21. Jahrgang | Nummer 16 | 30. Juli 2018

Antworten

Götz Aly, in dieser Rubrik schon des Öfteren Vorgekommener – Am 24. Juli begann Ihre regelmäßige Kolumne in der Berliner Zeitung mit diesem Statement: „Nicht immer bin ich mit der Bundeskanzlerin einverstanden. Im Fall Syrien und Russland erscheint mir ihr Handeln zu starr; die Altersbezüge steigen zum Nachteil der Jüngeren viel zu stark. Zudem ist Merkel an der Dieselkrise mitschuldig, weil sie jahrelang in Berlin und Brüssel laxe Regeln und Kontrollen durchgedrückt hat. Die Autobosse nutzten das in krimineller Weise aus. Dennoch gilt: Angela Merkel hat im vergangenen Jahr unter widrigsten Umständen und mit extrem schwierigen Partnern sehr viel für das Wohl des Landes geleistet. Ich möchte nicht ständig mit Trump, Seehofer, Putin, Orban, Söder oder Poroschenko zu tun haben, ebenso wenig mit dem Berliner US-Botschafter, den Präsidenten Polens oder der Türkei, der neuen Rechts-Links-Regierung Italiens, den Verwicklungen in Brüssel und dem von den USA angezettelten Handelskrieg. Dass die Kanzlerin in dieser Lage Tag für Tag und an vielen sehr langen Abenden ihre Pflicht erfüllt, verdient Respekt und Dank.“
In diesem Falle verzichten wir mal ganz ausnahmsweise darauf, unseren eigenen Senf  dazugeben zu wollen.

Wolfgang Ziegler, Grandseigneur in Robe – Unter den Schreihälsen und Haudegen der Berliner Anwaltschaft, so ein Kollege, seien Sie der einzige gewesen, der einen Satz auch ohne „ICH“ hatte sagen können. Sie haben nicht nur Erich Honecker, den umstrittenen Ost-West-Vermittler Wolfgang Vogel, dem Sie entgegen allgemeiner Erwartung gar eine Haftstrafe ersparten, und den Kaufhauserpresser „Dagobert“ verteidigt, sie standen auch das längste Strafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik durch – den Prozess um den Mord an dem mutmaßlichen Terroristen und V-Mann des West-Berliner Verfassungsschutzes Ulrich Schmücker, der 1976 begann und nach 591 Verhandlungstagen 1991 schließlich ergebnislos eingestellt wurde.
Zusammen mit Ihren Kollegen Nicolas Becker und dem DDR-Strafverteidiger Friedrich Wolff gelang es Ihnen, „das unwürdige Gefeilsche“ (O-Ton Gisela Friedrichsen, Nestorin in der Phalanx bundesdeutscher Gerichtsreporter) um den Gesundheitszustand Erich Honeckers durch die Aufhebung des Haftbefehls sowie die Einstellung des Verfahrens und die Ausreise des Angeklagten nach Chile zu beenden. Das war zu einer Zeit, als das Flaggschiff des gepflegten deutschen Konservativismus, die FAZ, den Ton angab: „Eine Rechtsstaatskatastrophe wäre es nicht, wenn Honecker im Haftkrankenhaus Moabit stürbe.“
Am 20. Juli sind Sie jetzt, 78-jährig zwar, doch trotzdem unerwartet, verstorben. Wir neigen unsere Häupter in ehrendem Angedenken.

Otto, the one and only – Bei Ihrem wahrscheinlich einzigen Interview im ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden sind Sie gefragt worden, wann denn (mit dem Oberton endlich) damit zu rechnen sei, dass Sie sich in das globale Ringen für die Entrechteten und Geknechteten dieser Welt einreihten. Sie: „Wenn ich erwachsen bin.“ Das war dem offenkundig völlig humorfreien Frager zu vage, denn er wollte partout noch wissen, wann Sie denn erwachsen würden. Sie: „Wie spät ist es denn?“
Dieser Tage resümierten Sie, dass alle Interviewer, die je versucht haben, hinter der Fassade von Otto etwas zu enthüllen – zum Beispiel „den Schmerz hinter dem Scherz“ – gescheitert seien: Hinter „der grinsenden Maske des ewigen Spaßmachers“ habe bei Ihnen stets nur „das lächelnde Antlitz des notorischen Narren“ gesteckt. Dazu bekannten Sie, dass politisches Sendungsbewusstsein nie Ihre Welt gewesen sei: „Das habe ich denen überlassen, die mehr Ahnung haben als ich.“
Diese Arbeitsteilung haben wir schon in unserer Studentenzeit Mitte der 1970er Jahre voll und freudigst akzeptiert, zumal ihre intellektuellen Wasserträger mit Robert Gernhardt an der Spitze garantierten, dass Ihre „wertfreie Unterhaltung“ (O-Ton Otto) auf höchstem Nonsens-Niveau stattfand. Immer, wenn ein Bandmitschnitt abgelaufen war, kannten die acht gar nicht mehr so kleinen Häwelmänner unserer Studenten-WG nur den nämlichen Ruf: „Mehr, mehr!“
Am 22. Juli sind Sie nun 70 geworden. Wahrscheinlich sind wir die letzten, die gratulieren. Aber deswegen nicht weniger herzlich!

