Im Verlauf des Jahres 1947 gewannen die Gongchandang (die Kommunistische Partei Chinas) und ihre Volksbefreiungsarmee im Kampf mit den Truppen der Guomindang-Regierung so stark an Boden, dass sich auch die deutsche – genauer gesagt: die westdeutsche – Presse zu ausführlicheren Darstellungen veranlasst sah. Die ostdeutsche blieb wegen der in Teil XVI dieser Serie bereits genannten Jiang-Jieshi-freundlichen Positionen Stalins zurückhaltend.
Die westdeutsche Presse also meldete sich zu Wort, und sogleich kam die geopolitische Dimension der Ereignisse ins Spiel. Am 5. März 1946 hatte der britische Expremier und seinerzeitige Oppositionsführer Winston Churchill in Fulton (USA) mit der Rede vom „Eisernen Vorhang“ zwischen West und Ost eine neue Blockkonfrontation beschworen. Die USA waren mit einer fundamental antikommunistischen Außen-, Militär- und Innenpolitik zügig an deren Ausgestaltung gegangen, und die Badischen Neuesten Nachrichten hatten den Finger auf der Wunde, als sie am 11. November 1947 mit der Übernahme eines Textes der Nachrichtenagentur Reuters über China berichteten, dass dort „ein Riesenbürgerkrieg“ tobe, „der, was Zahlen anbetrifft, jeden anderen Bruderstreit in der Geschichte zwerghaft erscheinen lässt“, und dass es dabei nicht allein um China gehe, sondern „von dem Ausgang dieses Kampfes“ auch „der zukünftige Frieden des Ostens und der ganzen Welt“ abhänge.
Über die Kriegsparteien wusste die Zeitung das Folgende zu berichten: 2,5 bis 5 Millionen Mann zählten die Kampfeinheiten der Guomindang, kommandiert würden sie von „Armee-Kliquen“ der „Whampoa-[Huangpu]-Kadetten“ unter den Generälen Ho Ving-chin [He Yingqin], Pai Chung-hsi [Bai Chongxi], Li Tsung-jen [Li Zongren] und Chen Cheng [Chen Cheng]. Ihnen gegenüber stünden 1,3 bis 2 Millionen Mann der Kommunisten. Was deren Generäle angeht, so würden „die Japaner“ wohl „mit Freuden einige Abteilungen von Sturmtruppen geopfert haben, um dafür einen solchen narbenbedeckten roten Kommandeur wie Lin Piao [Lin Biao], Nieh Yung-chin [Nie Rongzhen] oder Yeh Chien-ying [Ye Jianying] einzutauschen.“ Die „kommunistische Strategie“ werde bestimmt durch Mao Tsetung [Mao Zedong], einen „zottelhaarigen Schüler von Marx“, und Chu Teh [Zhu De], der in seinem Aussehen eher einem „wohlwollenden alter Kuhhirten“ gleiche als einem „kommunistischen Generalissimus“. Beide seien „gewöhnt, ihre […] Partisanen in derselben Art von Kriegführung zu benutzen, wie Tito seinen jugoslawischen Guerilla-Kämpfern [sic] lehrte.“
In der Bewertung der Ereignisse ließ der ungenannt bleibende Autor interessanterweise nur Mao – und keinen Guomindang-Politiker – zu Wort kommen. Wenn man – so habe Mao ihm, dem Autor, in einem Interview in Yenan [Yan’an] erklärt – davon ausgehe, „daß die große Hilfsaktion der Vereinigten Staaten Chiang Kai-shek [Jiang Jieshi] in die Lage versetzt hat, einen Bürgerkrieg in einem bisher noch nicht dagewesenen Ausmaß zu führen“, dann bestehe „die Politik der amerikanischen Regierung darin, Chiang allseitig unter dem Mantel der sogenannten Vermittlung den Rücken zu stärken, die demokratischen Kräfte Chinas zu unterdrücken und so durch Chiangs Schlachthauspolitik China zu ihrer Kolonie zu machen.