Am 24. Januar 1822 feierte E. T. A. Hoffmann in seiner Wohnung in der Taubenstraße 31 hinter dem Gendarmenmarkt in Berlins Mitte wie all die Jahre mit Freunden seinen 46. Geburtstag. Es waren gekommen: der Jurist, Kriminalist und Publizist Julius Eduard Hitzig, der am Kammergericht Berlin arbeitete und drei Jahre später die Zeitschrift für die preußische Kriminalrechtspflege gründen sollte, der Schriftsteller und Jugendfreund Theodor Gottlieb von Hippel, mit dem Hoffmann in Königsberg die Schule besucht hatte, Ludwig Devrient, der kongeniale Schauspieler und Liebling des Publikums, und Dr. Koreff, der skurrile Leibarzt des preußischen Staatskanzlers Hardenberg.
Aber an diesem Geburtstag war alles anders. E. T. A. Hoffmann saß, schon vom Tode gezeichnet, in Decken gehüllt, teilnahmslos und schweigend in seinem Lehnstuhl und trank keinen Champagner, sondern nur Selterswasser. Hitzig wollte in dieser für die Freunde neuen Situation etwas Tröstliches sagen und philosophierte über das großartige Schillerwort „Das Leben ist der Güter höchstes nicht“. Hoffmann brach plötzlich beunruhigt sein Schweigen. „Nein, nein“, rief er heftig in die Runde, „leben, leben, nur leben – unter welchen Bedingungen auch immer!“
Hoffmanns Biografie war eine beinahe lückenlose Abfolge großer, mittlerer und kleiner Erfolge. Er wurde als Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann in Königsberg geboren, wo er Jura studierte. Er war das letzte deutsche Universalgenie und eine Ikone der Kunst und des Verstandes: ein hervorragender Jurist, ein erfolgreicher Komponist, Zeichner und Maler, ein genialer Autor zahlreicher Geschichten und Märchen. Der zeitgenössische Journalist Friedrich Gottlieb Wetzel beschrieb ihn als eine einmalige Erscheinung am preußischen Himmel, über den er wie „ein Komet der Geisterwelt“ seine „exzentrische Bahn zieht“. Wetzel kannte den vielseitigen Künstler, den er von 1808 bis 1813 in Bamberg als Musikdirektor, Regisseur und Bühnenarchitekt, als Komponisten und bedeutenden Musikrezensenten, als Klavier- und Gesangslehrer sowie als Musikalienhändler, Maler, Zeichner und Schriftsteller erlebt hatte. In seiner Bamberger Zeit legte sich das Genie auch den Vornamen Amadeus zu, weil er Mozart sehr verehrte.
E. T. A. Hoffmann war ein Brückenbauer zwischen Realität und Phantasie. Nur wer es wagt, durch das Reich der Träume zu schreiten, gelangt zur Wahrheit – so hatte er einmal seinen Erkenntnisoptimismus umschrieben, immer wieder aber kehrte er bei der Realität ein. In seinem Erzählzyklus „Nachtstücke“ finden wir seine Lebensmaxime, nämlich „daß die wirklichen Erscheinungen im Leben oft viel wunderbarer sich gestalteten als alles, was die regste Phantasie zu erfinden trachte“.
Hoffmanns Feder entstammt die erste deutsche Kriminalnovelle „Das Fräulein von Scuderi“, die von der Aufklärung einer rätselhaften Mordserie im Paris des 17. Jahrhunderts handelt. Ob düstere Schauergeschichte, Kunstmärchen oder spannende Kriminalnovelle – wie kaum ein anderer beherrschte E. T. A. Hoffmann alle Spielarten der romantischen Literatur. Seine Oper „Undine“ mit Dekorationen von Karl Friedrich Schinkel wurde am 3. August 1816 im königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Anwesenheit von Friedrich Wilhelm III. uraufgeführt – am Geburtstag des Königs. Die romantische Zauberoper wurde mit großem Beifall und einer lobenden Kritik von Carl Maria von Weber aufgenommen.
