20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Antworten

Jewgeni Jewtuschenko, Worte für Unsagbares Findender – Ihr Name hat sich ins Gedächtnis eingeschrieben mit zwei Gedichten. „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“ und „Babi Jar“. Ihr Werk umfasst vieles mehr, aber „Babi Jar“ hat Herzen zerrissen, wie es einem Gedicht selten so gelingt (genial ins Deutsche übertragen von Paul Celan). Und Herzen geöffnet für das Leid, das in eine nüchterne Zahl gepresst worden war. 33.000 von den Deutschen in Babi Jar bei Kiew getötete Juden. Wenn das Gedicht „Babi Jar“ erklingt, stehen sie vor uns:

Und bin – bin selbst
ein einziger Schrei ohne Stimme
über tausend und aber
tausend Begrabene hin.

Wir werden Sie vermissen, Jewgeni Jewtuschenko.

Annekathrin Bürger, die „Bardot des Ostens“ – Diese Apostrophierung, soweit sie nur auf Ihr Äußeres anspielt, war und ist keineswegs unzutreffend. Dass es jedoch dazu kommen konnte, war einem Zufall zu verdanken, der Gerhard Klein hieß, Regie führte und Sie – von Geburt her eigentlich eine Berliner Pflanze – am Stadttheater in Bernburg, wo Sie nach einer Ausbildung zur Werbegestalterin als Requisiteurin und Statistin arbeiteten, für den Film entdeckte. Sie mussten dann allerdings erst 80 Jahre alt werden, um zum ersten Mal überhaupt eine unsympathische Figur zu spielen, eine kontroll- und herrschsüchtige Mutter, ein richtiges Biest. Im Debütfilm der Hamburger Regisseurin Alexandra Sell mit dem Titel „Die Anfängerin“, der im Herbst in die Kinos kommt. Ein, in Ihrem Falle, sehr spätes Debüt – nach immerhin rund 150 Film- und Fernsehrollen. Darunter in solchen Klassikern wie „Königskinder“ von Frank Bayer (1962), „Wolf unter Wölfen“ von Hans-Joachim Kasprzik (1964) oder „Abschied“ von Egon Günther (1968), der zum Skandal geriet, weil Walter Ulbricht mit Frau Lotte die Premierenvorstellung mitten im Film empört verließ. Bevor die Wende zum Beitritt nach Artikel 23 GG missriet, gehörten Sie zu den Protagonisten der größten freiwilligen Demonstration, die die DDR je sah – am 4. November 1989 im Zentrum von Berlin. Und auch nach 1990 gingen Sie Ihren Fans nicht verloren – bis 2007 etwa als Kneipenwirtin und regelmäßige Gastgeberin eines sächselnden Tatortkommissars, der es später noch bis zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten bringen sollte. Engagement war im Übrigen für Sie auch als Neubundesbürgerin keineswegs nur eine Kategorie im Kontext künstlerischer Gagen. 1993 gründeten Sie zusammen mit ihrem Mann Rolf Römer, der im Jahre 2000 tragisch verstarb, den Verein „Waisenkinder am Don“.
„Der Rest, der bleibt“ nannten Sie Ihre 2011 erschienenen, zusammen mit Kerstin Decker verfassten „Erinnerungen an ein unvollkommenes Leben“. Am 3. April feierten Sie Ihren achten Nuller-Geburtstag. Wir wünschen nachträglich einen erheblichen Rest, der bleibt, und zwar bei bester Gesundheit und wacher Lebensfreude!

