25. Jahrgang | Nummer 6 | 14. März 2022

Zwischen Korsett und Vogelkostüm

von Wolfgang Brauer

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus“, empfiehlt der Theaterdirektor in Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ zum „Faust I“. Das geht nicht immer auf – die Berlinische Galerie liefert dafür augenblicklich einen sichtbaren Beleg. Unter dem Titel „Modebilder Kunstkleider“ präsentiert sie Fotografie, Malerei und Mode von 1900 bis heute. „Die umfangreiche Ausstellung befragt das Verhältnis von Künstler*innen zur Mode, ermöglicht einen neuen Blick auf Werke der Sammlung und stellt aktuelle Positionen zeitgenössischer Kunst vor.“ So liest man in der Eigendarstellung des Kunstmuseums zu den Absichten der Schau. Man erwartet ein Feuerwerk an Farben, Formen und Ideen – und wird ganz rasch auf den Boden des Realen heruntergeholt. Berlin eben …

Dabei ist das Entrée vielversprechend: Ein lustig-luftiges „Luftkleid“ von Ursula Stax in fröhlichem Dialog mit den originellen Hüten der Wiebke Siem – herrlich der „Türmchenhut“ von 1987 – geleitet uns in die Auftaktabteilung der Reformmode um 1900. Im Zentrum eine Replik, das „Eigenkleid der Anna Muthesius“. Anna Muthesius nannte ihre bahnbrechende Schrift aus dem Jahre 1903 „Das Eigenkleid der Frau“. Bemerkenswert: Der beeindruckende Muthesius-Fummel wird ebenso erhaben präsentiert wie kürzlich das „Big Bow“ der Vivien Westwood im Schloss Charlottenburg. Vis-à-vis liefern sich ein Fischgrätenkorsett und ein Reformleibchen einen Zweikampf um die Aufmerksamkeit der Betrachterinnen. Leider verirren sich offenbar nur wenige Männer in die Schau. Vielleicht war ich auch zur falschen Zeit dort … Das Ganze wird garniert mit netten, auch sehr bedeutenden Gemälden und Grafiken aus der Sammlung des Hauses, die man gerne sieht, aber schon häufiger gesehen hat.

Mir ist das zu didaktisch. Es soll doch um das wichtigste Nebensächliche im Leben überhaupt gehen – das immer mit Spielerischem verbundene Einhüllen unserer, von uns selbst als mehr oder weniger unvollkommen wahrgenommenen Körperlichkeit. Warum dann so preußisch? „Im Grunde genommen besteht die ganze Mode auf Betonung, Betonung der Schönheit der Frau“, meint Tabea Blumenschein 1980. Oh Tabea, das dürften Sie heute aber gar nicht mehr sagen! Das ist ja so etwas von „-istisch“!

Aber so brav geht es dann auch weiter. Der „Neue Mann“ im Dialog mit der „Neuen Frau“ in den 1920ern … Aber der „neue“ Kerl reduzierte sich dann doch auf den Gegensatz von lockerem Freizeitlook in „lounge suit“ und Hemdbluse versus Dandy. Deutschem Dandy natürlich, der hatte – und hat – immer so ein bissel von UfA-Schönling und kann dann ganz schnell ins Feldgraue schlüpfen. Gut, die „Vatermörder“ verschwanden. Ein Brüller war diese Männermode nicht, ihr Konventionalismus konnte weitergepflegt werden, nachdem der Trümmerstaub sich wieder gelegt hatte. Es blieben ja auch dieselben Entwerfer, Zeichner und – nicht unwichtig – Modefotografen. Im Westen der Stadt jedenfalls.

In deren Branche waren es auch die Frauen, die Bahnbrechendes leisteten. Die aus dem Halbschatten hervorgeholt zu haben ist ein Verdienst der Ausstellung. Natürlich Jeanne Mammen, für mich überraschend Hannah Höch – und vor allem Yva! Die Fotografin prägte unser Bild der 1920er-Mode. Ihre Fotos, die Frau war eine begnadete Göttin der Kontraste, des Spieles von Licht und Schatten, prägten aber auch die Mode selbst. Dem Typ der „Garçonne“ – schmallippig, langbeinig, kurze Haare – verhalf Yva zum Durchbruch. Yves Saint Laurent erfand in den 1970ern doch nur das Fahrrad zum dritten Male! Yva ist ein Künstlername: Die Trägerin Else Ernestine Neuländer-Simon wurde vom braunen Dreckspack 1942 in Sobibor umgebracht.