Friedrich Küppersbusch, Durchblicker – Sie haben es uns mal wieder schmerzlich klargemacht – „Nach jüngsten Umfragen ist in Bayern sogar Merkel beliebter als Söder. Bleibt’s bis zur Landtagswahl so, kann er seinen Plan knicken, gleich darauf Horst Seehofer mit ein paar netten Worten den direkten Weg vom Porzellanladen zum Elefantenfriedhof zu weisen.“: Manchmal bleibt wirklich nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub.

Mattias Brandt, rb(Rasenballspiel)-mäßig Hardcore-Fan – Eigenem Bekunden zufolge haben Sie von der diesjährigen WM – dem zeitigsten Ausscheiden einer deutschen Mannschaft ever zum Trotz – 30 Spiele gesehen und fühlten sich „beim Endspiel wie an einem Novembernachmittag, wenn, sagen wir, Hannover 96 gegen Mainz 05 spielt“. Wünschen sich aber dennoch, „dass mindestens 64 Mannschaften im Modus jeder gegen jeden ein Turnier spielen, das vier Jahre dauert und dann wieder von vorn beginnt“. Damit dürften Sie für die marginalisierte Minderheit der Nicht-RB-Fans den Super-Gau so ziemlich getroffen haben, also jenen Punkt, wo Horror schon der Superlativ ist, dann eine lange Weile nichts mehr kommt und anschließend so ein Turnier!
Ein besonders empathischer Mensch scheinen Sie allerdings nicht zu sein, denn auf die Frage, ob Sie mit den deutschen Spielern gefühlt hätten, war Ihre Antwort diese: „Ich sah Bilder der kläglichen Rückkehr der Mannschaft am Frankfurter Flughafen – das war ein bisschen so, wie wenn man Freunde oder Verwandte abholt, die von einer missglückten Pauschalreise zurückkommen. Ihre Gesichter spiegelten die Haltung: Das war nicht das, was wir gebucht hatten. Das Hotel war scheiße, und eine Lebensmittelvergiftung hatten wir auch. Gäbe es einen Veranstalter, der verklagt werden könnte, ich glaube, sie würden es tun. Vielleicht hätte der DFB vorher eine Turnierrücktrittsversicherung abschließen sollen.“ Und: „Andererseits war es schon ein paar Tage nach dem Ausscheiden der Deutschen so, als ob die nie dabei gewesen wären. Ich erinnere mich an nichts aus den deutschen Spielen […].“
Aber da wir Ihren Kommissar von Meuffels im „Polizeiruf“ so liebten und Sie vor Jahren immerhin die Eier hatten, in dem ARD-Zweiteiler „Im Schatten der Macht“ den Ost-Spion Günter Guillaume zu geben, also jenen Mann, der Ihren Vater die Kanzlerschaft gekostet hatte, wollen wir mal Gnade vor Recht ergehen und Ihre Entschuldigung für die Häme gegenüber den deutschen WM-Kickern gelten lassen: „Letzten Endes bin ich einfach verbittert, weil uns eine Rolle zugewiesen wurde, mit der wir nie und nimmer gerechnet hätten. Ausscheiden im Viertelfinale? Ja, das hielten wir für möglich. Aber so was? Zuschauer sein fast von Beginn an? Das haben wir nicht gelernt.“

Uli Hoeneß, Münchner Bayern-Boss – Dass Sie in der Causa Mesut Özil und dessen problematischem Beitrag zu Erdogans Reputation nun auch sportlich fies nachtreten, passt sehr gut zu dem Charakterbild, dass Sie seit Jahr und Tag von sich zeichnen. Eine satirische Spitzenleistung stellt allerdings Ihre in diesem Kontext öffentlich gewordene Erklärung dar, dass – dass man den Fußball in unserem Land wieder „auf das reduzieren muss, was es ist: Sport“. Mal von der Grammatik abgesehen – schließlich waren Sie zu Ihren besseren Zeiten Fußballer und nicht Deutschlehrer! –, dies aus dem Munde des Häuptlings der geldscheffelnden und -verschwendenden Münchener „Fußball“-AG, wirklich totkomisch, um es stimmigerweise bayrisch auszudrücken.

