26. Jahrgang | Nummer 10 | 8. Mai 2023

Feministische Schattenspiele

von Bernhard Romeike

Eine Folge des derzeit nicht vorhandenen Profils einer deutschen Außenpolitik ist die Anmutung, von „Werten“ zu reden sei besser als ein realpolitisches und interessengeleitetes Profil. Das war in den vergangenen Wochen gut zu besichtigen, auch wenn es rasch aus den Medien wieder herausoperiert wurde. Zur Erinnerung: In der ersten Aprilhälfte waren der französische Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Annalena Baerbock in China. Im Grunde waren es drei Besuche, die jedoch zum Teil zeitlich und auf jeden Fall politisch untereinander verbunden waren. Spezialisten für diplomatisches Protokoll hatten genau registriert, wie Präsident Xi Jinping in Bezug auf Macron und von der Leyen reagiert hatte, wer wie auf dem Teppich stand und welche Pressekonferenzen in welchem Rahmen stattgefunden hatten.

Macron hatte nach seiner Rückkehr von dem dreitägigen China-Besuch und seinen Gesprächen mit Xi der französischen Zeitung Les Echos und dem Magazin Politico seine Position erläutert. Laut AFP proklamierte er die Notwendigkeit einer eigenen europäischen Strategie in der Taiwan-Frage. „Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema zu Mitläufern werden und entweder der amerikanischen Taktgebung oder einer chinesischen Überreaktion folgen müssen.“ Europa sollte nicht zu einer Eskalation des Konflikts beitragen, sondern seine eigene Position verfolgen, als dritter Pol zwischen den USA und China. Das bezog er nicht nur auf das Verhältnis zum Reich der Mitte, sondern auch auf die Ukraine. „Wir sollten uns weder in einen Block noch in eine neuerliche Blocklogik begeben“, betonte Macron und setzte hinzu, Europa – gemeint war EU-Europa – sollte sich nicht in eine „Welt der Unordnung und in Krisen hineinziehen lassen, die nicht unsere sind“.

Unter deutschen Transatlantikern führte das sofort zu ostentativen Protesten. Der bekannte außenpolitische CDU-Lautsprecher Norbert Röttgen schimpfte, Macrons Positionen seien ein außenpolitisches Desaster für Europa: „Wir sind aber nicht neutral“, folglich keine Mitläufer. Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der Konservativen im Europäischen Parlament, blies in dasselbe Horn: „Wer für Freiheit und Demokratie eintritt, ist kein Mitläufer.“ Ohne eine abgestimmte China-Politik schwäche sich die EU, ihre Mitgliedsstaaten machten sich unglaubwürdig.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi bekundete: „Es ist ein schwerer Fehler, sich als Westen ausgerechnet im Umgang mit Peking spalten zu lassen. Das schwächt unsere westliche Wertegemeinschaft.“ Der Berliner Tagesspiegel erklärte den Mann zum „Außenpolitiker“. Tatsächlich ist er Ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und Obmann der SPD im Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union. Allerdings hat er einst zeitweise in den USA studiert und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sowie der einschlägig bekannten „Atlantikbrücke“. So erfüllte er einen offensichtlichen Auftrag, das deutsche Wesen gegenüber den welschen Zumutungen abzugrenzen. Nils Schmid, der nun in der Tat außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ist, nahm diesen Ball auf und gab Annalena Baerbock, die nur wenige Tage nach Macron nach Peking reiste, mit auf den Weg, es sei gut, dass sie jetzt dorthin reise, sie müsse jetzt „den Eindruck zurechtrücken“, den Macron hinterlassen habe. Sie müsse „klarmachen, dass die EU sich nicht von den USA abspalten lässt“. Nun ist jedoch bereits die Vorstellung, eine deutsche Außenministerin könnte einen Präsidenten Frankreichs „zurechtrücken“, Ausdruck einer deutschen Selbstüberhebung, die eher aus früheren Zeiten stammt, da „die Welt am deutschen Wesen genesen“ sollte.

Das Ergebnis war eine diplomatische Katastrophe. Baerbock monierte in China, die Menschenrechte würden dort „immer weiter beschnitten“, worauf der chinesische Außenminister Qin Gang erklärte: „Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen.“ Bei einer Regierungsbefragung im Bundestag gab Baerbock hernach zu Protokoll, was sie in China erlebt habe, sei „wirklich zum Teil mehr als schockierend gewesen“. Absurdes Theater. Man stelle sich einmal vor, Willy Brandt oder Hans Dietrich Genscher hätten so etwas als Außenminister nach Reisen in die Sowjetunion oder nach Bulgarien gesagt. Die Mauer würde wahrscheinlich noch heute stehen.

Der Philosoph und Publizist Richard David Precht hat sich darüber lustig gemacht. Im ZDF-Podcast „Lanz & Precht“, gemeinsam mit dem Moderator Markus Lanz, fragte Lanz: „Wenn du jemanden wie Annalena Baerbock siehst in Peking, was löst das in dir aus?“ Zu dem Gefühl mochte Precht nichts zu sagen. Aber: „Wenn ich ganz ehrlich sein soll, was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist. Die hätte unter normalen Umständen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum gekriegt.“ Baerbock habe mit der „moralischen Inbrunst einer Klassensprecherin“ China versucht zu erklären, was westliche Werte sind. Precht fügte hinzu: „Wenn jemand dich im privaten Leben belehrt und sagt, du hast die falschen Werte, dem hörst du nicht zu.“ Lanz stimmte zu: „Ja, das ist Kindererziehung.“ Wahrscheinlich hat Baerbock nicht einmal den Kindergarten ihrer Kinder in Potsdam richtig verstanden.

Baerbock, die verkündete, nicht nur eine „werteorientierte“, sondern eine „feministische“ Außenpolitik betreiben zu wollen, wurde ganz in diesem Sinne verteidigt. Zuerst wurde Precht „Frauenfeindlichkeit“ vorgeworfen. Die Grünen-Politikerin Renate Künast sah in Prechts Positionen „männliche Überheblichkeit und Arroganz“. Precht und Lanz nannten es im Nachgang einen „Reflex“, dass immer wieder eine Diskurs-Front zwischen Mann und Frau aufgemacht wird. Baerbock wurde verteidigt, „weil sie eine Frau ist“. Tatsächlich, so Precht, gilt: „Ich finde es schade, dass das diplomatische Sprechen keine wichtige Qualifikation mehr ist.“ Besonders wichtig sei es, dass deutsche Diplomaten angesichts einer „aufgeheizten Weltlage“ zur Deeskalation beitragen, statt zu moralisieren und zu drohen. Die derzeitige Ministerin ist eher für Letzteres zuständig. Unter welchen hehren Losungen auch immer.