28. Jahrgang | Nummer 15 | 8. September 2025

Im Kampf gegen Regierung und Verfassung

von Jan Opal, Gniezno

Polens Präsident Karol Nawrocki ist kein Freund umständlicher Worte, er liebt den forschen Gang drauf zu. Zu seinen Forderungen gehört, dass die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk aufgibt. Die habe, so der Präsident, keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung, Neuwahlen seien angeraten. Zwar sitzt die Regierungskoalition im Parlament fest im Sattel – Tusk hatte kurz nach Nawrockis Wahlsieg im Juni die Vertrauensfrage gestellt und klar gewonnen –, doch in aktuellen Umfragen hat sie keine Mehrheit mehr. Magere Umfrageergebnisse sind allerdings auch in Polen kein Grund, die Regierungsarbeit aufzugeben.

Das schärfste Schwert, mit dem Polens direkt gewählter Präsident die Regierungsarbeit stören kann, ist das Veto gegen die im Parlament verabschiedeten Gesetzesvorlagen. Um Gesetzeskraft zu erlangen, braucht es die Unterschrift des Präsidenten. Verweigert er die, kann das Parlament ihn noch einmal überstimmen – allerdings nur mit einer Zweidrittelmehrheit. Seit Amtsantritt Anfang August hat Nawrocki bereits mehr Präsidentenvetos eingelegt als Amtsvorgänger Andrzej Duda in der Zeitspanne vom Herbst 2023 bis zum Ende der Amtszeit, also seit Beginn der Tusk-Regierung. Das zeugt von der scharfen Gangart, die im Präsidentenpalast jetzt eingeschlagen wird.

Präsident Nawrocki ist erklärter Anhänger der Präsidialrepublik, also eines Systems mit direkt gewähltem Präsidenten, dem die Regierungsarbeit unterstellt ist. Hier zieht die Verfassung von 1997 aber eine strikte Grenze, die Regierungsbildung obliegt ganz dem Sejm, der entscheidenden Parlamentskammer. Insofern hat der Präsident kaum direkten Einfluss auf die Regierungsarbeit, wobei es in der Verfassungsarchitektur durchaus Überschneidungen gibt, so beispielsweise im Feld der Außenpolitik. Dieses untersteht dem Regierungschef und seinem zuständigen Minister, aber laut Verfassung ist der Präsident immerhin der Schirmherr für die Souveränität des Landes, für die Sicherheit des Staates und seiner Grenzen. Im nationalkonservativen Lager wird deshalb seit langem gefordert, eine neue Verfassung auszuarbeiten, weil ja die ganze Frage von nationaler Souveränität und Beitritt zur Europäischen Union nicht ausreichend geregelt und die Zuständigkeit des Präsidenten unzulässig beschnitten sei. So erklären sich zwei zentrale Forderungen der Nationalkonservativen: eine neue Verfassung in Polen und eine EU als Verbund souveräner Vaterländer, also ohne die weitergehende politische Integration.

Der Weg zur Verfassung von 1997 kann kurz so beschrieben werden: Nach den Parlamentswahlen vom 4. Juni 1989, die in Teilen frei waren und die mit einem moralischen wie politischen Sieg der „Solidarność“-Opposition endeten, wurde nach einem Kompromiss gesucht, den auch Moskau schlucken konnte. Tadeusz Mazowiecki führte also die erste nichtsozialistische Regierung im sowjetischen Einflussbereich, doch Wojciech Jaruzelski wurde im Parlament zum Präsidenten gewählt, dem obendrein die Berufung dreier Minister zugebilligt wurde: für Äußeres, für Inneres und für die Verteidigung. Nach dem Zusammenfall des sowjetischen Einflussgebiets in Mitteleuropa im Herbst 1989 wurde diese Rücksichtnahme insoweit korrigiert, weil der Präsident ab Herbst 1990 nun frei und direkt gewählt werden konnte. Für die Besetzung der drei schwergewichtigen Ministerien blieb der Präsidentenpalast zuständig. Erst die Verfassung von 1997 – ein Kompromiss zwischen den wiedererstarkten Nachfolgern der einstigen Staatspartei PVAP und dem liberal ausgerichteten Teil im zerstrittenen „Solidarność“-Lager – beseitigte dieses Privileg des Präsidenten, so dass Außen-, Innen- wie Verteidigungspolitik in die Zuständigkeit der vom Parlament ausgehenden Regierungsarbeit zurückkehrten. Der Präsident blieb aber formal oberster Souveränitäts-Beschützer, auch blieb ihm das scharfe Schwert des Vetorechts gegen Gesetzesvorlagen aus dem Parlament.

Zu den Umständen der Verfassung von 1997 gehört, dass an ihrer Ausarbeitung das konservative bzw. rechtskonservative Lager nicht beteiligt war, was durchaus ein Ausdruck des damaligen Kräfteverhältnisses im Parlament gewesen war, sich aber später als Geburtsfehler herausstellen sollte. Bereits damals wetterte Marian Krzaklewski, „Solidarność”-Chef und Anführer des strikt konservativ ausgerichteten politischen Arms der noch immer einflussreichen Gewerkschaft, gegen die „bolschewistische Verfassung“. Ein Ausdruck für die bereits vorhandene tiefere politische Spaltung in der Gesellschaft, die sich nach dem EU-Beitritt Polens weiter vertiefen sollte, war das Ergebnis des Referendums über die Verfassung. Bei einer Wahlbeteiligung von 42,9 Prozent stimmten 53,5 Prozent für die Annahme der Verfassung, womit sie in Kraft treten konnte.

Nawrocki wandelt in den Fußstapfen seiner nationalkonservativen Vorgänger: Lech Kaczyński wollte in seiner Präsidentschaft (2005–2010) eine „Vierte“, statt der bestehenden „Dritten Republik“, also eine neue Verfassung durchsetzen. Andrzej Duda begann im Sommer 2015 verheißungsvoll, kündigte ein baldiges Referendum über die Verfassung an. Beide scheiterten mit ihren Verfassungsträumen, nun also der dritte Anlauf. Jarosław Kaczyński rechnet mit der offensichtlichen Schwäche des liberal geführten Lagers, sobald die Wahlentscheidung eher einem Plebiszit gleicht. Tusk hatte 2010 einmal leichtfertig die spitze Bemerkung fallenlassen, dass ihn das Regieren reize, nicht aber das Behüten von Kronleuchtern im Präsidentenpalast. Nun wird ihm Nawrocki – Kaczyńskis aktueller Behüter der Kronleuchter – das Regieren nach Strich und Faden verleiden.