27. Jahrgang | Nummer 7 | 25. März 2024

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (XVI)

von Wolfram Adolphi

Schwer zu sagen, wer im Herbst des Jahres 1945 im vom Faschismus befreiten, in Besatzungszonen aufgeteilten Deutschland Gelegenheit und Kraft besaß, den Blick auf China zu richten. Hierzulande hatte man den Preis für den auf Weltherrschaftswahnsinn gegründeten Aggressions- und Völkervernichtungskrieg mit vielfachem Leid der eigenen Zivilbevölkerung, zerbombten Städten und Industrieanlagen, darniederliegender Landwirtschaft, Hunger und einer tiefen gesellschaftlichen und geistig-kulturellen Krise zu bezahlen.

Aber die Presse machte Angebote. So der neu ins Leben getretene Südkurier. Tagblatt für Bodensee, Schwarzwald und das obere Donaugebiet. Am 8. September 1945 hieß es in seiner Nummer 1 einführend: „Die Leser werden ebenso wie der Verlag und die Redaktion der französischen Militärregierung Dank wissen, daß schon wenige Monate nach der Beendigung des schwersten aller Kriege die Herausgabe einer selbständigen deutschen Presse auch in Baden möglich wurde.“ In eben dieser Ausgabe erschien auch ein Artikel unter der Überschrift „Der russisch-chinesische Vertrag. Eine Klärung der fernöstlichen Probleme“.

Der Beitrag stützte sich auf einen Text der Neuen Zürcher Zeitung und hatte den Sowjetisch-Chinesischen Freundschafts- und Bündnisvertrag vom 14. August 1945 zum Gegenstand. Der war mit der Guomindang-Regierung geschlossen worden, widerspiegelte somit das Interesse Stalins an einer Stabilisierung der Herrschaft Jiang Jieshis. Die vom Südkurier zitierte NZZ traf den Kern, wenn sie meinte, dass „die Stellung der Kommunisten von Jenan [Yan’an]“ damit „als unterhöhlt“ gelten müsse. Das habe sich auch in der „plötzlichen Zusage Mao Tse Tungs [Mao Zedongs], die Einladung Tschiang Kaisheks [Jiang Jieshis] nach Tschungking anzunehmen“ (siehe Teil XV), gezeigt. Dennoch rate der Manchester Guardian Jiang Jieshi „weise Mäßigung gegenüber Jenan“ an. Die Sowjetunion ihrerseits habe „der Freundschaft mit China und den Vereinigten Staaten den Vorzug gegenüber anderen Möglichkeiten gegeben“. „Früheren skeptischen Beobachtern“ zum Trotz habe sie China „weder die Innere Mongolei noch Sinkiang [Xinjiang] […] als Einflußsphären abgefordert“, und „weder die Abmachung über die Kontrolle der mandschurischen [Eisen]Bahnen noch die Regelung in [den Hafenstädten] Port Arthur [Lüshunkou] und Dairen [Dalian]“ bedeuteten „eine grundsätzliche Beeinträchtigung der Ansprüche Chinas“.

Am 6. November 1945 meldete der gleiche Südkurier, dass „Marschall Tschiang-Kai-schek [Jiang Jieshi] und der Kommunistenführer Mao Tse-tung [Mao Zedong] […] ihre fünfwöchigen Verhandlungen durch ein formelles Abkommen [beendigt]“ hätten. Dank „Einsetzung eines innerparteilichen politischen Konsultativrates“ sowie „eines Militärkomitees“ bestehe jetzt „eine wirkliche Hoffnung auf die Einigung Chinas“.

Acht Monate später – am 29. Juni 1946 – erfuhren die Zeitungsleserinnen und -leser, dass die Hoffnungen auf eine „Einigung Chinas“ schwanden. Später wird man bilanzieren, dass in eben diesem Juni 1946 der Bürgerkrieg zwischen der Guomindang und der Gongchandang, der Kommunistischen Partei, begann und sich in dessen erster Phase (Juni 1946-Juni 1947) „die Regierungstruppen auf breiter Front im Vormarsch“ befanden. Die Guomindang verfügte „über eine Streitmacht von 4,3 Millionen Mann, die z. T. mit amerikanischen Waffen ausgerüstet waren, und kontrollierte Gebiete, in denen rd. 70 % der chinesischen Bevölkerung lebten“, die Streitkräfte der Gongchandang hingegen „zählten rund 1,2 Millionen Mann“, „führten größtenteils japanische Beutewaffen“, und „die Bevölkerung der von ihnen beherrschten Stützpunktgebiete umfasste annähernd 30 % der Gesamteinwohnerschaft Chinas“, schreibt Oskar Weggel in seiner „Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert“ (Stuttgart 1989).

Am 29. Juni 1946 also meldete das in Baden-Baden erscheinende Badener Tagblatt, dass „der Vorsitzende des Zentralkomitees der Chinesischen kommunistischen Partei Mao-Tze-Tung [Mao Zedong] […] energisch gegen den kürzlich dem amerikanischen Kongreß vorgelegten Gesetzentwurf“ protestiert habe, „der eine Verstärkung der militärischen Hilfe der Vereinigten Staaten in China vorsieht“. Dieser Schritt werde – so Mao – „vernichtende Auswirkungen auf den Frieden, die Sicherheit und Unabhängigkeit der chinesischen Demokratie“ haben.

Und auch Neues Deutschland in (Ost)-Berlin, zum ersten Mal am 23. April 1946 erschienen, informierte in seiner Nummer 56 am 29. Juni 1946 unter der Überschrift „Mao-Tse-Tung über ‚militärische Hilfe‘“ über diesen Mao-Protest. Gestützt auf eine Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS aus Nanking [Nanjing] vom 28. Juni wurden die Mao-Äußerungen hier noch detaillierter dargestellt als im Badener Tagblatt. „Die sogenannte militärische Hilfe, die China von den USA erwiesen wird“, so habe Mao ausgeführt, bedeute „faktisch eine bewaffnete Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas“, die „Unterstützung der diktatorischen Zentralregierung“ beschwöre „Bürgerkrieg, Chaos, Spaltung, Terror und Elend“ herauf.

Es war dies die erste Erwähnung Mao Zedongs im Neuen Deutschland überhaupt. Bis zur Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 sollten nicht viele Nennungen hinzukommen. Stalin misstraute Mao, bevorzugte eine Fortsetzung der Jiang-Herrschaft, und selbstverständlich war das auch für die Berichterstattung im ND bestimmend. Aber ob Mao persönlich genannt wurde oder nicht – der Bürgerkrieg nahm seinen Lauf, und das ND informierte darüber am 19. Juli in einer auf France Press gestützten Meldung, in der nicht Mao, sondern „General Shuen Lai [Zhou Enlai]“, der „Führer der Volksbefreiungsarmee“, zitiert wurde. Zhou nannte vier „Hauptkampfgebiete“ – die „Grenzlandschaften der Provinzen Hupeh [Hubei] und Honan [Henan], die Provinz Shantung [Shandong], wo die Regierungstruppen versuchen, die Eisenbahnstrecke von Tsin Tao [Qingdao] in ihrer ganzen Länge zu besetzen, die Provinz Kiang Su [Jiangsu], wo die Regierungstruppen Mitte Juli zum Angriff übergingen, und Shansi, wo die Regierungstruppen den Gelben Fluß überschritten haben“ – und wies die Forderung der Jiang-Regierung, diese von der Volksbefreiungsarmee verwalteten Gebiete wieder unter eigene Herrschaft zu stellen, als „unannehmbar“ zurück. Das – selbstredend – war auch Maos Position.

(Wird fortgesetzt.)