21. Jahrgang | Nummer 6 | 12. März 2018

Bemerkungen

Der Mensch

Empfangen und genähret
vom Weibe wunderbar,
kömmt er und sieht und höret
und nimmt des Trugs nicht wahr;
gelüstet und begehret
und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret;
hat Freude und Gefahr;
glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr;
erbauet und zerstöret
und quält sich immerdar;
schläft, wachet, wächst und zehret;
trägt braun und graues Haar,
und alles dieses währet,
wenn’s hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
und er kömmt nimmer wieder.

Matthias Claudius (1783)

Der Käser

Joe Kaeser ist seit 2006 im Vorstand von Siemens und seit 2013 Konzernchef. Das Unternehmen hat 386.000 Beschäftigte, seine Filialen sind über 200 Länder verteilt. Neulich saß er in Davos neben dem Amerikaner Donald Trump. Kaeser saß tatsächlich neben dem Präsidenten der USA und nicht eingeklemmt zwischen dessen Hintern und dem Stuhl.
Auf einem Foto, das in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom  4. Februar interpretiert wird, schaut Trump mit selbstgefällig verkniffenem Gesicht in die Kamera; die Augen wie Sehschlitze, hinter denen jemand, der Trump nicht heißen muss, auf irgendetwas zielt. Daneben, im Hintergrund verschwimmend, sitzt Kaeser: graues Haupthaar, Brille, aufmerksam, seriös.
Der Siemens-Boss hatte soeben seinen Kotau gemacht. Er musste sich nicht in gebührendem Abstand vor dem Kaiser niederwerfen und mit der Stirn den Boden berühren. Es genügte, dem USA-Boss ein Gasturbinenwerk auf nordamerikanischem Boden in Aussicht zu stellen. Oder waren es besser zwei?
Dass der Siemens-Vorstand vorher eine solches Werk in Görlitz für zukunftslos erklärt hatte, dürfte Trump kaum interessieren. Kaeser selbst hatte es vielleicht schon vergessen, außerdem hatte er erklärt, dass eine Werkschließung nicht vor 2023 erfolgen würde, „wenn überhaupt“, und was danach komme, „müssen wir sehen“.
Könnte er Görlitz vergessen haben? Einem Globalplayer, der er ist, rutscht das eine oder andere Segment schon mal weg. Die Welt ist groß, die Firma muss groß bleiben, die Konkurrenz ist hart.
Kurz nach dem „Weltwirtschaftstreffen 2018“ in Davos, gibt Joe Kaeser der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Die beiden Journalisten – ihnen ist ein Kotau selbstverständlich fremd – geben zu Protokoll, dass „die Anstrengungen der vergangenen Tage“ ihm kaum anzumerken sind. Ihm, Joe, der in Davos „50 Termine absolviert“ hat, „darunter auch ein Abendessen mit US-Präsident Trump“. Und auf dem schwarzen Kaffeebecher vor dem entspannten Joe steht in weißer Schrift „Joe“. Auf die Frage, ob es ihn beschäftige, dass die geplanten Entlassungen in Ostdeutschland die AfD stärken würden, sagt Kaeser unter anderem: „Mich beschäftigen die Schicksale der Menschen. Meine älteste Tochter hat vor Kurzem zu mir gesagt: ‚Papa, Jobs sind nun mal ein wichtiger Bestandteil im Leben.‘ Das hat mich echt nachdenklich gemacht.“ Das hat den Chef über 386.000 von seinem Management abhängige Beschäftigte nachdenklich gemacht? Echt? Vorher nicht gewusst, echt nicht?
Ist es inkompetent, nachlässig oder tatsächlich – nur dämlich.
Schade, dass die beiden Interviewer nicht gestutzt und mal nachgefragt haben, ob er, Kaeser, ohne den Hinweis seiner verständigen Tochter nicht darauf gekommen wäre. Dass. Er. Verantwortung. Trägt. Dass. Er. Nicht. Durchsieht.
Vielleicht ist der Mann das Opfer eines selbstgemachten Identitätsproblems. Man soll keine Witze mit Namen machen. Aber wenn statt „Joe“ auf der Kaffeetasse „Josef“ gestanden hätte, wäre der schmissige, gewissermaßen amerikanische Darstellungscharme dahin, und der Bayerische Wald käme einem in den Sinn. Und wenn er hieße, wie er heißt, „Käser“, wäre die Assoziation zum „Kaiser“ leicht schief. Belassen wir es dabei.

