19. Jahrgang | Nummer 2 | 18. Januar 2016

Weltbühne-Autoren der Weimarer Republik und ihr geistiger Einfluss auf die Weltbühne ab 1946

von F.-B. Habel

Solange die ›Weltbühne‹ die ›Weltbühne‹ bleibt, solange wird hier gegeben, was wir haben. Und was gegeben wird, soll der guten Sache dienen: dem von keiner Macht zu beeinflussenden Drang, aus Teutschland Deutschland zu machen und zu zeigen, daß es außer Hitler, Hugenberg und dem fischkalten Universitätstypus des Jahres 1930 noch andre Deutsche gibt.

Kurt Tucholsky, Fünfundzwanzig Jahre, 1930

Die Weltbühne (vormals Schaubühne) ist ein schier unerschöpfliches Feld für Forschungen von Historikern, Literatur- und Kunstwissenschaftlern. Tatsache ist, dass die Weltbühne bis 1933 und Die neue Weltbühne bis 1939 häufig Gegenstand medienwissenschaftlicher Untersuchungen waren, während die ab 1946 erst in der SBZ und dann in der DDR erschienene Weltbühne nur gelegentlich und punktuell einer kritischen Betrachtung unterzogen wurde, und dann auch meist als Darstellung eines Niedergangs. Dabei nahm die Weltbühne in der nicht sehr lebendigen Presselandschaft der DDR einen besonderen Platz ein, der mit ihrer Tradition zusammenhängt. Eben diese Tradition war der Anlass, weshalb ich als frischgebackener Abiturient im Sommer 1972 Weltbühne-Leser wurde, bald Leserbriefschreiber und ab 1984 auch Autor des Blättchens. Meist schrieb ich Kritiken und Rezensionen für die „Bemerkungen“, gelegentlich auch im Hauptteil.
Ab Herbst 1989 konnte man mutiger schreiben, und so schlug ich vor, über Stefan Heyms ersten öffentlichen Auftritt in der DDR seit Jahren zu berichten. Stefan Heym? Bis das im Heft erscheint, redet niemand mehr von ihm, wurde mir in der Redaktion geantwortet. Immerhin durfte ich wenige Wochen später im Heft die Gedanken Robert Havemanns referieren, der in der DDR lange als „Staatsfeind Nr. 1“ galt.
An dem mehrmaligen Wandel über Jahrzehnte wird deutlich: Es wäre töricht, die einzelnen Phasen der Schau/Weltbühne monolithisch zu betrachten. Tendenzen änderten sich wie auch Meinungen, ob mit oder gegen die politischen Umstände. Stets waren es letztendlich Personen, Autoren, Redakteure, die Einfluss auf das Profil des Blattes nahmen. Bewusst will ich nicht nur einige wenige Starautoren, sondern auch heute weitgehend vergessene hier beispielhaft vorstellen und dabei auch auf die leicht differierenden Phasen von Schau– und Weltbühne eingehen.

*

Beim Gründer Siegfried Jacobsohn war der geistige Wandel augenscheinlich, als ihm schon vor Beginn des Ersten Weltkriegs die reine Kunstbetrachtung nicht mehr genügte. Nur behutsam gestaltete er – wohl auch unter Einfluss von Tucholsky – die Schau– zur Weltbühne um. Der Weltkrieg hatte ihn gelehrt, Kultur viel weiter zu fassen als nur Theater und Bildende Kunst zu betrachten. Als der Namenswechsel im Frühjahr 1918 vollzogen wurde, war es nur konsequent. Nach Jacobsohns Tod 1926 war ein Wechsel ebenfalls nicht deutlich spürbar. Dafür sorgten Kurt Tucholsky und auch Carl von Ossietzky, den Tucholsky heranzog, denn der hatte schon 1926 bei Jacobsohn für die Weltbühne geschrieben und vertrat politisch eine linke Position (wenn auch von denen der SPD und KPD abweichend). Der Pluralismus in der Zeitschrift blieb bis 1933 erhalten.
Rudolf Arnheim, aber vor allem Hellmut von Gerlach bestimmten im Ossietzkyschen Sinn das Profil des Blättchens während seiner Inhaftierung und Verfolgung. Damals war es wichtig, die Zeitereignisse so scharfsinnig es ging zu kommentieren. Tucholsky schrieb, „…daß es nämlich für den Wert einer Zeitschrift nicht entscheidend ist, ob sie, gedruckt im Jahre 1932, auch noch im Jahre 1989 lesbar ist, sondern daß es darauf ankommt, seine Zeitgenossen zu packen, aufzuwühlen, zu bilden und zu fassen.“

