von Peter Petras
Ein junger Mann namens Joshua Wong traf am 9. September 2019 mit dem Flugzeug in Berlin ein, kurz darauf ließ sich Außenminister Heiko Maas mit ihm fotografieren. Das Zusammentreffen fand bei einem Fest statt, das die Bild-Zeitung im deutschen Bundestag ausgerichtet hatte. Wong wurde in den deutschen Medien abwechselnd als „Demokratieaktivist“, „Hauptorganisator der Proteste in Hongkong“, „Botschafter des Hongkonger Widerstands“ oder „Hongkonger Dissident“ bezeichnet.
Die organisierende Bild-Zeitung ernannte ihn flugs zum „Freiheitskämpfer“ und sich selbst zum Akteur „auf dem Parkett der Weltpolitik“. Zum Foto der Begegnung des Außenministers mit Herrn Wong tönte sie: „DIESER Handschlag auf dem BILD-Fest löste die Krise aus“. Tatsächlich war es ein Affront gegen die China-Politik der Bundeskanzlerin. Angela Merkel war nur drei Tage zuvor von einem offiziellen China-Besuch zurückgekehrt, an dem die meisten wichtigen deutschen Konzernchefs und Wirtschaftsvertreter teilgenommen hatten. Allgemein war der Regierungschefin attestiert worden, dass sie einen diplomatischen Balanceakt vollführt hatte: einerseits wurden weitere Vereinbarungen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen, andererseits hatte sie auch in Sachen Hongkong und Menschenrechte mahnende Worte gesprochen, die die chinesische Regierung hinnehmen konnte, ohne das Gesicht zu verlieren, und das obligatorische Minimum der deutschen Innenpolitik erfüllt hatten.
Die Scharfmacher in Deutschland waren damit jedoch nicht zu befriedigen. FDP-Chef Christian Lindner, den in der innerpolitischen Szenerie monatelang niemand vermisst hatte, kam mit seiner Kritik an Merkels Chinapolitik wieder in die Schlagzeilen, Friedrich Merz, ein früherer Vorsitzender der CDU-CSU-Bundestagsfraktion, kürzlich gescheiterter Kandidat für den CDU-Vorsitz sowie Vorsitzender der „Atlantik-Brücke“, einer Lobby-Organisation der USA-hörigen Globalisten in Deutschland, forderte, das Land solle sich gegenüber China nicht „politisch weiterhin so defensiv verhalten“. Die chinesische Regierung nannte das Treffen von Maas mit Wong einen „Akt der Respektlosigkeit gegenüber China“ und eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas. Der deutsche Botschafter wurde in Peking in das Außenministerium einbestellt, der chinesische Botschafter in Berlin betonte, der „Zwischenfall“ werde „die bilateralen Beziehungen sehr negativ beeinflussen“. Außenminister Maas bekräftigte gegenüber den Medien sein Tun. Was es für die Koalition bedeutet, dass der SPD-Außenminister die Politik der CDU-Kanzlerin offen in Frage stellt, muss sich erst noch zeigen.
Wer aber ist Herr Wong? Bei Wikipedia findet sich die Information, dass er am 13. Oktober 1996 in Hongkong geboren wurde. Es heißt, bereits 2011 – also mit 15 Jahren – sei er Mitbegründer einer Aktivistengruppe gegen die Bildungspolitik gewesen, 2014 „einer der Wortführer“ der damaligen Proteste in Hongkong und nun „Generalsekretär“ einer Hongkonger Demokratie-Partei.
Das ist das Holz, aus dem in Asien Helden geschnitzt werden. Kim Il Sung, Führer des linken Widerstandes in Korea gegen die japanische Kolonialherrschaft und später Begründer der Kim-Dynastie in Nordkorea, wurde 1912 geboren. Über ihn heißt es, er habe 1927 – da war er 15 Jahre alt – einen antijapanischen Jungendverband sowie einen revolutionären Bauernverband gegründet, seit den 1930er Jahren war er dann Partisanenführer im Krieg gegen Japan. Übrigens stammen beide, Wong und Kim, aus einer Minderheit in Ostasien: sie stammen aus protestantischen Elternhäusern und wurden als Kinder in diesem Sinne erzogen. Während sich das Christentum in einem Land wie Deutschland heute in ein politisch-korrektes Wohlfühl-Gutmenschentum verwandelt hat und der vom Apostel Paulus und Martin Luther erteilte Missionsauftrag durch postkoloniale Theoriebildung entkernt und auf eine Variante auf dem weltanschaulich-psychologischen „Markt der Möglichkeiten“ reduziert wurde, hat in Gegenden wie Asien das Christentum heute noch ein missionarisches Grundverständnis, besonders seine protestantische oder evangelikale Variante. Wenn sich das dann säkular wendet, werden Aktivisten wie Kim und Wong geschaffen, der eine in einem kommunistischen, der andere in zeitgemäß antikommunistischem Sinne.