Samuel Kröger

Afrin und viele Fragen

In den deutschen Medien ist es recht ruhig geworden, wenn es um Afrin geht. Krokodilstränen werden vergossen wegen der Opfer in Ost-Ghouta, Assad das übliche Monster. Ab und an klingt zumindest an, dass es islamistische Rebellen sind,  die „Damaskus“ bekämpfen. Eben hatte man sie doch noch selbst bekriegt! Jedes Opfer dieses Krieges ist schlimm, aber wie steht es um die Kurden in Afrin, gegen die türkische Panzer (aus deutscher Produktion) gerollt sind oder rollen? Da Tagesschau oder heute journal kaum berichten, passiert dort wohl zurzeit nichts. Oder? Hat man schon klammheimlich die Kurden fallen lassen? Zur Erinnerung: im Kampf gegen den IS trugen sie die Hauptlast. Hat  NATO-Partner Erdogan sich durchsetzen können? Ist die „Entspannung“ im Verhältnis Deutschlands zur Türkei dem Schweigen zu Afrin zu verdanken?
Fragen über Fragen, die unsere öffentlich-rechtlichen Medien noch nicht einmal stellen, geschweige denn beantworten.

mvh

Von Toleranz

In Libanon hat ein richterliches Urteil unlängst überdurchschnittliches Aufsehen erregt. Das Bezirksgericht von Tripoli verurteilte drei junge Muslime im Alter zwischen 16 und 18 Jahren wegen Beleidigung des Christentums dazu, Teile der dritten Koransure „al-Imran“ auswendig zu lernen, in denen es um Gottes Verheißung an Maria sowie um Jesus als vormohammedanischen Propheten geht. Damit, so die selbst vom libanesischen Premier Saad Hariri für diese Entscheidung belobigte Richterin, sollten die jungen Männer über die Toleranz des Islams und die Wertschätzung Marias belehrt werden. In der Tat lässt sich das Urteil als Fortschritt interpretieren, so wie das libanesische Strafgesetz überhaupt, insofern dort auf den gegenseitigen Respekt der Religionen abgehoben wird und Akte der Blasphemie oder Verletzung religiöser Gefühle mit Gefängnis bedroht werden.
Sieht man davon ab, wie – freundlich gesagt – intolerant der Koran surenweise Anders-, vor allem aber Ungläubige behandelt, ließe sich die Einsicht, die bei den beiden Delinquenten durch das Büffeln von 200 Versen erreicht werden soll, viel leichter und vor allem umfassender durch das Verinnerlichen der Sure 109 befördern, die da in handlicher Kürze lautet:
„1. Sprich: O ihr Ungläubigen! 2. Ich verehre nicht, was ihr verehret. 3. Und ihr seid nicht Verehrer dessen, was ich verehre. 4. Ich bin nicht Verehrer dessen, was ihr verehret. 5. Und ihr seid nicht Verehrer dessen, was ich verehre. 6. Euch eure Religion und mir meine Religion.“
Indes, wie grau auch in der Religion die Theorie, ist nicht zuletzt durch vielerlei Abgleich mit der Praxis im Christentum evident.

Helge Jürgs

Populär, aber klug?