*

Nach einem Zwischenspiel mit dem ehemaligen Kommunisten Willi Schlamm (später William S. Schlamm, nach dem Krieg Chefredakteur des Tagesspiegel und kämpferischer Antikommunist), der 1933 erst die Wiener und dann die Prager Weltbühne leitete, führte der Sozialdemokrat Hermann Budzislawski, der schon in den zwanziger Jahren gelegentlich für das Blättchen geschrieben hatte, das als Die neue Weltbühne wiedergegründete Blatt 1934-39 von Prag und am Schluss von Paris aus im Sinne Ossietzkys und mit teilweise den bisherigen Weltbühnen-Autoren weiter. Budzislawski, der sich in diesen Jahren zum Kommunisten wandelte, ließ in der Neuen Weltbühne ab 1934 Politiker der KPD und SPD in Debattenbeiträgen im Sinne einer Bildung einer Einheitsfront zu Wort kommen, darunter schrieb Ulbricht unter dem Namen „Walter“, damals Mitglied des ZK der KPD. Die Debatte gipfelte in einer gemeinsamen „öffentlichen Anklage“ gegen das faschistische Regime anlässlich von Todesurteil und Hinrichtung des Kommunisten Rudolf Claus einzig wegen seiner politischen Meinung.
Hermann Budzislawski, in Frankreich interniert, entkam 1940 in die USA und kehrte 1948 in die DDR zurück, wo er unter anderem als Dekan an der journalistischen Fakultät der Universität Leipzig und Direktor des Instituts für Pressegeschichte wirkte. Er galt – das nur ein scheinbarer Widerspruch – unter den linientreuen Journalisten als ein Liberaler. Von seiner Emeritierung 1967 an leitete er noch vier Jahre als Herausgeber und Chefredakteur, danach nur noch als Herausgeber die Weltbühne.
Wer die Inhaber des 1946 gegründeten Betreiberverlags Ossietzky & Co. waren, blieb lange öffentlich unbekannt. Inzwischen scheint es geklärt. Die Witwe Maud von Ossietzky, konnte in der sowjetischen Zone Die Weltbühne neu gründen. Schon damals versteckte sich die KPD hinter dem „& Co.“ Später übernahm der Berliner Verlag, der in SED-Besitz war, die Hauptanteile. Somit war die Weltbühne ein SED-Blatt geworden, das freilich häufig „an der langen Leine“ gehalten wurde.
Der politischen Führung im Osten war es wichtig, Linksintellektuelle in beiden deutschen Staaten anzusprechen, über die faschistische Vergangenheit aufzuklären und vor allem die Aktivitäten der Alt- und Neo-Faschisten in der Bundesrepublik aufzudecken.
„An Stelle der negativen Aufgabe des Verteidigungskampfes der alten ‚Weltbühne‘ gegen die in den letzten Jahren vor 1933 von allen Seiten mächtig angreifende Reaktion übernehmen wir heute die positive Aufgabe des Kampfes für den demokratischen Wiederaufbau Deutschlands für den Frieden unter den Nationen“, schrieb Maud von Ossietzky im Geleitwort der ersten Nachkriegsnummer am 4. Juli 1946. (Bis in die fünfziger Jahre hinein ergriff sie gelegentlich das Wort im Blättchen, nicht nur zu antifaschistischen Themen, auch über das Bild der Frau in der neuen Gesellschaft.) Im ersten Heft findet sich an zweiter Stelle ein Carl von Ossietzky gewidmetes Gedicht von Erich Weinert. Der seit Jacobsohns Zeiten immer wieder in der Weltbühne vertretene Autor, der bis zu seinem Tod 1953 der Weltbühne verbunden blieb, endete mit der Strophe:
Der Platz, wo er gewirkt, ist nun verwaist. / Doch lebt sein Vorbild, das Verpflichtung heißt. / Wie könnten besser wir sein Werk verwalten, / Als daß wir sein Vermächtnis heilig halten / In seinem Namen und in seinem Geist!“