Es fällt schwer, sich nach Yva dem Auftrittskleid der Blandine Ebinger (1925) zuzuwenden. Das ist ein Wunderwerkchen aus Seidenchiffon mit güldenem Stickwerk! Als Blandine sich das Ding zum ersten Male überstreifte, war sie noch mit Friedrich Hollaender verheiratet. Anders als Yva konnte sie rechtzeitig aus dem Nazi-Land fliehen.

Nach 1945 wird’s eigentlich langweilig. Im Westen versuchte man mit Macht und Krampf, am zerbombten Glanz wieder anzuknüpfen. Herbert Tobias parodiert das mit einem großartigen Foto: „…und neues Leben protzt aus den Ruinen…“ (1954). Tobias lichtet das Model Irmgard Kunde vor einer pompösen Ruinentreppe ab. Kunde wiederum präsentiert ein prächtiges Abendkleid in cremefarbenem Satin, das Heinz Oestergaard entworfen hatte. Das streng geschnittene teure Stück ist vor dem Foto in einer Vitrine zu bestaunen. „Ach Muthesius, kehr wieder!“, möchte man da aufstöhnen. Herbert Tobias, dem das Museum 2008 eine großartige Sonderschau gewidmet hatte, ist mit einer schönen Auswahl seiner fotografischen Arbeiten zu sehen. Es ist nicht immer ganz klar, was den Fotografen stärker interessierte: seine Modelle oder die Mode, die sie zu zeigen hatten. Tobias präsentiert nicht nur, er inszeniert.

Seine DDR-Kolleginnen stellen ihre Models in den Siebziger- und Achtzigerjahren schon mal bis zur Hüfte in einen See, wie Ute Mahler auf ihren strengen Schwarz-Weiß-Fotos in einer Serie für die Sibylle, oder lassen sie in den bröckelnden Hinterhöfen des Prenzlauer Bergs in geradezu revolutionären Klamotten posieren. Das macht Sibylle Bergemann und dokumentiert damit im Mai 1989 im stern die „derzeit aufregendste Mode der DDR“. Gemeint sind die Arbeiten von Angelika Kroker und Katharina Reinwald, die 1988 mit dem legendären Modetheater „Allerleirauh“ im Ost-Berliner „Haus der jungen Talente“ Furore machten. Aus dieser Schau stammt Angelika Krokers „Ledermantel“. Das „Vogelkostüm“ ist kurze Zeit später entstanden – und lässt Nachgeborene möglicherweise ahnen, welch Kreativitätshochdruck sich im engen Dampfkessel DDR aufbaute, der dann ein Jahr später zur Entladung kommen musste. „Mode ist Weltgeschichte ohne Politik“, sagt Tabea Blumenschein.

Darüber lässt sich auch trefflich nachsinnen, wenn man in die Welt von Elvira Bach, Claudia Skoda und Rolf von Bergmann eintaucht, deren Arbeiten einen gleichsam postumen Blick in das „Biotop SO 36“, das Kreuzberg der 1970er und 80er Jahre, möglich machen. Das ist spannend. Aber es ist vorbei. Irgendwie scheint es mir symbolhaft, dass Tabea Blumenschein verarmt und fast vergessen ihre letzten Jahre – sie starb am 7. März 2020 – in einem Berlin-Marzahner Hochhaus verbrachte. Die Eigentümergesellschaft weigert sich beharrlich, eine kleine Gedenktafel am Hauseingang anbringen zu lassen. Mode ist eben auch Politik …

Man sollte sich für „Modebilder Kunstkleider“ viel Zeit mitnehmen.

Modebilder Kunstkleider. Fotografie, Malerei und Mode 1900 bis heute. Berlinische Galerie. Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Alte Jakobstraße 124–128, 10969 Berlin, Mi–Mo 10–18 Uhr, bis 30. Mai 2022; Katalog im Wienand Verlag, 34,80 Euro (Museumsausgabe).