Das südafrikanische Parlament, so war jetzt zu lesen, hat sich für eine entschädigungslose Enteignung weißer Farmer ausgesprochen, eine gesetzlich gestützte Realisierung dieser Entscheidung dürfte in Kürze folgen. Tatsächlich gehören auch 24 Jahre nach dem Ende der Apartheid etwa 73 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen Südafrikas noch immer weißen Farmern, also Angehörigen einer ethnischen Minderheit des Landes – die Weißen stellen lediglich 9,2 Prozent der Bevölkerung. Zweifelsfrei widerspiegelt das eine Ungerechtigkeit. Längst nicht folgerichtig ist indes, dass die Tilgung einer solchen Schieflage mittels drakonischer revolutionärer Maßnahmen Sinn ergibt. Die Beispiele Angolas und Moçambiques, wo Enteignung und Vertreibung der vorrevolutionär allbesitzenden Portugiesen Mitte der 70er Jahre zum sofortigen Zusammenbruch der vor allem agrarischen Produktion geführt hatten, oder Simbabwes, das zunächst pragmatischer reagierte, sich dann aber durch eben eine solche Pauschalenteignung der weißen Farmer vom Getreideexporteur in einen von Hunger geprägten Nahrungsmittelimporteur ruinierte, sollten Warnung genug sein, rassistischen Populismus nicht als das Allheilmittel für Probleme zu benutzen, für die man sonst offenbar keine Lösung anzubieten hat. Im Übrigen braucht man für die verheerenden Folgen solcher Politradikalität nicht nur auf Afrika zu schauen. Was die Enteignung beispielsweise der russischen „Kulaken” für die Nahrungsgüterversorgung der jungen Sowjetunion einst nach sich zog, dürfte ebenfalls noch im Bereich zeitgenössischen Erinnerungsvermögens liegen. Aber ach, vielleicht passt hier, was in ostdeutschen Landen als Ironie gängig war: „Die Genossen werden sich schon was dabei gedacht haben.“

Heinz Konrad

Medien-Mosaik

Luther und Cranach haben es geschafft! Über die Reisen der Abrafaxe an der Seite Martin Luthers und Lukas Cranachs wollten so viele Leser Bescheid wissen, dass die Auflage des Comic-Magazins Mosaik in die Höhe schnellte und inzwischen die Westkonkurrenz überholt hat. Was lag näher, als die patenten Gnome Abrax, Brabax und Califax erneut eine Reise durchs deutsche Mittelalter unternehmen zu lassen! Das Märzheft führt das Trio auf die Spuren der Likedeeler (der Piraten, zu denen auch Klaus Störtebeker gehörte), und ein nicht leicht zu findender Schatz kann in verschiedenen Städten der Hanse zwischen Lübeck und Nowgorod versteckt sein. Nicht nur für die Abrafaxe! Auch die Leser können bei einem interaktiven Spiel mitmachen und in jedem Monat etwas gewinnen.
Die Bilderzeitschrift Mosaik hat Tradition. Der künstlerische Leiter Jörg Reuter arbeitet seit 38 Jahren mit den Abrafaxen. Stammautor Jens U. Schubert kam 1986 als Zeichner ins damalige Mosaik-Kollektiv und entwickelte eine so große Fabulierkunst, dass er nun schon das 14. Abenteuer der Abrafaxe schreibt. Das Mosaik, 1955 in der DDR als Gegenpol zu Micky Maus & Co. mit deutlichem Bildungsanspruch eingeführt, ist eine Erfolgsgeschichte!
Mosaik – Mit den Abrafaxen durch die Zeit, Nr. 507, seit 28. Februar im Handel, 3,80 Euro.