Während in seinen Dichtungen das Abgründige und Dämonische dominierten, war er als Richter am Kammergericht Berlin einzig und allein der Realität, der Wahrheit und dem juristischen Ethos verpflichtet. Nur durch seine einmalige Begabung und seine geniale Beobachtungsgabe konnte er ein Experte in der Welt des Rechts und der psychischen Zustände werden. Er betonte immer wieder die Verantwortlichkeit des Einzelnen, dehnte aber den Begriff des „Normalen“ aus. Der Mensch sei, ohne krank zu sein, vielfältiger, gespaltener, abgründiger, dunkler und nicht allein reduzierbar auf ein Produkt seiner Umwelt.
Am 22. April 1816 wurde Hoffmann zum Kammergerichtsrat ernannt und wenige Tage danach zum „Wirklichen Mitglied des Kriminal-Senats“ bestellt, mit einem Jahresgehalt von 1000 Talern. Auf seinem Richtertisch landete alsbald die Haftsache des Schöpfers der deutschen Turnbewegung Friedrich Ludwig Jahn, der als „Turnvater“ verehrt wird.
Jahn war Mitbegründer der Burschenschaften und schon deshalb höchst verdächtig in der Zeit des Vormärz, in der die sogenannte Demagogenverfolgung für den preußischen Staat höchste Priorität besaß. Im Jahr 1817 soll er den Kaiser von Russland als „Spitzbube“ tituliert haben – das allein war ein Staatsverbrechen. Über Jahns „schmutziges Äußeres“, seine wohl originell gemeinte Kleidung und seine ins Krankhafte gehende Selbstdarstellung konnte E. T. A. Hoffmann nur den Kopf schütteln. Das könne man gut finden oder nicht. Aber als Richter müsse man ihm, bei aller Antipathie, vorurteilsfrei gerecht werden.
Im Beweistermin am 16. Februar 1820 ging es darum, ob der Student Franz Lieber, der Jahn sehr belastete, überhaupt die Wahrheit gesagt hatte. Jahn soll in seiner Burschenschaft gefragt haben, ob es rechtens sei, Kamptz zu töten. Karl Albert Kamptz, dies zum Verständnis, war als Direktor im Polizeiministerium ein Feind aller demokratischen Bewegungen und der Motor der Verfolgung Andersdenkender. Am Ende kam heraus, dass Lieber den Satz seinen „Goldsprüchlein“ (angeblich von Jahn autorisierte Reden) zugefügt hatte, er stammte jedoch nicht von Jahn. Hoffmann fand insgesamt nichts, was eine Haft hätte begründen können. Aber die Reaktion setzte sich durch, Jahn war als liberal gesinnter Regierungsgegner von 1819 bis 1825 in Festungshaft.
Hoffmann indes, im Glauben, das Recht auf seiner Seite zu haben, kämpfte weiter, auch mit künstlerischen Mitteln. In seinem Märchen „Meister Floh“ tritt der Geheime Hofrat Knarrpanti auf – eine gelungene Parodie auf Kamptz. Dieser bekam davon Wind und ging energisch gegen eine Veröffentlichung vor. Bevor das Werk erscheinen konnte, mussten acht Manuskriptseiten gestrichen werden – eine arge Verstümmelung durch die preußische Zensur.
E. T. A. Hoffmann trank in seinem kurzen Leben sehr viel Alkohol. Er liebte den Champagner, trank aber auch reichlich Wein und Punsch. Bier lehnte er ab, das hielt er für zu „beruhigend, beschwerend und einschläfernd“. Er trank, meinte sein Freund Hitzig, um sich zu „montieren“ (geistig in Rage zu bringen), doch „schreibt der Alkohol nicht für ihn, sondern in ihm“.
Am 25. Juni 1822, vor 200 Jahren, starb das Universalgenie E. T. A. Hoffmann in seiner Wohnung. Wir wollen deshalb an ihn denken und uns einen Punsch gönnen, für den er sogar das Rezept im Märchen „Der goldene Topf“ lieferte. Darin griff der Registrator Heerbrand in die tiefe Tasche und brachte in drei Reprisen eine Flasche Arrak (Reisbranntwein), Zitronen und Zucker zum Vorschein. „Kaum war eine halbe Stunde vergangen, so dampfte ein köstlicher Punsch auf Paulmanns Tisch. Veronika kredenzte das Getränk, und es gab allerlei gemütliche muntre Gespräche unter den Freunden.“
Schlagwörter: E.T.A. Hoffmann, Frank-Rainer Schurich, Friedrich Ludwig Jahn, Kriminalgeschichte, Literatur, Musik