Frank-Walter Steinmeier und Andrzej Duda bekräftigen jetzt entschieden die glänzende Seite in den deutsch-polnischen Beziehungen. Zurückliegende Unstimmigkeiten zwischen den beiden Staatsoberhäuptern scheinen fortgespült, auch das eine der nicht vorhersehbaren Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Es ist gerade ein Jahr her, da in Warschau Straßenplakate für Aufsehen sorgten, auf denen mit Wissen und Billigung höchster Regierungsstellen unter anderem das Konterfei des Bundespräsidenten neben denen von Hitler und Goebbels zu sehen gewesen war. Mehr diplomatisches Tischtuch zwischen Berlin und Warschau konnte gar nicht zerschnitten werden.
Während Staatspräsident Duda – wie jetzt zur Adventszeit in Berlin – die Festigkeit der bilateralen Beziehungen herausstellt, die sogar für das übrige EU-Europa von erheblicher Bedeutung seien, spielt Jarosław Kaczyński zu Hause weiterhin die Rolle des Spielverderbers. Die Gründe sind ausschließlich innenpolitischer Natur, aber es wird ordentlich draufgehauen. Wie im heißen Sommer tourte der Parteichef der regierenden Nationalkonservativen zuletzt im dunklen Spätherbst erneut durch die Provinz, bot vor geladenem Publikum in freier Rede die Ansichten zur Lage feil, geizte weder mit zugespitzten Pointen noch grellen Bildern. Die Frage der zurückgehenden Bevölkerungszahl des Landes klärte Kaczyński beispielsweise auf folgende Weise: Der schwarze Peter wird den jungen Frauen im gebärfähigen Alter zugeschoben. Er verstehe durchaus, so der mächtige Mann, der 2020 ein nahezu lückenloses Abtreibungsverbot verhängen ließ, dass das Familiengründen und das Kinderkriegen in modernen Zeiten zu einem späteren Lebenszeitpunkt erfolgten als früher üblich. Doch nicht mehr toleriert werden dürfe in der Gesellschaft, wenn Frauen bis zum Lebensalter von 25 Jahren sich regelmäßig einen hinter die Binde kippten, statt sich auf die kommende Mutterschaft vorzubereiten. Der Aufschrei im Lande war zwar riesengroß, doch ficht das den guten Mann kaum noch an.
Ganz in diesem Stil wird auch das Verhältnis gegenüber Berlin vorgeführt. Der eingeschworene Feind Polens sei gar nicht verschwunden, auch wenn die eingesetzten Mittel nun die der feineren, wiewohl nicht weniger gefährlichen Art seien. Statt der deutschen Panzer werde jetzt die EU-Bürokratie gegen das Land geführt, um es dem deutschen Willen gefügig zu machen. Unumwunden erklärt Kaczyński dem staunenden Publikum, dass Brüssel eigentlich Berlin sei! So deutlich hatte er es früher nie gesagt, sich immer in nebulösen Andeutungen verloren, weil ja jedermann selbst nachprüfen könne, wer in Brüssel tatsächlich regiere. Wenn jetzt die Polen zustehenden EU-Gelder zurückgehalten würden mit dem Argument verletzter Rechtsstaatlichkeit, dann sei das vor allem dem bösen Willen des westlichen Nachbarn zuzuschreiben, der EU-Diplomatie nun geschickt als seine Waffe einzusetzen verstehe.
Wie erfindungsreich Kaczyński in freier Interpretation auf dieser Klaviatur zu spielen versteht, zeigt auch folgendes Beispiel aus der Abteilung der Klima- und Energiepolitik. Statt erst umständlich auf den ganzen Komplex solcher Fragen im traditionellen Kohleland Polen eingehen zu müssen, wird gleich zur Sache gekommen: Der Nachbar versuche uns jetzt einzureden, dass Kohle schmutzig sei! Dem entgegen steht das in der VR Polen aus gutem Grund kultivierte Bild der Steinkohle als schwarzes Gold, auf das Kaczyński bewusst anspielt. Damit kann die besorgte Zuhörerschaft in der polnischen Provinz durchaus etwas anfangen, denn eigentlich müsste jetzt in den Zeiten der Sanktionen gegen den Rohstofflieferanten Russland doch wieder die Stunde der polnischen Steinkohle schlagen! Sie schlägt aber nicht, so Kaczyński, weil es die Deutschen meisterlich verstanden hätten, weiten Kreisen in der Welt einzureden, die strenggrüne deutsche Energiepolitik sei klimarettend.
Die Kernbotschaft in der antideutschen Tirade liegt auf der Hand: Das Lager der Nationalkonservativen wird bei den kommenden Wahlschlachten – im Herbst 2023 Parlamentswahlen und im Frühjahr 2024 die landesweiten Regional- und Lokalwahlen sowie die EU-Wahl – zusammenstehen. In Schutz genommen wird vor allem Justizminister Zbigniew Ziobro, dessen tiefgreifende Justizreform der erste Stein des Anstoßes aus Brüssel ist, wenn Polen vorgehalten wird, die in der EU verpflichtende Rechtsstaatlichkeit zu verletzen. Ziobro, gleichermaßen ein offener wie entschiedener Gegner der EU, soll davon abgehalten werden, das Regierungslager zu verlassen, um eigene Wege zu suchen. Die Nationalkonservativen rechnen jetzt bereits mit jeder Stimme, so dass – weil in der sogenannten Mitte der Gesellschaft kaum noch neue Quellen aufgeschlossen werden können – ein weiteres Abrutschen auf der Rechtsaußenflanke verhindert werden soll. Dort wird tatsächlich fest mit einem bevorstehenden Ausstieg Ziobros aus dem Regierungslager gerechnet. Ziobro selbst droht sowieso, denn sollte die polnische Regierung im aktuellen Streit mit der EU wegen der Justizreform nachgeben, wäre er gefordert, seinerseits Konsequenzen ziehen. Und die demokratische Opposition unkt nach Kräften, weil Justizminister Ziobro wegen der tagtäglich verloren gehenden Strukturmillionen aus Brüssel der kostspieligste Minister in allen EU-Ländern genannt werden darf. Kaczyński will, wie jetzt gut zu sehen, vor den schwierigen Wahlgängen mit aller Macht an ihm festhalten.
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