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Der heutige Essener Lehrer i.R. Dietrich Garstka hat vor Jahren ein Buch über Schüler und Lehrer in der DDR zur Zeit seines Abiturs 1956 in Storkow geschrieben: „Das schweigende Klassenzimmer“. Unter dem gleichen Titel hat es Lars Kraume verfilmt, und ihm ist ein im Vergleich mit anderen Filmen über die DDR ein aufschlussreicher Streifen über die Atmosphäre jener Jahre gelungen. Aus Protest gegen die Niederschlagung einer Revolte in Ungarn legt eine ganze Abiturklasse eine Schweigeminute ein. Lehrer und Direktor sind irritiert, unternehmen aber nichts. Nach dem Verrat eines Dritten (bis heute unter Verschluss) greift der Volksbildungsminister persönlich ein, statuiert ein Exempel und schließt die Klasse vom Abitur aus. Diese dürre Schilderung umfasst nicht das Spektrum der Gefühle, die hier kulminieren. Unterschiedliche Elternhäuser mit kleinen und großen Geheimnissen lernt man kennen, Motivlagen der Handelnden auf beiden Seiten werden relativ objektiv dargelegt. Selbst den Hardlinern werden letztlich Ideale zugestanden. Nicht zur Sprache kommt, dass in der DDR damals durchaus keine imaginäre Angst vor dem Westen herrschte, dass der RIAS aus Westberlin im Kalten Krieg, der tatsächlich ein Krieg war (RIAS-Journalist Egon Bahr: „Ich war ein Kalter Krieger“) eine Aufgabe zu erfüllen hatte, wie die DDR-Propaganda stets offenlegte. Diese Angst war berechtigt.
Schade ist, dass nicht alle künstlerischen Mitarbeiter ihre Arbeit ordentlich gemacht haben. Das fängt damit an, dass sowjetische Besatzungssoldaten nicht einfach in der Kleinstadtkneipe zechen konnten. Mit den Dialogen geht es weiter. „Frau Genossin“ war keineswegs eine Anrede unter SED-Mitgliedern. Der von Michael Gwisdek gespielte Onkel wird gegenüber der Staatsmacht lapidar als „Schwuler“ bezeichnet – dieses Wort wurde höchstens hinter vorgehaltener Hand benutzt. Das Maskenbild hat sich an den Frisuren von Halbstarken orientiert, wie sie Horst Buchholz im Westen spielte. DDR-Schüler hätten mit dieser Tolle strenge Verweise geerntet. Das Szenenbild eines anonymen Ostberliner Bahnhofs nennt ihn „Berlin“, aber Fernbahnhöfe hatten ausnahmslos einen Zusatz. Im Westberliner Kino läuft „Fanfaren der Liebe“, ein Film, der 1951, aber nicht 1956 aktuell war. Kleinigkeiten womöglich, aber sie beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit des an sich sehenswerten Films insgesamt.
Das schweigende Klassenzimmer. Regie Lars Kraume, seit 1. März in zahlreichen Kinos.

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Torsten Schulz ist von Hause aus ein Filmmensch. Er hat an der HFF in Babelsberg studiert, bei der DEFA gearbeitet, seither viele Szenarien geschrieben und auch ein paar Mal Regie geführt. Sein erster Roman „Boxhagener Platz“ (2004) wurde später von Matti Geschonneck verfilmt. Auch in seinem neuen Roman „Skandinavisches Viertel“ widmet sich Schulz einer Berliner Gegend, erzählt wieder von Kindheit und Jugend in Ostberlin. Ob wieder ein Film daraus entstehen kann? Ein Hörspiel mindestens. Doch es gibt im Roman keinen großen Spannungsbogen, der sich für den Film eignet. Trotzdem ist der Leser schnell gefesselt von der Geschichte des Matthias Weber, dessen Großeltern in der Malmöer Straße im Skandinavischen (oder Nordischen) Viertel wohnen, wo er nach und nach Familiengeheimnissen auf den Grund gehen kann. Hier entwickelt er seine Obsession für die Straßen und ihre Namen, und wo Straßennamen nicht nach Skandinavien sondern in die Neumark verweisen oder nach Personen wie Helmut Just, Willi Bredel und Paul Robeson benannt sind, tauft er sie einfach für sich um. In einem parallel laufenden Handlungsstrang erzählt Schulz vom erwachsenen Matthias, der in eben seinem Viertel Wohnungsmakler wurde und Käufern wie Verkäufern, die seiner Meinung nach die Würde des Viertels missachten, manch Schnippchen schlägt. Obwohl der Autor politische Verhältnisse anspricht –von der Nazizeit, über Mauerbau und -fall bis zur Gentrifizierung in unseren Tagen –,gewinnt die politische Komponente nie die Oberhand. Matthias und sein Umfeld sind liebe- und auch etwas geheimnisvoll geschildert.
Torsten Schulz: Skandinavisches Viertel. Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 263 Seiten, 20,00 Euro.