*

Mit einem Gedicht zum 10. Todestag von Maxim Gorki war Karl Schnog in Heft 2 vertreten. Er ist ein weiterer Weltbühnen-Autor, den ich hervorheben möchte und der heute zu Unrecht weitgehend vergessen ist. Der 1897 in einer jüdischen Handwerkerfamilie in Köln geborene Schauspieler, Rezitator und Conférencier gründete in den zwanziger Jahren mit Erich Weinert und Leon Hirsch die links engagierte Truppe „Die Wespen“ und gehörte mit Walter Mehring, Ernst Toller und Klaus Mann zur „Gruppe revolutionärer Pazifisten“, deren Hauptsprecher Kurt Hiller und Helene Stöcker waren. Dadurch kam Schnog 1925 auch zur Weltbühne, für die er mit Unterbrechungen bis 1963 schrieb. „Man nannte ihn den ‚Nonpareille-Dichter. Die politischen Zeitgedichte, in Nonpareille gesetzt, waren über viele Jahre hinweg der Schlußpunkt des Heftes“, charakterisierte ihn Ursula Madrasch-Groschopp, die langjährige Redaktionssekretärin. Über den Kabarettisten schrieb Reinhard Hippen: „Als Conférencier, Plauderer und Versemacher war Karlchen, wie ihn die Freunde nannten, die Seele der Truppe, der immer wußte, wo´s langging, wenn die Nummern mal durcheinandergerieten, zur Not mit Tünnes- und Schääl-Witzen, und der improvisieren konnte.“
Nach der „Machtübernahme“ 1933 fand Schnog erst in der Schweiz, dann in Luxemburg Zuflucht, und schrieb für deutsche Exilzeitschriften. Dort wurde Schnog nach dem Einmarsch deutscher Truppen verhaftet und ins KZ Dachau verbracht. Er  habe in Dachau „das Härteste mitgemacht, was man in diesem ‚Traditionslager‘ überhaupt erleiden konnte“, schrieb er in der Weltbühne Nr. 15 von 1947. „Mißhandlungen, Schmutz und schwere Krankheiten (Plegmone und Krätze). Am Pfahl wurde ich aufgehängt und schließlich doch auch in die Plantage geschickt, wo man mich innerhalb drei Tagen zum Krüppel schlug.“ Schnog musste noch Sachsenhausen und Buchenwald erdulden (wo er u.a. gemeinsam mit Bruno Apitz ein Lagerkabarett organisierte), und nur durch wohlmeinende Kameraden wurde sein Leben gerettet.
Apitz trug damals im Lagerkabarett Schnogs Text „Na ja! – Klagelied eines Häftlings“ vor, dessen letzte Zeilen lauten:

Ich gewöhne mich nicht an das Flitzen
Und an Schlaf zu dritt in einem Bett.
Und an zwanzig Mann im Lokus sitzen.
Nein – ich lerne niemals ganz KZ – na ja!

Und im dort entstandenen Gedicht „Jedem das Seine“ heißt es:

Die Herren haben wirklich Humor
In diesen bitteren Zeiten:
„Jedem das Seine“ steht höhnisch am Tor,
durch das die Häftlinge schreiten.
[…]
Dem Häftling – der Hunger, die Angst und die Last,
Die Marter, die viehischen Witze;
Das Essen, das Baden, das Schlafen in Hast
Und schließlich die mordende Spritze.

Ihr Herren, die ihr heute noch grient,
Glaubt mir, was ich schwörend beteure:
Einst holt der Häftling, was er verdient.
Und ihr? Ihr bekommt dann das Eure!

Karl Schnog kam 1946 wieder nach Berlin. Ähnlich wie Tucholsky, der nach dem Ersten Weltkrieg die Redaktion des Ulk leitete und dort auch bitterernste Texte, wie „Krieg dem Kriege“ veröffentlichte, brachte Schnog als Chefredakteur der von Herbert Sandberg (der ebenfalls Buchenwald überlebt hatte) und Günter Weisenborn (später gelegentliche Weltbühnen-Autoren) herausgegebenen Satire-Zeitschrift Ulenspiegel auch ernste Themen zur Sprache.
In der Weltbühne erinnerte er in diesen Jahren immer wieder an die Zeit in den Konzentrationslagern, an Kameraden und Genossen, die er hier kennenlernte. Das fand nicht bei allen Lesern Anklang. Einmal zitierte er aus seiner Post: „Und haben wir nicht genug zu tun, wenn wir uns mit unserem gegenwärtigen Leid befassen? Leiden wir nicht heute in gewisser Weise genauso oder vielleicht noch mehr als die bedauernswerten Menschen von damals?“
Am 23. August 1964 ist er an den Folgen der in deutschen KZs erlittenen Torturen gestorben. In dem Gedicht „1848“ schrieb er: „Führt einmal Euren eignen Kampf zu Ende. Es lohnt!“
Wenn ich hier ausführlicher auf Schnog einging, so deshalb, weil er mit seinen Erlebnissen, seinem antifaschistischen Engagement stellvertretend für eine ganze Reihe von Remigranten steht, die das Profil der Weltbühne damals und bis in die fünfziger, sechziger Jahre mitbestimmten.