Masern, eine (immer noch!) tückische Seuche – In Frankreich muss beim Eintritt von Kindern (so sie über ein Jahr alt sind) in die Krippe, beim Übergang in die Vorschule und bei der Aufnahme in die Elementarschule jeweils der Impfpass vorgelegt und eine gegebenenfalls fehlende Masern-Impfung nachgeholt werden. Hierzulande steht diese Impfung im Ermessen der Eltern, und über das Pro und Kontra dieser Präventionsmaßnahme tobt seit Jahren eine quasi religiöse Auseinandersetzung.
Mediziner wie der Präsident des Verbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, fordern seit langem die Impfpflicht. Jetzt hat die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, den Apellen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgend, einen Vorstoß gewagt: „Der Senat wird aufgefordert, im Rahmen seiner Möglichkeiten, die Impfung gegen Masern als zwingende Voraussetzung für die Vergabe von Plätzen in Kindertagesstätten einzuführen.“
Da aber Glaubenskriegern bekanntlich auch das dämlichste Argument noch recht ist, schoss ein Teil der in der Hauptstadt derzeit mitregierenden Partei Die Linke sofort scharf zurück: „CDU will Impfpflicht wie in der DDR“. (Da kann man nur hoffen, dass diese Logik schnell Schule macht und die gleichen Parteifreunde demnächst fordern, das 50-km/h-Tempolimit in Innenstädten endlich aufzuheben – noch so ein SED-Zwangs- und -Entmündigungsrelikt!) Und Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Schelm der Berliner Linken von hohen Graden, legte noch einen drauf: Eine Impfpflicht sei grundgesetzwidrig.
Diesen Damen und Herren mindestens folgendes ins Stammbuch: Die Freiheit des Individuums, sein Leben selbst zu bestimmen, ist ganz zweifellos eine zivilisatorische Errungenschaft des säkularisierten, liberalen Westens und in unseren Breiten eines der höchsten Verfassungsgüter. Doch selbst als solches endet diese Freiheit grundsätzlich dort, wo die gleiche Freiheit anderer Individuen oder deren (auch körperliche) Unversehrtheit beeinträchtigt, geschweige denn gefährdet wird. Wer das nicht begreift oder nicht akzeptieren will, der ist selbst – um beim Wort zu bleiben – grundgesetzwidrig.

Gabor Steingart, Handelsblatt-Herausgeber und verhinderter Millionär – Das Handelsblatt-Morning Briefing aus Ihrer Feder schätzen wir nicht zuletzt deshalb, weil Ihnen neben kompetenten Wertungen häufig auch ein passender Spruch zum jeweiligen Thema einfällt. So auch am 4. April. Da nahmen Sie unter anderem den amtlichen Oberschwätzer des Nordatlantikpaktes aufs Korn: „Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg […] drängt im Interview mit unserer Zeitung darauf, den deutschen Rüstungsetat massiv zu erhöhen – von derzeit 37 Milliarden Euro auf künftig 70 Milliarden Euro. Innerhalb der Nato werde überlegt, droht er, künftig nationale Pläne zur Steigerung der Rüstungsausgaben aufzustellen. Der 58-jährige Norweger, der heute wie ein Bauchredner Trumps auftritt, war in seiner Jugend Funktionär der Sozialistischen Internationalen und Abrüstungsfreund. Eine Spruchweisheit aus dem skandinavischen Kulturkreis kommt einem in den Sinn: Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“
So weit, so trefflich. Aber bei „Wer wird Millionär?“ wären Sie jetzt raus. Denn die Schaufelträger sind zwar in Skandinavien durchaus heimisch, doch die Wiege der Kritiker derselben stand mitnichten am Polarkreis, sondern im schönen Frankreich. Und zwar irgendwo zwischen Paris (A) und Colmar (B) irgendwann in den 1960er Jahren. Da fuhr die Neue Frankfurter Schule – also nicht die ganze, aber zumindest Robert Gernhardt, F. K. Waechter und F. C. Bernstein – gerade von A nach B und vertrieb sich die Zeit mit dem Reimen von Nonsens, der zwecks späterer Verwertung einem Diktaphon anvertraut wurde. Von diesem Trip stammt etwa Gernhardts semigenialer Streich: Die schlimmsten Kritiker der Molche waren früher eben solche. Semigenial allerdings nur deswegen, weil es zuvor bereits aus Bernstein gesprochen hatte. Sie ahnen es: die Elche! Deren komplette Geburtswehen hat Bernstein später memoriert. Wenn Sie Lust auf das Ganze haben, klicken Sie einfach hier!