25. Jahrgang | Nummer 20 | 26. September 2022

Bemerkungen

Leo Tolstoi zum Krieg

Wo es Armee und Krieg gibt, sind dem Bösen keine Grenzen gesetzt.

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Despotismus erzeugt Krieg, und der Krieg erhält den Despotismus am Leben. 

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Wenn alle Menschen nur nach Maßgabe ihrer Überzeugungen Krieg führten, so würde es keinen Krieg geben.

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Krieg ist ein Zustand, bei welchem die niedrigsten und lasterhaftesten Menschen Macht und Ruhm erlangen.

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Das Leben der Völker ist überall das Gleiche. Die Hartherzigen, Unmenschlichen und Müßigen ernähren sich durch Gewalt und Krieg, die Gutherzigen, Sanften und Fleißigen dulden lieber. Die Geschichte ist eine Geschichte solcher Gewalt und ihrer Bekämpfung.

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Je älter ich im Alter voranschreite, und je mehr ich die Frage des Krieges durchdenke, desto überzeugter bin ich, dass die einzige Lösung der Frage die Weigerung der Bürger ist, Soldat zu werden.

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Die Zeit ist vorbei, um über die Nachteile des Krieges zu raisonnieren. Darüber ist schon alles gesagt worden. Jetzt bleibt nur eines zu tun, das, womit jeder Mensch hätte beginnen sollen: das heißt, nichts zu tun, wozu man nicht sittlich verpflichtet ist.

Zitiert: Leo Tolstoi (1828–1910)

Ungute Szenarien

Wladimir Pastuchow, ein russischer Politologe, schreibt in der Berliner Zeitung, dass der Krieg in der Ukraine einen Punkt erreicht hat, wo das Ausmaß des gegenseitigen Hasses jede Art von „Gentleman’s Agreement“ zwischen Russland und der Ukraine fast unmöglich macht. Die Möglichkeit, dass der Krieg auf russisches Territorium übergreift, lasse die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen groß werden. Pastuchow sieht aus der heutigen Perspektive drei mögliche Szenarien:

  1. Alle Ereignisse entwickeln sich spontan, keine Seite gibt nach und Europa wird in den ersten Atomkonflikt seiner Geschichte hineingezogen.

  2. Europa erlebt einen akuten Energieschock und übt Druck auf die Vereinigten Staaten aus, die Waffenlieferungen an die Ukraine drastisch zu reduzieren. Das würde zu einer teilweisen oder vollständigen Kapitulation führen, gefolgt von einem Regimewechsel in Kiew. Russland und die Ukraine balancieren dabei am Rande eines Atomkrieges, zumindest bis Putin geht.

  3. Bei den russischen Eliten liegen die Nerven blank und sie entscheiden, dass es besser ist, Putin zu beseitigen als auf den „roten Knopf“ zu drücken. Auch hier stünde ein Regimewechsel an.

Wir balancieren am Rande des Atomkrieges – und in den Medien wird diskutiert, dass Deutschland doch moderne Panzer liefern solle. Scholz habe sich ins „atomare“ Bockshorn jagen lassen von Putin. 

Frieden oder Vernunft scheinen derzeit nicht viele Chancen zu haben. 

mvh

Stunde der Diplomaten?