*

Von 1913 bis 1966 in Abständen für die Schau– und Weltbühne tätig, war Arnold Zweig wohl der langjährigste Autor der roten Hefte. Schon auf 1914 datiert die kollegiale Freundschaft zu Tucholsky, der Zweig im Dezember 1935 einen seiner letzten Briefe schickte. Zweigs Antwort an den nun schon verstorbenen Tucho druckte Die neue Weltbühne 1936.
„ Arnold Zweig unsern Gruß! Sein Buch ist voll wärmster Güte und voller Mitgefühl, voller Skeptizismus und voller Anständigkeit, voller Verständnis und oft voller Humor“, hatte Peter Panter 1927 in der Weltbühne in seiner Rezension des Romans „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ geschrieben. Die Weltbühne druckte nach dem Krieg als erste Zweig-Texte seine Erinnerungen „Gestern, heute, morgen“ in mehreren Fortsetzungen 1950, in dem Jahr, als dem aus dem Exil in Palästina Zurückgekehrten der Nationalpreis der DDR verliehen wurde. Zweig war bis 1967 Volkskammerabgeordneter, Mitglied des Weltfriedensrates, Präsident und Ehrenpräsident der Akademie der Künste. Für die Weltbühne schrieb er noch ab und an, meist zu historischen Anlässen. Es gibt Aussagen, wonach er einzelne Entwicklungen in der DDR skeptisch sah, aber zum Opponieren fehlte ihm die Kraft, vielleicht auch die Überzeugung.

*

„Wie Walter Hasenclever starb“, hieß ein Erlebnisbericht, den die Weltbühne im letzten Heft des ersten Nachkriegsjahrgangs abdruckte. Es handelte sich um Auszüge aus einem Buch von Lion Feuchtwanger, der ab sofort wieder zu den Weltbühnen-Autoren zählte. In Feuchtwangers erster Schaubühnen-Zeit wagte Tucholsky kaum, zu ihm aufzublicken: „Ich hätte damals noch nicht gewagt, auch nur einen Beitrag einzureichen und fühlte mich doch schon völlig als zur Familie gehörig – das da ging uns alle an. Welche Grazie! welche Leichtigkeit noch im wuchtigen Schlag! welche Melodie! – alles Eigenschaften, die den Schreibenden bei dem schlechtem Typus des Deutschen höchst verdächtig machen. Den Nobelpreisträger legitimiert der Schweiß.“
Feuchtwanger blieb seit 1908, als seine Münchner Zeitschrift Der Spiegel mit Jacobsohns Schaubühne fusionierte, über die Exiljahre der Weltbühne hinweg bis zu seinem Tode 1958 einer der kontinuierlichsten Autoren des Blättchens, wenn auch einige seiner Beiträge Nachdrucke waren, etwa aus dem New Yorker Aufbau. Hier erschien seine Polemik zu dem perfiden Nazi-Film „Jud Süß“, der das Thema eines seiner Romane aufgriff. (Der Feuchtwanger-Roman war 1934 in Großbritannien mit Conrad Veidt verfilmt worden, während sich der Nazi-Film an Wilhelm Hauffs antisemitisch gefärbtem Stoff hielt.) Der Autor sah in dem Veit-Harlan-Film von 1940 eine Beschmutzung von Kunst und Kultur an sich: „Sonderbarerweise verlumpt gleichzeitig mit der Seele auch die Kunst. Sonderbarerweise kann ein guter Schauspieler nicht gegen seine Überzeugung spielen, ohne ein weniger guter Schauspieler zu werden.“

