27. Jahrgang | Nummer 8 | 8. April 2024

Antworten

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler – Ihr Amtsvorgänger Willy Brandt hat es unter anderem mit „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ in den Kanon der geflügelten Worte deutscher Sprache geschafft. Ob Ihnen das mit Ihrem angesichts der deutschen Waffenlieferungen an Kiew eher bellizistischen konnotierten Versuch „Ohne Sicherheit ist alles nichts.“ ebenfalls gelingt, dürfte vor allem davon abhängen, ob der Ukraine-Krieg nicht doch noch zur direkten militärischen Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland und damit gegebenenfalls zum nuklearen Inferno mutiert. Denn danach wäre wohl auch die Zeit von Kanons final vorüber …

Nun haben Sie unter Verwendung Ihres Spruches dem Nordatlantikpakt zum 75. gratuliert und überdies verkündet: Sicherheit sei das, „wofür 75 Jahre NATO stehen“.

Da dürfte Ihnen die ganz auf dieser Linie liegende aktuelle Arte-Laudatio „NATO – Alte Freunde, neue Fronten“ gewiss aus dem Herzen sprechen.

In der heißt es gleich zu Beginn: „Krieg verhindern, dazu wurde die NATO vor 75 Jahren gegründet. […] 24. Februar 2022: die Zeitenwende. Russland greift die Ukraine offen an. Der Krieg ist zurück in Europa.“

Das hat allerdings ein Geschmäckle, weil – zurück in Europa war der Krieg bereits spätestens am 24. März 1999, als die NATO begann – ohne UN-Mandat und also völkerrechtswidrig – Serbien zu bombardieren. Doch dies wird weder zu Beginn der Arte-Laudatio noch während der nachfolgenden 90 Minuten überhaupt auch nur erwähnt. Aber in Ihrer Weltsicht gehört dieser Fall wahrscheinlich sowieso zu jener Sicherheit, für die „75 Jahre NATO stehen“.

 

Robert Habeck (Die Grünen), Bundeswirtschaftsminister und Kinderbuchautor – Dieser Tage haben Sie auf dem von Die Zeit, Handelsblatt, Tagesspiegel und WirtschaftsWoche veranstalteten Forum „Europe 2024“, zu dem Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft eingeladen waren, erläutert, Rüstungsinvestitionen für Panzer, Raketen und Cybersecuritysachen, von denen „wir hoffen […], dass wir sie nicht verwenden“, seien „ein bisschen wie’n Feuerwehrauto. Das ist superteuer. Diese Feuerwehrautos, die die ganzen kleinen Gemeinden anschaffen, und die hoffen ja auch, dass es nicht brennt. […] Und die sind trotzdem bereit, dafür das Geld auszugeben.“
Chapeau! Anschaulicher hätten wir das auch nicht sagen können.

Vielleicht sollten Sie gegenüber dem Beltz-Kinderbuchverlag anregen, den Klassiker „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“ durch ein zeitgemäßes Kapitel zu ergänzen? Bei der Bundesbildungsministerin, Ihrer Kabinettskollegin Bettina Stark-Watzinger (FDP), würden Sie damit gewiss offene Türen einrennen, betont die doch neuerdings die „Verantwortung, junge Menschen auf den Kriegsfall vorzubereiten“.

Zu bedenken geben möchten wir aber trotzdem: Wenn man Panzer und Raketen allerdings in Kriegsgebiete liefert, dann sind das, um im Rahmen Ihrer Metapher zu bleiben, wohl eher Brandbeschleuniger …

 

Jacques Schuster, Chefkommentator Die Welt – Folgendes haben Sie beobachtet: „Blass wie Schneewittchen sieht Außenministerin Annalena Baerbock immer dann aus, wenn sie vor die Presse tritt, um der Welt zu verkünden, was im Nahen Osten nun dringend geboten sei. Nötig sei ein sofortiger Waffenstillstand, sagt die Grünen-Politikerin, denn der Konflikt zwischen Israelis und der Hamas sei militärisch nicht zu lösen. Soso.“ Sie bemerkten des Weiteren: „Seltsam, dass Baerbock nicht ähnliche Worte für den Krieg zwischen Russen und Ukrainern wählt. Es gäbe einige Argumente, die dafür sprächen, dass zumindest die Ukraine die Auseinandersetzung mit Moskau militärisch nicht gewinnen kann.“ Und Sie gelangten zu dem Fazit: „[…] so bleibt Baerbock bei ihren gedanklichen Schwimmübungen im Brackwasser aus Sein und Schein und bei ihrem Phrasen-Eintopf aus Schwermut und Narretei, Banalem und Düsterem, ohne auch nur einen einzigen Hinweis darauf zu geben, was Deutschland tun könnte […].“
Trefflich formuliert!

