24. Jahrgang | Nummer 22 | 25. Oktober 2021

Antworten

Elfriede Jelinek, professionelle Nihilistin – Den Literaturnobelpreis von 2004 hatten Sie zwar angenommen, waren jedoch nicht zur Preisverleihung erschienen. Wer lässt sich schon gern für einen Akt der Selbstverstümmelung auch noch öffentlich huldigen? Denn: „Das Schreiben ist kein Genuss. Es ist das Quälende. Etwas, was man tut, wie Kotzen. Man muss es tun, obwohl man es eigentlich nicht will.“ Und wenn dann das, worüber man sich zu schreiben genötigt sieht, auch noch zum Kotzen ist – Machtstrukturen und -missbrauch, Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse, Patriarchat und Rassismus, Kapitalismus im Allgemeinen und die Verhältnisse in Ihrer österreichischen Heimat im Besonderen – dann kann man ja gar nicht mehr so viel fressen, wie man speien müsste!

Wenigstens kommt Ihnen Ihr Naturell entgegen: „Meine Kreativität kommt aus dem Negativen. Ich kann nichts Positives beschreiben.“

Jetzt sind Sie 75 geworden. Ein Glückwunsch verbietet sich von selbst, da Sie ja jede Entäußerung von Zuneigung erklärtermaßen als Körperverletzung empfinden. Belassen wir es also bei einem pandemie-banalen: Bleiben Sie gesund!

Gerd Ruge, eine Legende des Metiers – Sie waren journalistisches Urgestein beim WDR und bei anderen Medien, Reporter, Weltreisender. Ab 1950 erster westdeutscher Journalist in Jugoslawien, ab 1956 erster ARD-Korrespondent in Moskau, von 1964 bis 1969 ARD-Berichterstatter aus Washington, von 1973 bis 1976 für DIE WELT in Peking, ab 1987 wieder Leiter des ARD-Studios in Moskau. Brennpunkte allesamt, und Sie häufig am Ort des Geschehens – wie etwa am 16. Juni 1968 beim Attentat auf den US-Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy, den Sie auch persönlich kannten.

Die Sowjetunion und Russland, wo Sie insgesamt 14 Jahre verbrachten, die Menschen dort, lagen Ihnen besonders am Herzen. Auch nach ihrem offiziellen Ausscheiden aus dem Beruf meldeten Sie sich von Moskau bis Kamtschatka immer wieder mit Reisereportagen.

Ihr Stil war – trotz unverkennbar näselndem Timbre – prägend für ganze Journalistengenerationen: unaufdringlich, neugierig, empathisch. „Ein Reporter muss sich nicht selbst in den Vordergrund spielen“, lebten Sie Ihr Credo.

Zahllose Fans hatten Sie auch in der DDR, für die das von Ihnen mit aus der Taufe gehobene und moderierte Magazin Weltspiegel sonntags ein Muss war.

Jetzt sind Sie, 93-jährig, verstorben.

Wir halten es mit Ihrem Duzfreund Michail Gorbatschow: „Gerd Ruge ist ein Mensch hoher Moral […], vor dem man den Hut zieht.“

Abdulrazak Gurnah, tansanischer Literaturnobelpreisträger 2021 – Die Bekanntgabe Ihres Namens durch die Schwedische Akademie am 7. Oktober 2021 – übrigens am 72. Jahrestag der Gründung der DDR, eines (inzwischen weithin) anderen unbekannten Wesens – sei der journalistische Supergau für die Literaturkritiker der deutschen Feuilletons gewesen, so die Kulturpresseschau des Deutschlandfunks. Denn: mutmaßlich nicht einer von ihnen hatte Ihren Namen zuvor je gehört.

Lange Artikel über Sie – einen Autor, den man nicht gelesen hat, – sind trotzdem geschrieben worden. Doch das ist nun wahrlich ein alter Hut. Schon Karl Kraus wusste bekanntlich: „Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten.“

Norbert Röttgen, Söders Wunschkandidat Im Jahre 2010 waren Sie von der Bunten zum George Clooney der CDU geadelt worden. Wenig später hatten Sie die Landtagswahl in NRW in den Sand gesetzt und buken fortan kleinere Brötchen.

Und apropos graumeliert: „Wenn die Haupthaare des Mannes an Spannkraft und Farbe verlieren“, so ein Kollege in der Süddeutschen Zeitung, „erhöht sich paradoxerweise deren Symbolwert. Was wird dem ergrauenden Schädelbewuchs nicht alles angedichtet: Weisheit, Würde, Sicherheit, Eleganz, Wohlstand, Magie, Intelligenz.“ Vieles davon sei „arg an den grauen Haaren herbeigezogen“, deren Ursache im Übrigen ziemlich profan ist: altersbedingter Ausfall der Melanin-Produktion in den Kopfhaut-Follikeln.