Mila Kunis, Actrice – Eigentlich muss man Sie nicht kennen. Immerhin haben Sie indes etwas in die Öffentlichkeit geblasen, das es denn doch Wert ist, zur Kenntnis genommen zu werden. Beinhaltet es doch eine Selbsterkenntnis, die man sich in dieser Konsequenz von sehr, sehr vielen weiteren Menschen wünschen würde, wenigstens retrospektiv: „Ich war ein Arschloch in meinen Zwanzigern, und ich bin die Erste, die das zugibt.“
Was wäre gewonnen, wenn eine größere Partie an Zeitgenossen, vom jeweiligen Alterslevel ganz unbenommen, derart in sich ginge. Einem solchen Anfang würde in der Tat ein Zauber innewohnen.

Thomas Piketti, Ungleichheits-Forscher, Popstar unter den Ökonomen – Von Ihnen stammt der Satz: „Ungleichheit ist immer dann ein Problem, wenn sie exzessiv wird.“ Dem müssen wir dezent, aber nachdrücklich widersprechen! Denn in den vergangenen Jahrzehnten ist etwa in den USA folgendes passiert: 1980 verdienten dort die unteren 50 Prozent auf der Einkommensskala noch 21 Prozent der gesamten nationalen Einkommen und das oberste eine Prozent sahnte elf Prozent ab. Heute bekommen die unteren 50 noch genau 13 Prozent, und das oberste eine liegt inzwischen bei 20 Prozent. Bei den Vermögen sieht es noch viel aberwitziger aus. Und? Herrscht revolutionäre Situation, wo die unten nicht mehr so wollen wie bisher und die oben nicht mehr so können wie gehabt? Morgenrötet gar der kommende Aufstand am Horizont? Pustekuchen! Das mag natürlich mit daran liegen, dass in den westlichen Industriestaaten selbst die Ärmsten der Armen heute in der Regel nicht mehr verhungern und dass hierzulande derzeit selbst ein Hartz IV-Empfänger noch eine bessere gesundheitliche Versorgung genießt als weiland Kaiser Wilhelm vor 100 Jahren und im Übrigen durch Seifenopern, Fußball und Einkaufskanäle 24/7 sediert ist. In dieser Hinsicht könnte das Ende der Geschichte also tatsächlich erreicht sein – wie pervers die Ungleichheit auch immer sein oder noch werden sollte …

Jesus von Nazareth, der mit der unzeitgemäßen Agitation – Etwas auf den Punkt zu bringen, ist wahrlich nicht immer Ihre Stärke. Aber von hinten durch die kalte Küche ins Knie – darin sind Sie Meister von hohen Graden: „Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins von ihnen sich verirrte, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen und geht hin und sucht das irrende? Und wenn es geschieht, dass er es findet, wahrlich, ich sage euch, er freut sich mehr über dieses als über die neunundneunzig, die nicht verirrt sind.“
Unsere Generation weiß noch, was Sie damit sagen wollen, aber gegenüber der heutigen hastigen Jugend sollten Sie die Botschaft im Falle des Falles deutlich knackiger halten. Wie wäre es mit: „Gearscht sind die Loyalen!“?

Mick Jagger, Frontmann der „Rolling Stones“ – 1965 waren Sie gerade mal 22 Jahre alt und haben erklärt, mit 45 keinesfalls mehr Ihr heute längst legendäres „Satisfaction“ singen zu wollen. Das tun Sie aber noch immer noch, denn keiner der Abermillionen Stones-Fans aller Kontinente möchte darauf verzichten. Und heute sind Sie nun gar 75 Jahre alt, man mag‘s nicht glauben. Bei einer medialen Würdigung Ihres Jubiläums sind Sie unter anderem als „wandelndes Weltkulturerbe“ geadelt worden, ein Titel, dem nicht widersprechen kann, wessen Leben die Musik der „Stones“ seit sage und schreibe über 50 Jahren begleitet hat.
Bisher!