Trotzdem leider nur verschüttete Milch, denn von der deutschen Außenamtschefin perlt Kritik bekanntlich ab wie Wassertropfen vom Bürzel einer Ente.

 

Götz Aly, geschätzter Historiker – In einem Interview mit der Berliner Zeitung betonten Sie unlängst, dass „wir Deutschen“ ursprünglich indirekt für den Völkermord-Begriff verantwortlich seien. Angesichts des Holocausts sei er Gegenstand des internationalen Rechts geworden. Weiter formulierten Sie: „Die Blockade von Leningrad, das gewollte Verhungern- und Erfrierenlassen von mehr als zwei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern und die Behandlung der Zivilbevölkerungen in Polen, in der Ukraine, in Belarus und in den besetzten Teilen Russlands hatten zweifellos genozidale Züge.“

Hinsichtlich der jüngsten Forderung des russischen Außenministeriums an die Bundesregierung, die Belagerung Leningrads durch die Deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg als Völkermord anzuerkennen, sagten Sie weise vorausschauend: „Gesten wie die Anerkennung der Belagerung Leningrads als völkermörderischen Akt können eine Botschaft an das russische Volk sein. Wir sollten das auch im Hinblick auf eine Zeit nach Putin tun. Wissen Sie, geschichtliche Wellen sind lang, und wir sollten stets die Hoffnung behalten, dass Russland zu Europa gehört. Das würde allerdings auch bedeuten, dass wir nicht kopflos nur an den totalen Sieg der Ukraine denken dürfen.“ Da sind wir bei Ihnen.

 

Ulrich van der Heyden und Mario Keßler, beide geschätzte Historiker und Blättchen-Autoren – Katja Hoyer, Verfasserin von „Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR“ – wir haben berichtet – , wird Kolumnistin der Berliner Zeitung am Wochenende. So weit, so gut, können wir sagen, ohne zu viel Vorschusslorbeeren zu vergeben. Es ist allerdings sehr bemerkenswert, dass gleich zwei renommierte Blättchen-Autoren sich in aktuellen Beiträgen zu dem einleitenden Interview mit Hoyer in der Zeitungsausgabe am Osterwochenende online umfassend äußern. Die feurige Diskussion der zeitgeschichtliche DDR-Forschung scheint sich neu zu entfachen.

Van der Heyden schreibt: „Während man im Ausland an den behandelten Themen neugieriges Interesse zeigte, bin ich an Deutschlands Universitäten das Gefühl nicht losgeworden, dass man eigentlich schon alles meinte über die ostdeutsche Diktatur zu wissen. Vor der staatlichen Vereinigung Deutschlands hätte ich kaum geglaubt, dass die Anti-DDR-Ansichten aus der alten Bundesrepublik so lange überleben würden, so dass diese nun bis in die nachfolgende Generation reichen. Über eine solche ideologische Hartnäckigkeit hätte jeder SED-Dogmatiker mit Neid geblickt.“

Keßler stellt fest: „Forschung in den USA zur DDR-Geschichte, und nur über sie kann ich urteilen, unterschied sich jedoch von der dominierenden Sichtweise in der Bundesrepublik nach 1989. Mit dem Mut zur Vereinfachung sei festgehalten: Die amerikanische Forschung nannte fast nie (mit nur ganz wenigen Ausnahmen) die DDR und Nazideutschland in einem Zug als ‚zwei deutsche Diktaturen‘“.

Beide Autoren beschreiben in ihren Texten durchaus auch unterschiedliche Erfahrungen. Wir beobachten die öffentliche Erörterung weiter mit lebhafter Aufmerksamkeit.

 

Jörg Thadeusz, Dampfplauderer – Seit einem Vierteljahrhundert kennt man Ihr freundliches Mondgesicht aus dem Fernsehen, besonders aus Ihren eigenen Sendungen des RBB. Aus Ihrer Abneigung gegen links machten Sie nie ein Hehl. In Ihrer Reihe „Thadeusz und die Beobachter“, zu der streng konservative oder auch liberal-konservative Journalisten eingeladen werden, gab es gelegentlich „linksextreme“ Feigenblätter vom Deutschlandradio oder dem Tagesspiegel. Alles in nettem Rahmen.