Im Frühjahr 2021 unterlagen Sie mit Ihrer Kandidatur für den CDU-Vorsitz, doch nach dem Debakel vom 26. September werden die Karten gerade neu gemischt. Und Medienberichten zufolge sähe Markus Söder, Bayern-Champion mit Ambitionen nach noch viel Höherem, Sie gern als nächsten Chef der Schwesterpartei. Ihnen fehle nämlich das politische Gewicht, um dessen Stellung als Alphatier der gesamten Union ernsthaft infragezustellen.

Da haben Sie dem Markus jetzt aber gleichmal einen vor den Bug verpasst: „Die CDU hat in Deutschland außerhalb von Bayern gerade noch knapp 19 Prozent erreicht, gemeinsam mit der CSU haben wir in ganz Deutschland 24,1 Prozent geholt. Der Anteil der CSU beträgt also fünf Prozentpunkte unseres Wahlergebnisses.“

Völlig ungeachtet dieser „gerade noch knapp 19 Prozent“ sehen Sie allerdings unverdrossen „nach wie vor eine große Zukunft für die CDU“. Vor allem mit dem richtigen Kopf an der Spitze: „Es kommt darauf an, wer geistig und politisch etwas zur Zukunft der CDU einbringen […] kann. Das nehme ich für mich in Anspruch.“

Da dürfte es mindestens einen geben, der Ihnen diesbezüglich fest die Daumen drückt. Und sei es auch nur, um Ihnen künftig umso besser die entsprechenden Schrauben anlegen zu können …

Sebastian Kurz, Österreichs zwischengestrandeter Überflieger – Zwar war Ihr unfreiwilliger Rücktritt vom Amte des Bundeskanzlers wegen der Massivität des gegen Sie staatsanwaltlich geltend gemachten Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit nicht zu vermeiden. Aber einerseits sind Sie nun Rekordhalter: mit nur 35 Lenzen bereits die zweite Skandaldemission als Regierungschef. Und andererseits bleiben Sie sowohl Chef der ÖVP und als auch Fraktionsvorsitzender im Parlament und werden so als Strippenzieher im Hintergrund, graue Eminenz und letztlich Schattenkanzler einfach weiterregieren, um bei der nächsten Wahl ein fulminantes Comeback zu feiern. Ganz wie nach Ihrem ersten Rücktritt. Das ist Ihr Ziel, und wir sind ganz Ihrer Überzeugung, dass dies erneut gelingen wird. Denn wie wusste schon Ihr Landsmann Karl Kraus? „Wird in Österreich ein Verfassungsbruch begangen, gähnt die Bevölkerung.“ Das schrieb der in der ersten Ausgabe seiner nachmals legendären Zeitschrift Die Fackel. Im Jahre 1899, wohlgemerkt. Und bis heute fehlen bekanntlich die Symptome, dass sich daran wirklich etwas geändert hätte.

Jan Josef Liefers, offenbar völlig Unbelehrbarer – Im Frühjahr 2021 hatten Sie sich an der Kampagne von Künstlern (#allesdichtmachen) beteiligt, die die Coronapolitik der Bundesregierung und das Agieren der Medien in der Pandemie kritisch aufs Korn nahmen und sich dafür neben heftiger Schelte auch die Forderung eingehandelt, Sie als Hauptdarsteller im Münsteraner Tatort und bei anderen öffentlich-rechtlichen Projekten gefälligst mit Berufsverbot abzustrafen.

Wenig später hatten Sie angekündigt, der an Sie ergangenen Aufforderung folgen zu wollen, sich mal in einer Klinik auf der Intensivstation anzuschauen, wie die Mediziner und Pflegekräfte dort arbeiten. Das haben Sie inzwischen getan und anschließend berichtet: „Alle Covid-Patienten hier auf Intensiv waren schwer erkrankt, dem Tod näher als dem Leben. Alle jung, von 28 bis 48 Jahre alt. Alle ungeimpft.“ Und: „Auch die beiden hochschwangeren Frauen, deren Kinder per Not-OP geholt wurden und leben, während die Mütter es nicht geschafft haben, wie ich inzwischen weiß.“ Schließlich: „Ich befürworte die Impfung Erwachsener, absolut klarer Fall.“ Auch für sie selbst, wie man weiß.

Allerdings – Sie gestatteten sich erneut einen kritischen Einwurf. Dieses Mal im Hinblick auf den regierungsamtlichen Umgang mit Ungeimpften: „Leute bis an den Rand der Erpressung unter Druck zu setzen und ihnen zum Teil finanzielle und berufliche Nachteile mitzugeben, das ist für mich unverständlich. Zumal wir eine Impfquote haben, die offensichtlich sehr viel höher ist […].“ In Deutschland gebe es nun mal keine Impfpflicht, darauf habe sich die Regierung geeinigt.