Das Thema der UN Vollversammlung wird durch Russland bestimmt: Volksabstimmung in Gebieten der Ukraine, Mobilmachung im eigenen Land. Wen überrascht diese Entwicklung? Kriege sind die höchste Form der Eskalation. Kriegführende Parteien greifen zu jedem Mittel, um ihre Ziele zu erreichen. Wladimir Putin hat den Feldzug gegen die Ukraine nicht begonnen, um der Welt zu zeigen, dass Russland einen Krieg verlieren kann. Die Ukrainer wehren sich tapfer gegen eine Übermacht und suchen Hilfe bei der Weltgemeinschaft. Zu Recht fordert Wolodimir Selenskij eine Bestrafung der Kriegsverbrecher. Ist es nicht längst Konsens, dass jeder, der einen Krieg vom Zaun bricht, ein Verbrecher ist? Aber – wie bestraft man den Spitzenpolitiker einer Supermacht? Internationale Ächtung und Sanktionen, das sind seit dem Beginn der UN die Mittel. Andere gibt es nicht. Inzwischen sind wir alle längst verwickelt in diesen Welt-Machtkampf, bei dem es um mehr geht als ein paar Dörfer und Felder im Donbass, von denen noch dazu nach dem Ende der Kampfhandlung wenig übrig sein wird. Ja, worum geht es eigentlich? Um Vormacht, um Ressourcen, um Gewinnmaximierung? Wer profitiert am Krieg? Jedenfalls nicht die „Helden“, die dafür bestimmt sind, auf dem „Feld der Ehre“ verheizt zu werden. Nicht Mütterchen Russland. Nicht die Ukraine. Worum ging es, um historische Beispiele aufzurufen, beim Einsatz der Atomwaffen, während in Potsdam die Konferenz der Siegermächte tagte, um die Neuordnung der Welt zu verhandeln? Worum ging es in Vietnam, im Irak, in Afghanistan, in Kroatien, im Kosovo, in Tschetschenien, Georgien, Libyen, Syrien? Hört das niemals auf? Der Kriegszustand ist die Stunde, in der die Weltgemeinschaft ihre Verantwortung wahrnehmen muss. Nicht durch Rüstung und Waffenlieferungen wird Frieden geschaffen. Sondern durch Verhandlungen, Verträge, Diplomatie und Austausch. Durch einen Ausgleich der schreienden Disproportionen. Durch Handel. Wo sind sie heute die Gandhi, Mandela, Palme? Die Diplomaten, Schlichter, Mediatoren? Es sollte die Stunde der Diplomatie sein. Kann es denn nicht gelingen, wenigstens ein Moratorium zu erreichen, einen Waffenstillstand? Solange geschossen wird, kann man nicht verhandeln.

Klaus-Peter Möller

Spinnen Deutsche?

Das Buch „Wir spinnen, wir Deutschen“ erschien schon vor einem Jahr, aber erst jetzt gibt es – endlich – eine Ausstellung zu dem Karikaturenband in Berlin. Die beiden Zeichner Uwe Krumbiegel und Jan Kunz sind vor rund 50 Jahren in Flöha bei (damals) Karl-Marx-Stadt gemeinsam zur Schule gegangen. Die beiden Sachsen verband der gleiche Humor und die Liebe am Zeichnen. Schon in den achtziger Jahren brachten jeder der beiden Karikaturen in Zeitungen und Zeitschriften unter (wie Freie Presse, Eulenspiegel, SUPERillu), sie füllten jeder einige Bücher und endlich gibt es einen gemeinsamen Band der beiden Freunde.

„Unerhörte Cartoons über den hysterischen Zeitgeist“ lautet der Untertitel des Buches, und sie mahnen mit viel Witz zur Gelassenheit. Wer immer politisch korrekt handeln will, könnte zum Hysteriker werden. Oder zur Hysteriker*in? Zum Zeitgeist zählt hier der Handy-Wahn, der Hang zum bedingungslosen Grundeinkommen, lebensmüde Impfgegner, Anhänger der „Corona-Diktatur“, zerbrechende Windräder, eingeschränkte Postzustellung, sexuelle Belästigung in Märchenbüchern, elektronische Gesichtserkennung oder die Pingeligkeit der Ordnungsämter.

Dazu kommt viel Spott auf das sogenannte „Neusprech“. Babies dürfen bei Kunz nicht zuerst „Mama“ sagen, stattdessen „austragendes Elternteil“. Krumbiegel ersetzt „Frau“ durch „Frauin“ und geißelt das „Wir“ als egozentrische Anmaßung. Beide Zeichner haben schon zahlreiche Auszeichnungen erhalten, und man darf raten, welches ihre liebste politische Farbe ist. Die ganz unten auf der Verkehrsampel ist es nicht.

Wer in Berlin wohnt, kann sich die Originale dieser und vieler anderer Zeichnungen von Krumbiegel & Kunz ansehen. In einem christlich-ökumenisch gegprägten Kiezcafé im Zentrum von Pankow ist stilles Schmunzeln und lautes Lachen möglich und erwünscht!

Frank Burkhard

Uwe Krumbiegel/Jan Kunz, Wir spinnen, wir Deutschen, Cartoon-Band, BEBUG mbH/Verlag Bild und Heimat, Berlin 2021, 80 vollfarbige Seiten, 9,99 Euro.

