spekulieren will, kann man wohl erst mal nur – abwarten und Tee trinken.

 

Robert Habeck, stark verblasste Lichtgestalt – Geklagt hatte die CDU/CSU. Doch kaum hatte das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Bundeshaushalt gesprochen, dass die regierungsamtliche Verschiebung von 60 Milliarden Euro aus dem Bereich Coronabewältigungsermächtigungen in den Klimafonds ein Verfassungsbruch sei, da holten Sie aus dem Stand zu einer Breitseite aus: Nun würden wieder „höhere Stromkosten kommen für alle Menschen in Deutschland, für die Unternehmen wie die Verbraucher. Sollten wir in eine Krise reingeraten, werden wir die Strom- und Gaspreisbremse nicht mehr ziehen können. Dann werden wir höhere Gas- und Strom- und Fernwärmepreise haben. Das ist der Sinn der Klage […]: Der Staat soll die Menschen in dieser Phase nicht mehr schützen, nicht mehr beschützen können für orbitant hohe Preise, hohe Preisanstiege […]. Sie [die CDU/CSU – die Redaktion] klagt, das muss man sagen, sie klagt dafür, dass Menschen in Deutschland höhere Preise bezahlen. Schönen Dank, Friedrich Merz.“

Haben wir das richtig verstanden: Der Kläger (Union) ist der Täter und die Beklagte (Bundesregierung) wird brutal daran gehindert, die Bedürftigen zu erquicken?

Nicht unmöglich erscheint uns allerdings auch folgende Lesart: Sie sind als Bundeswirtschaftsminister führendes Mitglied eines Ampelkabinetts, das offenbar in toto entweder zu selbstherrlich oder handwerklich einfach nur zu dilettantisch ist, einen verfassungskonformen Haushalt aufzusetzen, und nun schießen Sie volles Rohr, damit der Wähler das nicht merkt. Das Strickmuster ist bekannt: Haltet den Dieb!

Träfe dies zu, wunderte uns das jedoch mitnichten. Denn warum sollte ausgerechnet jemand wie Sie – ein mit dem Umbau einer ganzen Industriegesellschaft betrauter wirtschaftlicher Laie, also mit einiger Wahrscheinlichkeit permanent überfordert und vulgo frustriert –, der überdies „vor den Trümmern seiner Politik [steht]“, kein „ganz schlechter Verlierer“ (Münchner Merkur) sein?

 

Heribert Prantl, Edelfeder der Süddeutschen Zeitung – Sie sind studierter Volljurist und waren selbst einmal Richter, später Staatsanwalt, bevor Sie zur journalistischen Profession wechselte. Anders als Robert Habeck haben Sie in Sachen Urteil zum Bundeshaushalt und zum Umgang mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse dem Gericht den Marsch geblasen: Die Karlsruher Richter hätten diese Bremse „nun in einer Weise scharf gestellt, die den Sinn der Schuldenbremse in Unsinn verwandelt: Das Gericht erschwert ökologisch fundierte Konjunkturprogramme, die wichtig und unabdingbar sind, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Das Urteil […] sabotiert auch Investitionen für Schulen und Kitas, es zerschlägt Förderprojekte für Kinder, für Familien und für alte Menschen. Es schadet also der Gesellschaft. Das Urteil fordert und fördert ein hirnloses Sparen. Es gibt ein altes lateinisches Rechtssprichwort, das ‚Fiat justitia et pereat mundus‘ heißt. Auf Deutsch: Es geschehe Gerechtigkeit, und wenn die Welt dabei zugrunde geht! Nach dem Karlsruher Urteil […] darf man es neu übersetzen, nämlich so: ‚Es muss gespart werden – und wenn die Welt dabei zugrunde geht.‘“

Auch ein Standpunkt.

 

Amira Hass, israelische Journalistin – In der Zeitung Haaretz haben Sie uns bitter ins Stammbuch geschrieben: „Ihr Deutschen habt eure Verantwortung, die ‚aus dem Holocaust‘ – also aus der Ermordung u.a. der Familien meiner Eltern und dem Leid der Überlebenden – erwächst, längst verraten. Ihr habt sie verraten durch eure vorbehaltlose Unterstützung eines Israels, das besetzt, kolonisiert, den Menschen das Wasser wegnimmt, Land stiehlt, zwei Millionen Menschen im Gazastreifen in ei­nem überfüllten Käfig gefangen hält, Häuser abreißt, ganze Gemeinden aus ihren Häusern vertreibt und die Gewalt der Siedler fordert.“

Das werden Joachim Gauck, der als Bundespräsident Israel die unverbrüchliche Freundschaft Deutschlands versprach, unser Bundeskanzler Olaf Scholz, der die Sicherheit Israels einmal mehr zur deutschen Staatsräson erhob, und unsere Außenamts-Annalena („Wir sind alle Israelis.“), wenn überhaupt, womöglich nicht gern hören. Ihre Einlassung wird dadurch allerdings nicht weniger bitter und leider schon gar nicht unzutreffend …