Der Gegenwind in Gestalt von Karl Lauterbach ließ nicht lange auf sich warten: „Unglaublich. Ich hatte @JanJosefLiefers noch gelobt, weil er Intensivstation besucht hatte. Das nehme ich zurück. Jetzt nutzt er den Besuch, um dem Staat Erpressung von Ungeimpften zu unterstellen. Er hat gar nichts dazu gelernt.“

Nun, was wir von Karl Lauterbach zu halten haben, daraus machen wir keinen Hehl – siehe Blättchen-Ausgabe 5/2021. Doch was wir von einem Parlament und einer Regierung halten sollen, die zwar ein Virus zur tödlichen Gefahr erklären, aber aus Schiss vor dem Wähler, der AfD oder sonstwem nicht den A … in der Hose haben, Impfen gegen Corona zur gesetzlichen Pflicht zu erheben, nur um diese dann mit einer sukzessiven Salamitaktik durch die Hintertür doch in die gesellschaftliche Realität zu entlassen, darüber rätseln wir noch.

Clemens Wergin, Chefkorrespondent Außenpolitik DIE WELT – Für wie unterbelichtet halten Sie eigentlich die Leser Ihrer Gazette? Da behaupten Sie dreist: „Die derzeitigen exorbitanten Gaspreise […] sind […] auch das Ergebnis einer russischen Verknappungspolitik. […] Das ist genau die Art von Erpressung, vor der die Kritiker der Gaspipeline Nord Stream 2 immer gewarnt haben.“

Moskau erfüllt seine vertraglich eingegangenen Verpflichtungen zur Lieferung von Erdgas nach Westen ohne Wenn und Aber. Das Gegenteil behauptet ja nicht mal ein „Wahrheits“-Äquilibrist wie Sie. Nord Stream 2 allerdings ist zwar fertig gebaut, könnte zusätzliche Mengen in Größenordnungen in die EU transportieren und damit dem derzeit zu knappen Angebot mit seinem Druck auf den Preis wirksam gegensteuern, doch die Röhren sind bisher nicht in Betrieb genommen. Weil interessierte Kräfte in Brüssel und in diversen Hauptstädten von EU-Staaten lieber den starken Max gegenüber Moskau markieren und einseitige Bedingungen stellen wollen oder sich vasallenhaft dem US-Diktat gegen Nord Stream 2 beugen.

Aber Sie liegen mit Ihrer Chuzpe wahrscheinlich doch richtig: Wer nur Blätter aus dem Hause Springer konsumiert, der kriegt die Zusammenhänge womöglich nicht auf die Reihe.

BER, der Deutschen Hauptstadt Tor zur Welt – Im Hinblick auf Sie behaupten böse Spötter ja, die zweite strategische Fehlentscheidung nach der Berufung des damaligen Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit zum BER-Aufsichtsratsvorsitzenden sei nach der gescheiterten Erstinbetriebnahme im Jahre 2011 der Verzicht darauf gewesen, Sie gleich wieder komplett abzureißen und auf einen Neubau an gleicher Stelle zu verzichten.

Das rächt sich jetzt.

Gerade hat Kollege Marcus Weingärtner (Berliner Zeitung) seine Ankunft an einem ganz normalen Tag im September 2021 folgendermaßen zusammengefasst: „Waren Sie schon mal im Hochsommer auf Kreta? Der Airport Iraklio der ansonsten wunderbaren Insel gleicht dann einem Schweinestall mit angegliedertem Flugsteig. So muss man sich die Gepäckausgabe am BER vorstellen.“ Dies sein Fazit nach folgender (hier nur sehr unvollständig wiedergegebener) Schilderung: „Einmal gelandet, begann der Ärger, und zwar ohne Verzögerung. […] Während in Italien die Gepäckausgabe gefühlt direkt neben dem Flugzeug beginnt, muss man am BER eine Viertelstunde durch das Gebäude latschen. […] Die Förderbänder, die uns in Italien so lautlos und sanft durch den ‚Aeroporto silencio‘ transportiert hatten, […] waren am BER außer Betrieb. Bewegungslos lagen sie neben dem Strom genervter Reisender auf der Suche nach der Gepäckausgabe. […] Die meisten Toiletten waren […] geschlossen. Handwagen mit Reinigungsutensilien versperrten die WC-Eingänge […]. Ich fühlte mich wie in Kalkutta. Der Lärm war ohrenbetäubend und es roch nach Schweiß, Urin und schlecht gelüfteten Gängen, als wir endlich die Gepäckausgabe erreichten. […] Es war voll, Leute riefen durcheinander, Durchsagen quäkten kaum Verständliches und an jedem Förderband warteten Menschen dicht gedrängt auf ihr Gepäck, das mit aufreizender Behäbigkeit aus dem Keller dieser Karikatur eines Flughafens ans Licht ruckelte.“

Doch immerhin – Sie sind die Beispiel gewordene Exkulpierung des Jürgen Wegmann, der für seinen Stoßseufzer „Zuerst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“ viel Häme einstecken musste. Dank Ihnen weiß man jetzt: Manchmal kömmt es einfach so …

P.S.: Wie wäre es mit einem Begrüßungswort für Reisende über dem Haupteingang?

Zum Beispiel: „Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!“ („Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“)