Polens Regierung feiert sich selbst. Sie hole jetzt 180 Milliarden Euro ins Land – für nötige Investitionen, für die Städte, die Kleinstädte und das Dorf obendrein. Es zähle jetzt nur noch Polen, so jedenfalls die Losung, mit der überall im Lande die Ankündigung eines riesigen Aufbauprogramms plakatiert wird. Ein ganz neuer Abschnitt der Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union werde jetzt beginnen, heißt es reißerisch. Auf einem dazugehörigen Parteikonvent führte Jarosław Kaczyński der erstaunten Öffentlichkeit in Einzelheiten der Aufbaupläne ein, die zusammenfassend als „Polnische Ordnung. Neue Hoffnung“ überschrieben werden. In der demokratischen Opposition reibt man sich verwundert die Augen, denn alles mutet bereits an wie ein gigantischer Auftakt für das Wahljahr 2023.
Da der größte Teil der avisierten Finanzmittel erst 2023 und später ins Land strömen wird, gleicht der große Plan tatsächlich einem Wechsel auf die Zukunft. Die Nationalkonservativen versuchen sich frühzeitig als diejenige Kraft in Position zu bringen, die alleine in der Lage sein werde, für alle und ausschließlich im polnischen Interesse über die Verwendung der gewaltigen EU-Mittel zu befinden. Immer öfter wird regierungsseitig dabei der Vergleich mit dem Marshallplan herangezogen, der Polen damals verwehrt geblieben ist.
Kaczyński legte bei seinem Auftritt den Schwerpunkt vor allem auf Sozialpolitik und die weiterhin erforderliche Modernisierung des Landes, die nun bald kräftige Fortschritte machen werde. Im Unterschied zu früher, als vor allem mit Geldleistungen wie Kindergeld oder zusätzlicher Rentenzahlung gelockt wurde, soll es künftig vor allem um ein breit angelegtes Kreditsystem gehen, bei dem die Regierung mit Haushaltsmitteln kräftig unter die Arme greifen will. So beim Kauf einer Wohnung, denn der Wohnungsmarkt in Polen wird weitgehend von Eigentumswohnungen beherrscht. So bei der Einführung günstiger Kredite zur Finanzierung des Studiums, denn ein solches System kennt Polen bislang überhaupt nicht. Auch an umfassende Familienförderung ist gedacht, denn ab zweitem Kind sollen zeitlich befristete Zuschläge für die Kinderbetreuung ermöglicht werden. Ein umfangreiches Paket wird da geschnürt, das vor allem auf junge Wählerschichten zielt, bei denen die Nationalkonservativen in Umfragen zuletzt nur noch enttäuschend ins Ziel kommen.
Eine kühne Steuerreform soll angeblich alle entlasten, die kleineren Gehälter und Renten sowieso, aber auch den tüchtigen Mittelstand, der neu erblühen solle. Auch an die Rückkehrer aus dem Ausland sei gedacht, denn denen sollen beim Neustart in Polen spürbare Entlastungen zugutekommen. Ein derart umfangreiches Sozialprogramm hat in Polen seit 40 Jahren niemand mehr verkündet, Kaczyński stellt nun selbst in den Schatten, was an Löblichem ihm bislang zugeschrieben wird. Die Richtung indes ist klar: Das bisherige Wählerspektrum soll gehalten, empfindliche Einbrüche in der „Mitte“ sollen verhindert, bei den jüngeren Wählerschichten indes soll kräftig zugelegt werden.
In den ersten Jahren nach 2015 war das Rollenspiel noch klar: Das Kaczyński-Lager versuchte mit nationalistischer Rhetorik die eigene Hälfte zusammenzuhalten und auszubauen, um ungeniert die sogenannten Zumutungen aus Brüssel oder Berlin an den Pranger zu stellen. Die EU-Flaggen verschwanden demonstrativ für eine Weile aus den Regierungsgebäuden, eine neue Verfassung wurde verlangt, weil die alte von 1997 das Land und seine Bewohner nicht ausreichend schützen könne gegen fremdes Begehren und fremden Einfluss. Die EU sei nichts als eine imaginäre Gemeinschaft, hieß es sogar von höchster Stelle. Entsprechend konterte die Opposition, hatte zunächst leichtes Spiel mit dem klaren und offenen Bekenntnis zur EU-Mitgliedschaft und zur weitergehenden Integration.
Rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2019 änderte Kaczyński die Propagandarichtung, denn nun war plötzliche das von ihm geführte Polen das gesunde „Herz Europas“. Ein Polen, das die christlichen Fundamente der Zivilisation konsequent verteidige, sei das wahre Europa, während das andere im Westen mitsamt der gefährlichen Gender- und LGBT-Ideologie leichtfertig die Zukunft für kommende Generationen aufs Spiel setze.
Jetzt indes ist die Überraschung nahezu perfekt, denn Kaczyński schlüpfte, als er dem Land die frohe Botschaft mit dem vielen EU-Geld verkündete, in die Rolle eines Musterknaben, als wäre nie ein Sterbenswörtchen an Kritik gegenüber der Gemeinschaft über seine Lippen gekommen. Nur Bildungsminister Przemysław Czarnek zappelte unbeholfen noch ein wenig aus der Reihe, denn er kündigte im Rahmen der „Polnischen Ordnung“ den zügigen Umbau des für die patriotische Erziehung so wichtigen Geschichtsunterrichts an, in dem auch die Entwicklung der EU von einem „rechtsstaatlichen zu einem nichtrechtsstaatlichen Gebilde“ ein Gegenstand sein müsse. Ein Trostpflästerchen immerhin für Justizminister Zbigniew Ziobro, der dem gigantischen Finanzpaket im Parlament demonstrativ die Zustimmung verweigert hatte, nun aber hoch und heilig verspricht, bei der Umsetzung der „polnischen Ordnung“ fleißig mitzutun. Für Kaczyński hat angesichts der großen Absichten jeder kleinliche Streit in der Regierung fortan aufzuhören – es gehe jetzt, darauf pocht er sehr, nur noch um Polen.
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