bebe

Eine Frau aus Arles in Berlin

Die Deutsche Oper Berlin ist gestraft. Ausgerechnet zu Heiligabend setzten die Putzfrauen unbeabsichtigt die Hauptbühne komplett unter Wasser. Weder Drehbühne noch Ober- und Untermaschinerie funktionieren, der Bühnenboden ist ruiniert. Aber das Haus spielt unverdrossen weiter. Oper lässt sich schließlich auch konzertant machen.
Bei der jüngsten Premiere, Francesco Cileas „L’Arlesiana“ (nach Alphonse Daudet) ist das wahrscheinlich für alle Beteiligten das Beste. Diesen Kitsch sollte man keinem Regisseur zumuten. Aber Cileas Musik ist wunderschön. Bis auf den letzten Takt ausgefeilte Spätromantik mit stark symbolistischem Einschlag. Der Komponist nannte das 1897 in Mailand uraufgeführte Werk zu Recht „lyrische Oper“. Musikalisch pure Poesie: Im dritten Akt singt Rosa (Dolora Zajick) ihrem in einer Schlägerei fast zu Tode gekommenen Sohn eine Art Schlaf- und Heilungslied – ein so sanftes Agieren zwischen Streichern und Oboe ist derzeit in Berlin nur vom Orchester der Deutschen Oper (Stabführung Paolo Arrivabeni) zu erleben. Cilea bewegt sich irgendwo zwischen Verdi und Puccini, Jules Massenet ist spürbar. Und natürlich Georges Bizet. Der unterlag allerdings nicht der Verführung, aus seiner Schauspielmusik zu Daudets gleichnamigem Drama (1872) eine Oper zu machen. Daudet fiel durch. Bizets Orchestersuite beherrscht immer noch die Konzertsäle.
In Cileas Oper taucht die Titelheldin nicht auf, dennoch ist der Hauptheld Federico (Joseph Calleja) so in diese vom Libretto als lose Person charakterisierte Frau verliebt, dass er sich am Schluss in einem Anfall von Liebes- und Eifersuchtswahn vom Heuboden in den Tod stürzt. Zuvor hatte er sich am Ende des zweiten Aktes mit den Worten „Bisher liebte ich dich nicht – aber jetzt liebe ich dich“ auf die Hochzeit mit Vivetta (Mariangela Sicilia) eingelassen. Noch zu Beginn des Aktes gestand sie ihm ihre Liebe, er lässt sie aber abblitzen: „Ich wurde zurückgewiesen“ („Sono respinta…“) – die große Arie der Vivetta ist ein einziger Aufschrei der weggeworfenen Kreatur. Mariangela Sicilia meistert diesen schwierigen Part bravourös. Natürlich ist es der strahlende Tenor Callejas, der sich entschieden lauter bejammert („Mi fai tanto male!“ – „Du bereitest mir solche Schmerzen!“) – das Publikum erwartete das große Lamento Federicos im zweiten Akt vom „neuen Caruso“ Joseph Calleja, und es wurde nicht enttäuscht. Diese Tenorstimme geht bis ins Mark. Aber seine Rolle ist dramaturgisch langweilig. Entschieden interessanter ist Rosa, die Mutter. Die dominiert den dritten Akt. Das liegt nicht nur am Libretto Leopoldo Marencos und dem kompositorischen Genie Cileas, das ist auch der amerikanischen Mezzosopranistin Dolora Zajick geschuldet, der zwar nicht viel mehr übrig bleibt, als des Sohnes Unglück („è un inferno“) bei fast jedem ihrer Auftritte zu beklagen – aber wie sie das macht, ihr fast stummer Aufschrei am Schluss, das ist höchste Gesangskunst. Dem Publikum war am Premierenabend ein inzwischen auch in Berlin selten gewordener Glücksmoment beschert worden.

W.B.