Wong durfte in Deutschland neben dem Fototermin mit Maas im Nachrichtenmagazin Heute-Journal fünf Minuten lang seine Weltsicht präsentieren, auf der Bundespressekonferenz auftreten und eine Reihe von Interviews geben. Die Weltsicht ist schlicht: er benutzt gern den Terminus „Freie Welt“, eine abgestandene Wortschöpfung des Kalten Krieges, wobei niemand weiß, wer das heute sein soll – diese „Freie Welt“ müsse Hongkong retten. Er schwadroniert von einem neuen Kalten Krieg, in dem diese Stadt die Rolle spiele, die am Ende des wirklichen Kalten Krieges Berlin innehatte. Und weil damals die Mauer fiel und die Sowjetunion zerfiel, müsse sich das in Sachen Hongkong und China wiederholen. Deutschland und die anderen europäischen Staaten sollten die Polizeigewalt in Hongkong verurteilen; dass dort schwarzgekleidete und vermummte, mit Helmen und Schlagwerkzeugen ausgerüstete Gruppen Gewalt ausüben, verniedlichte er mit Verweis auf die Polizei – wer in Deutschland so ausgestattet zur Demo erschiene, würde sofort aus dem Verkehr gezogen. Die antichinesisch programmierten Medien in Deutschland blenden dies jedoch geflissentlich aus. Deutschland solle – so weiter Wong – die Gespräche über die Handelsbeziehungen mit China aussetzen. Zuerst solle Hongkong befreit werden und „dann das chinesische Festland“.
Die Neue Zürcher Zeitung (11.09.2019) kommentierte die Vorgänge um Wong in Berlin etwas distanzierter: „Wong, der sich geschickt zu inszenieren weiß, genießt in der westlichen Öffentlichkeit hohes Ansehen. Einige Medien bezeichnen ihn gar als Anführer der derzeitigen Protestbewegung. Damit liegen sie falsch. Anders als bei den Demonstrationen vor fünf Jahren sind bisher keine führenden Köpfe der Bewegung öffentlich in Erscheinung getreten. […] Es gibt in Hongkong das hartnäckige Gerücht, dass zumindest die Drahtzieher des Sturms auf das Parlament am 1. Juli die Finanzmetropole längst verlassen und sich nach Taiwan oder in die Vereinigten Staaten abgesetzt hätten.“ Dies bestätigte Wong in Berlin indirekt: Angesichts des Handelskrieges zwischen den USA und China, „der Präsidentenwahl in Taiwan und den wachsenden Spannungen zwischen China und Deutschland“ – von denen vor seinem Aufenthalt in Berlin nichts zu verspüren war – werde „China immer zögerlicher werden, die Proteste in Hongkong niederzuschlagen“.
Damit fällt der Blick auf die weltpolitischen Konstellationen. Hongkong ist seit 1997 wieder Teil Chinas, nachdem es seit den Opiumkriegen Mitte des 19. Jahrhunderts britische Kronkolonie war, und unterliegt der chinesischen Souveränität, genießt jedoch Sonderrechte hinsichtlich innerer Autonomie. Der 1997 gewählte Begriff war „Ein Land – zwei Systeme“, die für 50 Jahre fixiert wurden. Wong und seine Leute wollen im Grunde eine dauerhafte Loslösung aus der Subordination unter Peking. Das Schwenken von britischen Fahnen auf den Demonstrationen oder von USA-Fahnen vor dem US-Konsulat zeigen das deutlich.
US-Präsident Donald Trump wollte sich eigentlich von der Strategie des Regime-Change in missliebigen Staaten seitens der USA verabschieden. Da die chinesische Führung vor seinen Handelskriegsmaßnahmen nicht eingeknickt ist, erhöhen die USA den Druck. Dazu gehören bisher das Anpeitschen der Zustände in Hongkong und die Drohung, in der Nähe Chinas US-amerikanische Mittelstreckenraketen zu stationieren. Eine weitere Front ist Taiwan. Die Volksrepublik China besteht darauf, dass auch Taiwan Teil Chinas ist. Das meint die sogenannte „Ein-China-Politik“, wobei das Angebot Pekings auch hier ist: „Ein Staat – zwei Systeme“. Das haben die westlichen Staaten bisher akzeptiert, als in den 1970er Jahren die USA diplomatische Beziehungen mit China aufnahmen, wurden die mit Taiwan offiziell abgebrochen, wenngleich die militärisch-politischen Sonderbeziehungen der USA zu Taiwan fortbestehen. Wenn sich nun die Volksrepublik in Hongkong zu einem militärischen Eingreifen veranlasst sähe, wäre das Angebot „Zwei Staaten…“ gegenüber Taiwan desavouiert. Und bei nächsten Wahlen erhielten dort jene Kräfte Aufwind, die die Souveränität der Insel erklären wollen. Für diesen Fall hatte Peking stets mit „militärischen Maßnahmen“ gedroht. Angesichts US-amerikanischer Raketenwaffen und anderer Potentiale in der Region, nicht zuletzt der US-Truppen in Japan und Südkorea wird sich Peking dies mindestens dreimal überlegen. Wenn die chinesische Regierung nicht wegen eines Einmarsches in Hongkong „das Gesicht verliert“, was in Asien besonders schwerwiegend ist, dann in diesem Moment.
Für Deutschland ist das alles problematisch. Auf Trumps Handelskriegsliste ist Deutschland die Nummer Zwei. China wäre der einzige starke Verbündete in diesem Kampf. In diesem Sinne hat Merkel in Peking agiert. Indem man ihr dieses Mittel aus der Hand schlägt und Deutschland mit Hilfe von Herrn Wong gegen China positioniert, steht es in dem allfälligen Handelskrieg ohne Verbündeten da.
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