*

Mit einer kritischen Betrachtung der Nachkriegsfilmentwicklung meldete sich 1947 auch Fritz Erpenbeck (der Großvater der Autorin Jenny Erpenbeck, die heute in aller Munde ist) zu Wort. Erpenbeck war 1935 von Budzislawski für Die neue Weltbühne gewonnen worden, arbeitete im Exil beim Moskauer Rundfunk und kam 1945 mit der Gruppe Ulbricht (zu der ja auch der zeitweilige Nachkriegs-Weltbühnen-Autor Wolfgang Leonhard zählte) nach Deutschland zurück. Der künstlerisch sensible Autor, seit 1927 KPD-Mitglied und in den Nachkriegsjahren mit mehreren Parteifunktionen betraut, blieb nicht frei von dogmatischen Auffassungen. So machte er sich mit seiner fast vorsichtigen Polemik zu Brechts „Mutter Courage“-Stück, die in Nr. 3/49 in der Weltbühne erschien (sekundiert von Walther Victor), Feinde. Freilich korrespondierte er auch mit Brecht, um ihn von seinen Auffassungen zu überzeugen.
Bis 1973 erschienen noch Beiträge Erpenbecks in der Weltbühne. Kurt-Tucholsky-Preisträger Lothar Kusche schrieb dort anlässlich von Erpenbecks Tod 1975 vielsagend: „F.E. war zeitlebens ein leidenschaftlicher Sozialist, der stets nach bestem Können, Wissen und Gewissen überall da seinen Mann stand, wo die Partei des Sozialismus ihn brauchte. Vielleicht hat ihm das nicht immer nur Freude gemacht …“

*

Der erwähnte Walther Victor (1895-1971) war in der Weimarer Republik sozialdemokratischer Zeitungsredakteur und lebte ab 1933 in der Illegalität. Kurt Tucholsky kannte und schätzte ihn: „Es gibt heute schon eine Reihe vernünftiger und mutiger Provinzredakteure, unter denen ich Walther Victor in Zwickau einmal obenan nennen möchte, sie fangen nicht ohne eignes Risiko die Bälle auf, die von hier aus geschleudert werden, und geben sie weiter.“
Nach kurzzeitiger Haft erlitt Victor wie so viele andere Weltbühnen-Autoren das Leben eines Flüchtlings, gelangte über die Schweiz, wo er ausgewiesen wurde, über Luxemburg, Frankreich und Portugal 1940 in die USA. Seit seiner Rückkehr 1947 schrieb er verstärkt für die Weltbühne, die das Thema seines ersten 1947 in Fortsetzungen veröffentlichten Aufsatzes „Die Drei von der WELTBÜHNE“ war und in der er die drei großen Herausgeber würdigte: „Wenn ich Siegfried Jacobsohn verehrte, Ossietzky bewunderte, so habe ich ‚Tucho‘, den ich nie sehen sollte, geliebt. Er schrieb die angriffigste Prosa und die schmissigsten Verse dem deutschen Spießer mitten ins Gesicht.“ Victor war 1922 Weltbühnen-Autor geworden und blieb es bis 1963. Er lebte als Publizist in der DDR, und ihm ist als Herausgeber der Band „Tucholsky. Ein Lesebuch für unsere Zeit“ zu verdanken, der 1953 in Weimar erschien und mehrere Auflagen erlebte.

*

Auch ideologische Verirrungen gab es in diesen Jahren durchaus von langjährigen Weltbühnen-Autoren. Der Dichter Rudolf Leonhard, seit 1916 dabei, 1919 kurzzeitig Parteifreund von Tucholsky in der USPD, war enger Freund von Walter Hasenclever. Kurt Tucholsky, der ihm freundschaftlich verbunden war, hat ihn in seinen Briefen als „dammlicher Hund“ oder „geliebter Lull“, „sehr geehrter Lümmel“ oder schlicht „Dicker“ angesprochen und sich mit ihm „sinnlos betrunken“. Als der auch in Le Vernet internierte Leonhard 1950 in die DDR übersiedelte, bekannte er sich in der Weltbühne explizit dazu, ein Stalinist zu sein: „Wenn wir das mit der Leidenschaft, die er verdient, und die wir ihm gegenüber zu haben verdienen, sagen, wirft man uns ‚Stalinkult‘ vor. Aber jeder, der feindlich oder herablassend spricht […], müßte sich zuerst fragen: ob nicht Stalin, ganz einfach diesen ‚Kult‘ verdient?“ Soll man dem Ex-Westemigranten zugutehalten, dass er zu wenig informiert war, obwohl seine erste Frau Susanne Leonhard unter Stalin immerhin zwölf Jahre im sibirischen Lager Workuta zubringen musste? Der schon schwerkranke Leonhard starb noch im Jahr von Stalins Tod und hat die Abrechnung mit dem Diktator nicht mehr erlebt.