Nun kehren Sie zu ihren Anfängen, dem Rundfunk zurück, und hatten die Ehre, den umbenannten Sender radio3, vormals rbbKultur, mit der Morgenschiene zu eröffnen. Zwischen jazzigen Klängen wird über aktuelle Kulturereignisse geplaudert, aber auch Politik bekommt ihr Fett ab. Anlässlich der gerade glücklich überstandenen Ostermärsche stellten Sie die Autorin Daniela Dahn als Mitherausgeberin und Autorin von „Ossietzky“ vor. Wer nun glaubte, Sie würden Ihre Auslassungen im Fernsehen im Radio wettmachen wollen, sah sich getäuscht. Sie forderten Frau Dahn zur Selbstkritik auf, da sie vor einem Jahr im „Manifest für den Frieden“ unter anderen zusammen mit Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg gefordert hatte. Doch den Gefallen tat Ihnen die Autorin nicht. Im Gegenteil widersprach sie Ihrem Schrei nach Waffen mit vielen Argumenten, die Sie als von der Zeit überholt wegwischten. Frau Dahn fielen Sie immer wieder ins Wort und brachen schließlich das Gespräch ab, weil man wohl nicht übereinkäme. Sie wollten Daniela Dahn vorführen und waren enttäuscht, dass es nicht gelang. Nun wird die Tucholsky-Preisträgerin wohl nie zu den „Beobachtern“ eingeladen, aber sie kennt ihren Meister, der sagte: „Der geschickte Journalist hat eine Waffe: das Totschweigen – und von dieser Waffe macht er oft genug Gebrauch.“

 

Volker Schlöndorff, laufender Regisseur – Es ist kaum zu glauben, Sie sind gerade 85 Jahre alt geworden. Der Autor dieser Zeilen kann sich noch gut daran erinnern, wie Sie kurz vor ihm über das blaue Band im Berliner Olympiastadion recht frisch ins Ziel kamen. Das war vor gut zehn Jahren bei dem 25-Kilometer-Lauf von Berlin. Über dem Marathon-Tor haben Sie sich kurz erholt, wir haben ein paar Worte gewechselt. Es war einer der unzähligen Läufe, die Sie absolviert haben. Vornehmlich sind Sie ein begnadeter Regisseur und auch Drehbuchautor, vor allem von literarischen Vorlagen: „Der Junge Törless“, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (mit Margarethe von Trotta), „Eine Liebe von Swann“, „Homo Faber“ … Aus den zahlreichen Verfilmungen ist eine seit 1979 immer besonders hervorzuheben: „Die Blechtrommel“ nach dem Roman von Günter Grass. Ein Filmereignis. Der erste Oscar für den besten ausländischen Film, den ein deutscher Film erhielt, war einer der vielen Preise. Wir ziehen den Hut, wünschen weiter Freude beim Laufen und Filmemachen.

 

Thomas Lieven, Agent wider Willen und Hobbykoch  Von 1939 an benutzten Sie in fünf Kriegs- und zwölf Nachkriegsjahren sechzehn falsche Pässe von neun Ländern, so wollte es Ihr Erfinder Johannes Mario Simmel, der vor einhundert Jahren in Wien geboren wurde. Durch Ihre Abenteuer wurde er weltbekannt, sogar ein Kochbuch mit Ihren Gerichten erschien. „Es muss nicht immer Kaviar sein“ gehört nicht nur in Deutschland zu den geflügelten Worten. Der Roman und dessen Verfilmungen wurden Welterfolge. Trotz oder wegen des leidenschaftlichen Pazifismus von Autor und literarischer Figur, fragen wir uns heute. Lange Zeit als Trivialautor abgetan, erlangte Simmel durch den Roman „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“ 1987 die Anerkennung der „seriösen“ Literaturkritik. Die millionenfache Anerkennung des Publikums hatte er schon längst gewonnen.

 

Nofretete, emanzipierte Gattin des Echnaton, unvergleichliche und älteste Schönheit in Berlin – Eine Ihrer Abbildungen wurde von Ludwig Borchardt 1912 im Wüstensand des Tales von Amarna bei Ausgrabungen in Ägypten gefunden. Der soll angesichts Ihrer Büste überwältigt ausgerufen haben: „Beschreiben nützt nichts, ansehen!“ Recht hatte er. Nach einem Intermezzo auf dem Kamin des Kunstsammlers und Mäzens James Simon kamen Sie vor 100 Jahren am 1. April 1924 als Geschenk von diesem in die königlich-preußischen Kunstsammlungen. Im Neuen Museum avancierten Sie augenblicklich zum Publikumsliebling. Trotz des Weltkrieges und des Kalten Krieges sind Sie das bis heute geblieben. Unvergleichlich, unbezahlbar und unvergesslich für jeden, der Sie sehen durfte. Wir gehörten kürzlich wieder einmal zu den Auserwählten.