 

André Mielke, Kolumnist der Berliner Zeitung – Dass Sie ein besonders begnadetes Schandmaul sind, haben Sie in der Printausgabe Ihres Blattes vom 29.11.2023 einmal mehr unter Beweis gestellt. Angesichts der Dauerschleifen von „Pleiten, Pech und Pannen“ seit Regierungsantritt der Ampel und mit Blick auf deren jüngstes, wieder selbstverschuldetes Desaster, das zum aktuellen Karlsruher Urteil führte, welches besonders wüsten finanz- und haushaltspolitischen Tricksereien der Gurkentruppe um den Bundes-Olaf erst mal einen Riegel vorgeschoben hat, erinnerten Sie an Paragraph 115 des Grundgesetzes. Der schreibt die sogenannte Schuldenbremse verfassungsrechtlich fest und räumt zugleich legale Ausnahmemöglichkeiten ein: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.“

Ihr ebenso naheliegender wie genialer Vorschlag: Das Kabinett Scholz sollte sich einfach selbst „als Naturkatastrophe definieren“.

Wow, der letzte, der einen gordischen Knoten so bravurös gelöst hat, dürfte Alexander der Große gewesen sein!
Und erst die Perspektiven: „Die Koalitionäre können sich entspannen, ihre Ausgaberoutinen wieder aufnehmen und versuchen, mithilfe frischer Schulden die Folgen ihrer mit alten Schulden bezahlten Politik zu flicken. Größte Hoffnungen ruhen auf der Energiewende. Deren Vollendung kann die Wirtschaft so transformieren, dass endlich nie wieder jemand – nicht mal pingelige Karlsruher Richter – auf die Idee kommt, Deutschland wäre nicht in einer außergewöhnlichen Notsituation. Oder, wie spricht ein leicht derangierter Volksmund: Spare mit dem Geist, dann hast du immer Not.“

 

Bernhard Pointner, Chef der Molkerei Berchtesgadener Land – Dass Milch in unseren Breiten seit tausenden von Jahren ein Grundnahrungsmittel ist, scheint etwas aus dem Fokus geraten zu sein, seit rülpsende Kühe als Mitverursacher des Klimawandels an den Pranger gestellt werden. 3,4 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen sind laut Umweltbundesamt auf Rinderhaltung zurückzuführen. Na, immerhin.

In unserem hohen, sprich vulnerablen Alter mehr zu denken gibt uns allerdings, was Sie zu gesundheitlichen Vorbehalten gegen Milch sagen: Da appellieren Sie nämlich „an den gesunden Menschenverstand. Wer fährt denn bei uns mit dem E-Bike am Sonntag auf den Berg, setzt sich vor die Hütte und trinkt ein Weißbier? Das sind immer öfter Achtzigjährige, die in ihrem Leben Fleisch und Eier gegessen und Milch getrunken haben. Ob einer, der als Zehnjähriger zum Veganer geworden ist, das mit 80 Jahren auch noch macht, wissen wir jetzt noch nicht.“

Hm, wenn wir denn zu veganen Experimenten neigten, würden wir uns das spätestens jetzt vielleicht doch noch einmal überlegen …

 

Friedrich Merz, CDU-Chef und personifiziertes Eigentor – Und schon wieder war es soweit: Nach dessen (zugegebenermaßen ebenfalls nur grenzwertiger) Regierungserklärung vom 28. November titulierten Sie Olaf Scholz im Plenum des Bundestages als „Klempner der Macht“. Das war offensichtlich als herabstufende Deklassierung gemeint. Ob Sie sich das schon vorher notiert hatten oder ob Ihnen solche Einfälle spontan zufliegen, tut dabei nichts zur Sache. Sie haben sich damit einmal mehr als der bis an die Grenze zur Dümmlichkeit arrogante Oberklassenfatzke geoutet, als der Sie nun erneut reüssierten. Denn die mit Ihrem Diktum einhergehende Verunglimpfung einer ganzen handwerklichen Profession offenbart ja nur, dass Sie keinen Schimmer von der gesellschaftlichen Funktion und dem Wert des Klempners haben. (Wir wünschen Ihnen schleunigst ein total verstopftes Klo, damit Sie die Lücke schließen können.)

Dass Scholz Ihren Rohrkrepierer stehenden Fußes gegen Sie wendete („Ich bin stolz auf dieses Lob.“), machte den Vorgang als solchen aber auch nicht wirklich besser. Oder um es mit den Worten des Kollegen Gerhard Matzig von der Süddeutschen Zeitung zu sagen: „Mehr Wertschätzung für Handwerksberufe plus angemessene Arbeitsbedingungen minus Klempner-Witze: Das wäre mal was. Klempner und Installateure halten dieses Land sogar im größten Reformstau seiner Geschichte immerhin physisch so gerade noch zusammen.“ Und im Übrigen: „Wenn mal was kaputt ist, wer würde ernsthaft bei Scholz oder Merz anrufen?“