Ausstellung im Café Impuls, Breite Str. 49, 13187 Berlin-Pankow, mittwochs 14–18 Uhr oder nach telefonischer Anmeldung unter 030-91422017.

Bisweilen psychedelisch

Das MIG-Label ist seit einigen Jahren eifrig dabei, musikalische Schätze in Form von Live-Aufnahmen durch den Sender Radio Bremen zu heben und auf CD zu pressen. Manche Veröffentlichungen sind eher für Nostalgiker empfehlenswert, manche beweisen zeitlose musikalische Qualitäten.

Zu letzterem gehört sicherlich eine Aufnahme der beiden Gitarristen Martin Kolbe und Ralf Illenberger am 29. November 1978 im „StuBu“ in Bremen.

Die zwei Herren beweisen sich wahrlich als begnadete Musiker, die 1977 ihre Zusammenarbeit starteten und schon mit der ersten Veröffentlichung „Waves“ im Folgejahr für Furore sorgten. Diese LP erreichte in der Jahresbestenliste des SDR einen Platz unter den ersten zehn und wurde von dem Magazin Stereo über längere Zeit als Referenzplatte für akustische Gitarrenmusik verwendet.

Zehn Jahre lang erwiesen sich Kolbe & Illenberger als kongeniales Duo. Sie inspirierten sich gegenseitig zu musikalischen Höchstleistungen. Nebenbei hebelten sie eine Gleichung aus, denn eins plus eins ist zwar in der Mathematik zwei, aber musikalisch kann das Ergebnis durchaus mehr als die pure Summe ihrer Teile sein: Illenberger mit seiner Gurian-Gitarre und Kolbe an der Martin D-28 erzeugten einen gemeinsamen Sound, der durchaus eine orchestrale Anmutung hatte.

Interessanterweise blieben die beiden diesen Hauptinstrumenten bis zum Schluss treu, auch wenn später ab und zu E-Gitarren und andere Saiteninstrumente hinzukamen.

Neben Stücken von ihrer ersten LP „Waves“ finden sich auf „Emotions“ auch zwei Fremdkompositionen, nämlich „I shot the Sheriff“ (im Original von der Reggae-Ikone Bob Marley, bekannt machte den Song die spätere Gitarrenlegende Eric Clapton) und das Stück „These Boots are made for Walking“ von Lee Hazlewood.

Und die musikalische Gretchenfrage, in welche Schublade die beiden Gitarreros zu stecken sind (Jazz? Rock? Folk?) beantwortete Ralf Illenberger mit folgender Selbstzuschreibung: „eindrücklich, melodisch, bisweilen psychedelisch“.

Man darf neidlos an- oder zuerkennen: gefühlvolle Gitarrenmusik der Extraklasse!

Thomas Rüger

Martin Kolbe & Ralf Illenberger: Emotions (Live in Bremen 1978), CD, 2021, Label: M.I.G., circa 15,00 Euro.

Aus anderen Quellen

„Damit die Gefahr privater Medien- und Meinungsmacht eingehegt wird, braucht es einen starken und unabhängigen öffentlichen Rundfunk“, konstatiert Fabio De Masi und kommt anschließend auf die Realität zu spreche: „Die Skandale um den Norddeutschen Rundfunk (NDR) und den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) belegen aber, dass in den Chefetagen von Sendeanstalten eine bedrohliche Nähe zur politischen Macht gepflegt wurde. […] Man bewilligte sich wie im Fall der früheren Investigativ-Journalistin Patricia Schlesinger üppige Gehälter und Boni beim RBB, während die Mittel für Recherchen und Journalistengehälter gekürzt wurden. Die Spitzen der ARD waren darüber seit Jahren informiert.“

Fabio De Masi: Parteienfilz im Rundfunk?, berliner-zeitung.de, 10.09.2022. Zum Volltext hier klicken.

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Das chinesische Sozialkreditsystem (siehe ausführlicher Blättchen 15/2018) als nutzbares Vorbild für die „Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land“? Das ist zumindest eine Idee des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), die in der Öffentlichkeit noch nicht recht angekommen zu sein scheint. So jedenfalls ein Fazit von Maximilian Ruppert. Was damit droht liest sich im Duktus des BMBF so: „Für bestimmte Verhaltensweisen können im Punktesystem, das vom Staat betrieben wird, Punkte gesammelt werden, zum Beispiel Ehrenamt, die Pflege Angehöriger, Organspenden, Altersvorsorge, Verkehrsverhalten, CO2-Abdruck. Neben der sozialen Anerkennung ergeben sich durch das Punktesammeln auch Vorteile im Alltag, zum Beispiel verkürzte Wartezeiten für bestimmte Studiengänge.“

Maximilian Ruppert: Die Konformistenschmiede, rubikon.news, 06.09.2022. Zum Volltext hier klicken.

