Diesem Dichter wurde das Leben von Feind und „Freund“ zur Hölle gemacht. Er starb mit 48 Jahren an gebrochenem Herzen. Seinem Werk erging es nicht besser. Von seinen Feinden geschmäht und schließlich totgeschwiegen, von vermeintlichen Freunden selektiert und mit vergifteten Küssen getötet, ist es heute nur schwer auffindbar.
Klar doch, „Die Partei, die hat immer recht“, werden jetzt einige abwinken. Einige wenige werden sich immerhin daran erinnern, dass „Alt wie ein Baum“ zu einem der großen Hits der Puhdys wurde. Die haben Fürnbergs „Alt möcht ich werden“ als Steinbruch benutzt. Genannt wird er von ihnen nicht. Die ungeheure poetische Kraft dieses Werkes hat zuletzt der Sänger und Poet Frank Viehweg in seinem Programm „Herbsteskommen“ (2016) gezeigt.
Viehweg kommt dankenswerterweise neben vielen anderen – Dichtern, Autoren, Literaturwissenschaftlern – in einem Buch zu Wort, das Ulrich Kaufmann und Harald Heydrich im quartus-Verlag herausgegeben haben. Die Herausgeber versuchen den ungeheuren Schuttberg des Verleumdens und Vergessenmachens, der schon zu Lebzeiten über dem Dichter Louis Fürnberg aufgehäuft wurde, abzutragen. Der Band enthält natürlich warmherzige Würdigungen der Persönlichkeit Fürnbergs. Er enthält Berichte von Zeitgenossen und Freunden über Begegnungen mit dem Dichter. Er enthält sehr genaue und kenntnisreiche Hinführungen zum poetischen, dramatischen – das ist fast vergessen! – und erzählerischen Werk Louis Fürnbergs. Diese Texte bilden einen spannenden Rezeptionsprozess ab über lange Zeit hinweg. Als Belege – nicht wegen eines vermeintlichen Autoritätsbeweises – möchte ich nur die Beiträge von Hans Richter, Wulf Kirsten und Gerhard Wolf nennen. Die Herausgeber haben Erstaunliches zusammengetragen!
Von großem Wert sind für mich die biographischen Aufsätze. Sie spannen den Bogen von Fürnbergs antifaschistischer Arbeit vor allem im Sudetengebiet gegen die Henlein-Leute bis hin zur de facto „letzten Zuflucht“: Volkhard Knigge – langjähriger Leiter der Gedenkstättenstiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora – macht Letzteres bildlich fest am Weg von Bibliothek und Arbeitszimmer des Dichters in das „Exil“ auf den Ettersberg bei Weimar. An diesem Ort töteten die Faschisten 1942 Fürnbergs Bruder Walter. Als die Fürnbergs 1946 aus dem palästinensischen Exil nach Prag zurückkehrten, fanden sie dort von der ganzen Familie niemanden mehr am Leben.
Überhaupt die Jahre in Palästina. Ulrich Kaufmann berichtet detailliert. Die Konfrontation mit einem wütend-aggressiven Zionismus muss für den deutschen Juden, für den Böhmen die Heimat blieb, schrecklich gewesen sein. Die Verse „Nie war die Lüge so gemein, / so hoffnungslos ihr Zug“ beziehen sich mitnichten auf den deutschen Faschismus. Sie finden sich im Gedicht „Ihr seht nur den Glanz von Jerusalem“. Heimat fanden die Fürnbergs in Prag nicht mehr vor. Katrin Lemke erzählt von den bitteren Enttäuschungen auch der sudetendeutschen Antifaschisten angesichts der rabiaten, seit 1943 geplanten Vertreibungen und der von den tschechischen Kommunisten nicht eingehaltenen Versprechen den eigenen Genossen gegenüber.
Dass es für die noch schlimmer kommen sollte, zeigt Jan Gerber in seinem Beitrag über Louis Fürnberg und das „Lied der Partei“. Gerber stellt das unsägliche Gedicht – von dem der Verfasser selbst ahnte, dass es ihm noch einmal sehr schaden werde – in den Entstehungskontext. Im Mai 1949 war Fürnberg – obwohl seit 1928 Parteimitglied und in den 1930er Jahren eine ihrer wichtigen Stimmen im antifaschistischen Widerstand – wider Erwarten nicht zum IX. Kongress der KSČ eingeladen worden. Er ahnte, dass das der Auftakt zu Schlimmerem sein würde. „Es ging gegen den Deutschen“, sagte Lotte Fürnberg, die Witwe, nach 1990. Nicht nur, weist Gerber nach. Es ging auch gegen den Juden. Es ging gegen den Weltbürger. Im Zusammenhang mit der „Nationalisierung“ auch der tschechischen kommunistischen Partei – zeitgleich lief Ähnliches in den anderen Ländern des Stalinschen Machtbereiches ab – verdichteten sich die schwarzen Wolken, die sich schließlich 1952 im mörderischen Prager Slánský-Prozess entladen sollten. 11 der 14 Hauptangeklagten waren jüdischer Herkunft. „Im Nachgang des Tribunals wurden Juden aus allen wichtigen Positionen des Partei- und Staatsapperates der Tschechoslowakei entfernt“ (Gerber). Die Schlinge zog sich auch um den Hals der Fürnbergs zusammen.
Die 1954 erfolgte Übersiedelung in die DDR muss aus heutiger Sicht geradezu als lebensrettender Schritt erscheinen. Böhmen blieb für Louis Fürnberg dennoch Heimat: „… jedes Glück heißt Böhmen“ („Böhmen“).