“ Ein „baldiges Ende“ würden die Kämpfe nur finden, wenn „die amerikanische Regierung ihre Politik der einseitigen Hilfe an Chiang aufgibt“; andernfalls würde sich das Ganze „möglicherweise zu einem längeren Krieg ausweiten“. „Keinen schlüssigen Beweis“ sah der Autor für „irgendeine militärische und materielle Hilfe von Seiten Rußlands an die chinesischen Kommunisten“, und in der Tat würden diese ja auch „jede Beziehung zu Moskau ableugnen“ – trotz des „offenen Geheimnisses“, dass „die Sowjets“ ihnen „einen wesentlichen Teil des großen militärischen Nachschubs überließen, den sie den Japanern im Nordwesten [es muss wohl heißen: Nordosten] weggenommen hatten.“
Ein halbes Jahr später, am 30. April 1948, teilte der in Konstanz erscheinende Südkurier seinen Leserinnen und Lesern in einem mit „Sigurd Paulsen-Hamburg“ gezeichneten Beitrag mit, dass „über den meisten Äußerungen, die aus China zu uns dringen“, eine „seltsame Mutlosigkeit“ liege. Die Welt sehe mit diesem Land „eine der großen Siegermächte in hoffnungsloser Anarchie versinken“. Amerika gebe „ohne viel Hoffnung neue Dollarkredite, um zu verhindern, daß die kommunistischen Armeen Tschiangkaischek [Jiang Jieshi] überrennen, oder um wenigstens den Zeitpunkt dieses Ereignisses hinauszuschieben“. Aber bis wann? „Ostasienkenner“ meinten: „bis zur Teilung des Riesenreichs und bis zur Konsolidierung einer den westlichen Demokratien konformen Ordnung in Südchina“.
Ob es dazu aber jemals komme, sei ungewiss. Es fehle als Grundvoraussetzung eine „ausdrücklich vereinbarte Demarkationslinie zwischen Nord und Süd“, und die „Partisanen“ aus dem Norden gewännen „bis ins Yangtse-[Yangzi-]tal hinunter“ immer weiter an Boden. Zudem habe „der kommunistische Diktator Mao Tzetung [Mao Zedong] nach einer revolutionär-marxistischen Neujahrsrede am Rundfunk seine Tonart geändert“. Um die Zustimmung zu seiner Politik zu vergrößern, habe er „die Kapitalisten des Nordens“ gemahnt, „im Lande zu bleiben“, und „die Arbeiterschaft“ aufgefordert, „‘einen gewissen Grad von Ausbeutung‘ geduldig zu ertragen“.
Der Artikel schloss mit einer erstaunlichen geopolitischen Sentenz. Ein „Verebben“ des „generationenlangen Bürgerkrieges“ wäre – so der Südkurier – „denkbar […] im Rahmen eines Weltabkommens zwischen Amerika und Sowjetrußland, das außer China auch den Vorderen Orient nach dem gegenwärtigen status quo für eine Weile pazifizieren würde.“ – China und Palästina in einem Atemzug. Der Status quo in Nahost war zu diesem Zeitpunkt noch ein Palästina (mit einem von arabischer Seite abgelehnten Teilungsplan der UNO), zwei Wochen später aber ein ganz anderer: Israel erklärte sich am 14. Mai 1948 zum unabhängigen Staat. Es kam zum ersten Palästinakrieg. Und kein „Weltabkommen“ und keine „Pazifizierung“ auch für China. Der Bürgerkrieg dauerte bis zum Herbst 1949.
(Die Schreibweisen des jeweiligen Originals wurden beibehalten.)
wird fortgesetzt
Schlagwörter: China, Jiang Jieshi, kalter Krieg, Mao Zedong, Sowjetunion, USA, Wolfram Adolphi