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„Hört man Außenministerin Annalena Baerbock reden“, schreibt Stefan Weidner, „scheint sie tatsächlich von einem religiösen Pathos beseelt. Die außenpolitischen Zielvorgaben, wie schon im Koalitionsvertrag festgehalten, klingen entsprechend utopisch: Eine entschieden feministische Außenpolitik steht dabei ganz oben an, natürlich auch die Klimapolitik und seit dem russischen Angriff vor allem das Engagement für die Ukraine. Alle diese Anliegen sind moralisch vollkommen berechtigt. Sie stehen, wenn man sie wörtlich nimmt, jedoch in einem eklatanten Missverhältnis zu den realen Einflussmöglichkeiten einer Außenministerin.“

Stefan Weidner: Auswärtige Kulturpolitik als Weltverbesserungsmission, deutschlandfunkkultur.de, 12.09.2022. Zum Volltext hier klicken.

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„Wir sind schon so lange im medialen und politischen Management unserer Emotionen gefangen“, analysiert Petra Erler, „dass es schwerfällt, den Zeitpunkt zu benennen, an dem alles kippte. Ich meine den Zeitpunkt, zu dem nicht mehr die sachliche Information im Vordergrund stand, es nicht mehr um den Diskurs ging, egal wie hoch die Wogen schlugen, nicht mehr um die Beurteilung von Fakten, sondern um gegenseitige Vorverurteilung, Hass und zunehmende Entmenschlichung.“

Petra Erler: Wie wir ver-rückt werden. Was vergiftete Nachrichten über Russland mit uns machen, petraerler.substack.com, 07.09.2022. Zum Volltext hier klicken.

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Annalena Baerbocks Prager Sprüchlein („egal was meine deutschen Wähler denken“) schlug erhebliche Wellen. Wieder mal ein Anlass für André Mielke, mit spitzer Feder eine seiner bei Betroffenen womöglich zu Recht berüchtigten Glossen in die Welt zu schreiben: „Dabei hatte die Außenministerin nur von ihren Wählern gesprochen. Die meisten Deutschen haben aber weder für Baerbock noch für ihre Partei gestimmt. Es gibt eine Restchance, dass deren Meinung weniger egal ist. […] Leider versteigt der sogenannte Souverän sich dazu, sich als Arbeitgeber von Politikern zu verstehen. Sein Hausverstand lehrt ihn, dass zum Chef ‚Leck mich!‘ sagt, wer das Beschäftigungsverhältnis zu beenden trachtet. Daraus folgt ein verkürztes Demokratieverständnis. Verfassungspatrioten wissen, dass Politiker in einem eher metaphorischen Sinne Diener des Volkes und nicht dazu berufen sind, bei jedem Blöken des Stimmviehs in den Stall zu rennen.“

André Mielke: Annalena Baerbock und warum sich manch ein Deutscher Heiko Maas zurückwünscht, berliner-zeitung.de, 07.09.2022. Zum Volltext hier klicken.

Letze Meldung

Das Kanzleramt der Berliner Republik ist mit über 25.000 Quadratmetern Nutzfläche die größte Machtzentrale der Welt. Und damit das auch fürderhin so bleibt, soll die Nutzfläche durch einen Erweiterungsbau quasi verdoppelt werden. Bei der Vorstellung der ersten Pläne im Jahre 2019 waren dafür 460 Millionen Euro veranschlagt worden. Daraus sind nach jüngsten Angeben bereits 777,3 Millionen geworden, ohne dass auch nur der erste Spatenstich erfolgt wäre. Der ist erst für September 2023 vorgesehen; fünf Jahre Bauzeit sind in Ansatz gebracht.

Einschlägige Erfahrungen mit Neubauten in Berlin und anderswo zugrunde gelegt, besteht also berechtigte Hoffnung, dass sich die Kosten bis zum Richtfest locker nochmals verdoppeln …

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