Die DDR hieß für ihn hauptsächlich Weimar. Ulrich Kaufmann widmet sich dieser Zeit, die für den Dichter mit großen Hoffnungen verbunden war, in einem großen Aufsatz. Fürnbergs wollten als Familie endlich zur Ruhe kommen, der Dichter erhoffte sich vom Eintauchen in den Kosmos der Weimarer Klassik wohl auch einen Jungbrunnen für das eigene Werk. Und die Voraussetzungen schienen im ersten Moment nicht schlecht: Er wurde Stellvertretender Direktor der Nationalen Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur. 1955 gehörte er zu den Mitbegründern der Weimarer Beiträge – der wohl lange Zeit bedeutendsten literaturhistorischen Zeitschrift in deutscher Sprache –, Mitglied der Deutschen Akademie der Künste und Generalsekretär der Deutschen Schillerstiftung. Eine Vielzahl von Funktionen. Kaufmann verweist zu recht darauf, dass all das für den gesundheitlich sowieso schon schwer angeschlagenen Dichter zum Kollaps führen musste. 1955 kam der erste Herzinfarkt.
Aber Fürnberg befand sich plötzlich auch mitten in den heftigen kulturpolitischen Auseinandersetzungen der stalinistisch geprägten jungen DDR, die ihren Tribut forderten. Christa Wolf erinnert in ihrem Buch „Stadt der Engel“ – die Textpassage ist Bestandteil des Bandes – an die Liste derer, die „an gebrochenem Herzen“ starben: Louis Fürnberg, Bertolt Brecht, F.C. Weiskopf, Johannes R. Becher … Ulrich Kaufmann weist darauf hin, dass es bei Fürnberg noch einen existenzgefährdenden biographischen Zufallsumstand gab: die Person seines Chefs Helmut Holtzhauer.
Der war von 1951 bis 1954 Vorsitzender der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten, einer Institution, die sich den „Kampf gegen den Formalismus“ und für den sozialistischen Realismus – der seinerzeitige Begriff hat nichts mit dem Methodenstreit der späten DDR zu tun! – auf das Banner gemalt hatte. Die Kommission musste schließlich als die Künste in der DDR gefährdende Einrichtung aufgelöst werden. Nachfolger wurde das von J. R. Becher geleitete Kulturministerium. Becher muss in Holtzhauer einen Todfeind gewonnen haben. Der wiederum empfand seine Berufung nach Weimar als Abschiebung. Der Fürnberg-Biograf Henri Poschmann spricht von „Abfindung“ nach dem Verlust der Machtposition.
Fürnberg scheint das alles durchschaut zu haben, steckte sich aber einen Weichzeichner vor die Brille: „Mit Holtzhauer würde ich wohl gut zusammen arbeiten. Ich schätze ihn trotz des ‚Hammers‘“, zitiert Ulrich Kaufmann einen Brief an den Freund Franz Carl Weiskopf. Das war noch in Prag geschrieben, unter dem Schock der Prozesse. Welch tragischer Irrtum! Kaufmann schildert, wie Fürnberg im Juni 1957 Holtzhauer die Kündigung auf den Tisch packte. Der hatte ihm jegliche Unterschriftsbefugnis entzogen und wollte seinen Stellvertreter einem rigiden Zensursystem unterwerfen. Eine Woche später erlitt der Dichter seinen zweiten, tödlichen Herzinfarkt.
Erschütternd, dass für das Verhältnis von Chef und Stellvertreter nicht nur das berühmte „Peter-Prinzip“ eine Rolle spielte, sondern auch ein offensichtlich bei Helmut Holtzhauer tief sitzender Antisemitismus. Kaufmann zitiert einen Tagebucheintrag Holtzhauers aus dem Jahre 1960 über „das jüdische Problem“, der einem das Blut stocken lässt. So hätte das auch Joseph Goebbels schreiben können.
Die Herausgeber nahmen das in Fürnbergs Todesjahr entstandene Kafka-Gedicht „Leben und Sterben F. K.s“ in einer von Helmut Brade gestalteten Kalligrafie in ihr Buch auf:
Von Dunkelheit zu Dunkelheit …
und kreisend ründet sich der Kreis.
Jetzt erst wird mir die Erde weit, –
wo ich mich in der Erde weiß …
Louis Fürnberg, der hochsensible Poet und große Menschenfreund fand keinen Ort. Nirgends.
Ulrich Kaufmann und Harald Heydrich haben einen bemerkenswerten Band zusammengetragen. Sie haben die sprichwörtliche Lanze für Fürnberg gebrochen. Freunde der Poesie sollten ihn unbedingt zur Kenntnis nehmen. Wissen um die Dinge vermag gerade in poesiefeindlichen Zeiten wie der heutigen Kraft zu geben.
Und ich wünsche mir einen Verlag, der den Mut aufbringt, endlich wieder einmal eine gute Fürnberg-Auswahl auf den Markt zu bringen!
Ulrich Kaufmann / Harald Heydrich (Hrsg. unter Mitarbeit von Michael und Alena Fürnberg): „Hier ist ein Dichter, hört nur!“ Louis Fürnberg. Texte zu Leben und Werk, quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2021, 352 Seiten, 24,90 Euro.
Schlagwörter: Harald Heydrich, Louis Fürnberg, Poesie, Slánský-Prozess, Ulrich Kaufmann, Wolfgang Brauer, Zionismus