25. Jahrgang | Nummer 17 | 15. August 2022

Deutschlandpolitisches beim Nachbarn

von Jan Opal, Gniezno

Die Innenpolitik holt in Polen verlorenes Terrain zurück. Die im Herbst nächsten Jahres anstehenden Parlamentswahlen werfen ihre Schatten bereits kräftig voraus. Als erster rüttelt Jarosław Kaczyński nun die Reihen wach, stimmt bei Gelegenheit einer größeren Sommerreise die Basisgliederungen seiner Nationalkonservativen auf die noch ferne Wahl ein. Da beim Ukrainethema gegen die Opposition kaum etwas zu gewinnen sein wird, denn zu entschieden ist die Stimmung im Land, wird jetzt auf andere Felder ausgewichen. Um den als gefährlichen Gegenspieler ausgemachten Donald Tusk tiefer zu treffen, spielt Kaczyński jetzt wieder einmal die deutsche Karte.

Auch im Lager der liberalen Opposition gibt es übrigens handfeste Kritik an Deutschland, die betrifft indes Dinge, die in die heutige tagespolitische Diskussion gehören, die nicht als totschlagende Keule daherkommen, selbst wenn sie in ihren Konsequenzen wehtun sollten. So kürzlich die Gazeta Wyborcza, auf deren Seiten noch einmal in scharfer Form die Frage der Abhängigkeit vom russischen Erdgas aufgegriffen wurde: „Das Drama um NordStream 2 zeigt die Entschlossenheit des Kremls und deckt die Schwäche des Westens auf. Der Bau wurde gegen den Willen des Europäischen Parlaments durchgesetzt, gegen das Drängen Frankreichs, der skandinavischen und baltischen Länder sowie Polens. […] Es war von Anfang an ein geopolitisches Vorhaben, ausgerichtet auf die Vergrößerung des Einflusses Russlands auf dem Energiemarkt in Europa, womit die Sicherheit der EU-Länder sowie die Souveränität der Ukraine bedroht wurden. NordStream 2 wurde von Matthias Warnig geleitet, ehemaliger Stasi-Offizier, mit Putin seit jungen Jahren bekannt. Berlin hat, unter Beteiligung einiger weiterer europäischer Regierungen, Millionen Europäer der Gnade oder Ungnade des Kremls ausgesetzt. Schwer zu glauben, dass Naivität Deutschland auf diesen glitschigen Pfad geführt hat. Die Katastrophe von Fukushima 2011 hatte die Deutschen dermaßen aufgeschreckt, so als lebten sie selbst in einer Zone ständiger seismischer Erschütterungen und wären von Tsunamis bedroht. Von einem auf den anderen Tag wurden acht von 17 Atomkraftwerken dichtgemacht, wurde beschlossen, die übrigen bis Ende 2022 stillzulegen. Das Rätsel wird sicherlich niemals aufzulösen sein, wieviel daran authentische Angst, wieviel indes Einwirken Moskaus gewesen ist.“ Soweit also eine Stimme, wie sie für das liberale Lager nicht untypisch ist.

Für Kaczyński ist Tusk indes ein klarer Interessenvertreter Deutschlands, als solchen versuchen er und die Regierungsmedien den politischen Konkurrenten madig zu machen. Da das Thema der Gasleitung und der europäischen Energiepolitik gleichermaßen besetzt ist – ganz wie die Frage nach der Haltung zum russischen Krieg gegen die Ukraine –, wird zweifach ausgewichen, um den inneren Feind nun zu stellen. Einmal in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, zum anderen aber in die Jahre nach 1990 und bis 2004, in denen Polen sich mühsam genug auf den Beitritt zur EU vorbereitet hatte.

Am 1. September will die Regierung laut Kaczyński in diesem Jahr nun endlich die Forderung nach den noch ausstehenden Reparationszahlungen für die angerichteten Zerstörungen und die Verbrechen während der deutschen Okkupation offiziell auf den Tisch legen. Gehandelt wird eine Summe von 900 Milliarden Euro, ursprünglich sollte das Ganze ja dem Europäischen Parlament aufgetischt werden, woraus aber nichts wurde, weil die Tories – damals enger Verbündeter der polnischen Nationalkonservativen in Brüssel – einen Riegel vorschieben konnten. Jetzt soll der symbolträchtige Jahrestag, an dem in Polen und anderswo an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erinnert wird, herhalten, der Sache einen entsprechend nachdrücklichen Rahmen zu geben. Gegen Tusk wird von Kaczyński-Seite vorgebracht, dass er mit seinem Treiben stets die gerechte Reparationsforderung hintertrieben, somit gegen die Interessen des Landes gehandelt habe und vor allem – als Brüsseler Funktionär gegen den deutlichen Mehrheitswillen zu Hause vorgegangen sei. Letzteres ist natürlich vorgeschoben, nichts an Umfragen bestätigt Kaczyńkis Phantasie.

Die Jahre nach 1990 waren in Polen ohne Frage turbulent, es hatte geraume Zeit gedauert, bis völlig klar war, in welchen Zeiträumen das Land in die westlichen Strukturen eingehen wird – in die Nato und die EU. Und sicherlich waren insbesondere die sozialpolitischen Kosten enorm, die ein sich schnell vollziehender Transformationsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft – viele sprechen noch heute, wenn sie Vergleiche suchen, von einem Sprung ins kalte Wasser oder gar von Schocktherapie – gefordert hat. Doch daraus jetzt kurzerhand ein hinterhältiges Interessenspiel Berlins zu machen, das im Bunde mit Strohmännern wie Tusk das Land zugerichtet habe, um es wirtschaftlich wie politisch mittels einer verlockend wirkenden EU-Mitgliedschaft in schleichender Weise übernehmen zu können, wovor das Land erst durch den Kaczyński-Wahlsieg 2015 bewahrt worden sei, schlägt natürlich dem Fass den berühmten Boden aus. Ob Kaczyńskis Wähler diesen Unfug im nächsten Jahr kaufen werden, bleibt abzuwarten. Auch im Lager der Nationalkonservativen soll es bereits Stimmen geben, die über eine Zukunft ohne die immer stumpfer werdende Speerspitze nachdenken wollen. Doch Kaczyński hat noch Großes vor, denn 2025 will er sich – so heißt es jetzt – auf seine alten Tage zum Präsidenten Polens wählen lassen.