*

Bemühungen der Weltbühne, ihrem internationalen Anspruch gerecht zu werden, trugen durchaus Früchte. Korrespondentenberichte aus aller Welt waren willkommen, auch aus den deutschsprachigen Nachbarländern. So schickte Bruno Frei (1897-1988), Weltbühnen-Autor seit 1922, bis in sein 90. Lebensjahr von Wien aus seine Betrachtungen an das Blatt. Dass sie seltener wurden, lag nicht an seinem Alter sondern an redaktionellen Vorgaben der Weltbühne, denen er nicht nachkommen wollte.
Der Schweizer Marcel Brun (1928-2006) kam 1949 zur Weltbühne und unternahm in deren Auftrag Reportagereisen durch Westeuropa und Afrika. Bald schrieb er unter seinem Pseudonym Jean Villain. Von seinem Wohnsitz in der Uckermark aus belieferte er bis zu seinem Tode auch den Weltbühnen-Nachfolger Ossietzky. Er empfahl in den fünfziger Jahren Harry Gmür (1908-1979) an die Weltbühne. Unter diesem Namen hatte er 1936 bereits für die Neue Weltbühne geschrieben, wurde jetzt aber unter dem Pseudonym Stefan Miller ein gern gelesener Autor des Nachfolgers in der DDR.
Damir Skenderovic schrieb 2010 in einer Veröffentlichung des Instituts für Geschichtswissenschaft über Gmür: „Vor allem aus Afrika berichtend, vermittelte er als Stefan Miller eindrückliche Stimmungsbilder und scharfsinnige Analysen der dortigen Dekolonisationsprozesse und porträtierte deren Protagonisten wie Nnamdi Azikiwe (Nigeria), Jomo Kenyatta (Kenia), Kwame Nkrumah (Ghana) und Julius Nyerere (Tansania). Da es im Interesse der damaligen DDR lag, ihre weltpolitische Isolation zumindest im Kreise der neu entstehenden afrikanischen Staaten zu durchbrechen, wurde Gmür mit seinen informativen Berichten, geschrieben in einem gut lesbaren, nüchternen, zuweilen leicht ironischen Stil, von den DDR-Zensurbehörden nur selten belangt. Im Gegenteil, seine Text fanden lobende Anerkennung bei den so genannten ‚Gutachtern‘ des DDR-Regimes, die auch sein unerschütterliches Bekenntnis zum Sozialismus schätzten.“

*

Wechselweise von der Partei (und den Lesern) geliebt und kritisiert war ein Autor der Nachkriegs-Weltbühne, der zu einer ganzen Familie von Weltbühnen-Autoren zählte: Jürgen Kuczynski. Schon sein Vater, der Ökonom und Demograf René Robert Kuczynski zählte in den zwanziger Jahren zu den wichtigen Autoren des Blättchens. Er war parteilos, und Walter Rathenau charakterisierte ihn mit den Worten: „Kuczynski bildet immer eine Einmannpartei und steht auf deren linkem Flügel.“ Auch Jürgen Kuczynski schrieb damals gelegentlich in der Weltbühne, anfangs noch gemeinsam mit seiner Frau Marguerite. Kuczynski, von Haus aus Wirtschaftswissenschaftler, galt nach seiner Rückkehr aus der britischen Emigration als der letzte Universalgelehrte in der DDR. Seit den fünfziger Jahren und besonders seit seiner Emeritierung 1968 schrieb der „Querdenker und fröhliche Marxist“ oder „linientreue Dissident“, wie er sich nannte, wieder für die Weltbühne über kulturhistorische und gesellschaftspolitische Themen bis 1990. Im Jahr der Null-Nummern der Weltbühnen-Nachfolger Blättchen und Ossietzky 1997 starb der bis zuletzt produktive Publizist. Für beide Nachfolger arbeitet von Anfang an sein Sohn Thomas Kuczynski, ebenfalls Ökonom, der die rund 70 000 Bände umfassende Bibliothek seines Vaters der Berliner Zentral- und Landesbibliothek übereignete.
Damit hat sich zumindest äußerlich ein Kreis geschlossen.

Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den unser Autor auf der wissenschaftlichen Jahrestagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft hielt, die im Oktober 2015 in Berlin stattfand. Der volle Wortlaut wird 2016 im Tagungsband „Verirrte Bürger? Kurt Tucholsky und der Weltbühne-Kreis zwischen Bürgertum und Arbeiterbewegung“ im Verlag Ille & Riemer in Leipzig und Weißenfels erscheinen.