Magische Momente

Es verleitet zu Sprachkalauereien, wenn eine Musikerin aus Franken sich der Musik aus Frankreich widmet. Tatsächlich ist Cordula Wirkner als Tochter eines Orchestermusikers im westfälischen Hagen geboren. Im Februar 2000 wurde sie Preisträgerin des internationalen Lotte-Lenya-Gesangswettbewerbs, der von der Kurt Weill Foundation for Music in Dessau ausgetragen wird.
Die Sängerin und Violinistin zeigte schon immer eine große Affinität zu einem speziellen musikalischen Genre, dem Chanson, dessen Anfänge ja bis ins frühe Mittelalter zurückreichen. Aus dem großen Reservoir französischen Liedguts hat sie neun bekannte Stücke, ursprünglich interpretiert von Yves Montand, Dalida oder anderen, ausgewählt und mit dem Musiker Klaus Gramß am Klavier und an der Gitarre für eine CD neu eingespielt. Der Titel „Je me suis fait tout petit“ findet sich in der „Bonusversion“ mit Gitarrenbegleitung wieder.
Wer große und kleine Liebesdramen und -erklärungen, in musikalische Miniaturen verpackt, zu schätzen weiß, sollte auf diese gelungene Darbietung nicht verzichten. Und wer sich ein Bild machen will, findet auf Youtube auch spezielle Musikvideos von Cordula Wirkner. Es sind durchaus magische Momente, wenn die Fränkin aus dem reichhaltigen Liedschatz des Nachbarlandes sehr emotional anklingende Perlen herausfischt.
Cordula Wirkner: „Magie!“, Media Arte, 2017, etwa 16 Euro.

Thomas Rüger

WeltTrends aktuell

„Frauen in Führung“ ist das Schwerpunktthema im März-Heft des Journals. In jüngster Zeit haben sich vielerorts Frauen an die Spitze gesellschaftlicher Bewegungen gestellt und in einigen Staaten auch die Führung übernommen. Für einige prominente Regierungschefinnen waren 2016 und 2017 allerdings keine guten Jahre. Aufstieg und Fall der südkoreanischen Präsidentin Park Geun-Hye, die sich derzeit wegen Korruption verantworten muss, sowie den Werdegang und die dubiose Amtsenthebung Dilma Rousseffs, der Präsidentin Brasiliens, beschreibt WeltTrends exemplarisch. Analysiert werden Macht und Tragik asiatischer Politikerinnen, beantwortet wird die Frage, warum die mexikanischen Zapatistas bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen eine indigene Kandidatin unterstützen.
Mit den Ursachen der jüngsten Rebellion in Iran beschäftigt sich Ali Fathollah-Nejad im WeltBlick, während Dina Malyschewa die Bedeutung der Arbeitsmigration aus Zentralasien für Russland beleuchtet. Donald Trumps „neue“ Strategie für Afghanistan ist die Fortsetzung der USA-Politik vergangener Jahre. Im Forum diskutieren Experten, was das für Deutschland bedeutet, wie auch die Rolle Indiens in dieser Strategie.
Im Kommentar setzt sich Holger Politt mit außenpolitischen Aspekten der nationalkonservativen Wende in Polen und Ungarn auseinander. Spitzenpolitiker beider Länder lassen keinen Zweifel daran, dass es ihnen um eine „kulturelle Revolution“ im EU-Gefüge geht.

WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 137 (März) 2018 (Schwerpunktthema: „Frauen in Führung“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Blätter aktuell

In der März-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik plädiert Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis für einen neuen Internationalismus, der die globale Ungleichheit bekämpft. Nina Power beleuchtet das ambivalente Verhältnis von Feminismus und Kapitalismus – und stellt die Klassenfrage. Étienne Balibar will die EU radikal demokratisieren. Und Harald Schumann erläutert, was kritischen Journalismus vom opportunistischen »Rudeljournalismus« unterscheidet.
Weitere Themen sind unter anderem: „GroKo oder: Die doppelte Verzwergung?“, „Linke Sammlungsbewegung: Falsches Vorbild Mélenchon“, „Putin schafft sich ab“, „Gewerkschaften und die Neue Rechte“, „Die Provinzialisierung der Heimat“ und „Nahost: Deutsche Waffen an allen Fronten“ …

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, März 2018, Einzelpreis 9,50 Euro, Jahresabonnement 79,80 Euro (Schüler & Studenten 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.