Ein größerer Gegensatz als zwischen dem Hagestolz Friedrich II. und seinem Lieblingsmaler Antoine Watteau, dem Erfinder des Sujets der „Fêtes galantes“ in der Malerei, ist kaum denkbar. Im Besitz der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg befinden sich 19 Gemälde des französischen Künstlers, die Einrichtung verfügt damit nach dem Louvre über den größten Bestand an Watteau-Bildern. Allesamt angekauft von Friedrich. Schon im Rheinsberger Exil besaß er die „Friedliche Liebe“ (1718/1719), eine Darstellung scheinbar harmlos vor einer weiten Flusslandschaft lagernder Liebespaare. Das Bild ist Bestandteil der Ausstellung zum 300. Todestag Watteaus, die die Stiftung im Schloss Charlottenburg ausrichtet. Wer eine glänzende Jubiläumsschau der Bilder des Meisters der „Régence“ erwartet, der Jahre zwischen dem Tod Ludwigs XIV. und dem Regierungsantritt Ludwigs XV. (1715–1723), dürfte enttäuscht sein. Die Kuratoren wählten als Untertitel „Kunst Markt Gewerbe“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger wird gezeigt. Antoine Watteau schenkte das Schicksal gerade einmal vier hochproduktive Jahre, 1721 fiel er der Tuberkulose zum Opfer. Was folgte, ist geradezu paradigmatisch dafür, wie der Kunsthandel einen Künstler „macht“. Bis auf den heutigen Tag …
1720 malte Watteau als Dank für geleistete Hilfe seinem Freund, dem Pariser Kunsthändler Edme-François Gersaint, zum Zwecke der Außenwerbung für dessen Geschäft auf der Notre-Dame-Brücke ein Ladenschild. Gersaint erkannte offenbar schnell, dass die Reklametafel viel zu wertvoll ist, um sie der Witterung auszusetzen, nahm sie nach wenigen Tagen wieder ab und verkaufte sie. Das für die Lunette der Ladentür oben halbrunde Bild wurde zurechtgeschnitten und auf ein rechteckiges Format von 163 mal 306 Zentimeter „ergänzt“ – fertig war ein neues Watteau-Gemälde. Eben das „Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint“, ein Hauptwerk der französischen Malerei des 18. Jahrhunderts. Dessen ursprüngliches Format ist bei genauerem Hinsehen gut zu erkennen. Friedrich kaufte das Gemälde 1746 – eigentlich waren es zwei, das Bild war zerlegt worden.
Das beeindruckende Entree der Schau erzählt die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Gemäldes. Die postume Vermarktungsgeschichte des Gesamtwerkes wiederum wurde durch einen verlegerischen Paukenschlag Gersaints sowie des Sammlers und Watteau-Freundes Jean de Jullienne eingeleitet. Die ließen das komplette Werk des Künstlers in Form von 621 Radierungen kopieren. Das Druckwerk – das wohl erste moderne „Werkverzeichnis“ – umfasst vier, auch für damalige Verhältnisse extrem teure Bände. Offenbar aus Absatzgründen wurden etliche in der Folge wieder zerlegt und in kleinerer Auswahl als Kunsthandelskataloge durch die Welt geschickt. Die Kataloge gerieten auch in die Hände des Preußenkönigs, er sammelte schließlich Watteau. Sophie Charlotte, die Mama, erhielt die Drucke. Die sammelte Kataloge …
Die Exposition ist spannend und verleitet zum Nachdenken über die Kraft des Marktes – und die Objekt-Rolle des Künstlers. Neben allerlei Rokoko-Artefakten wird Watteaus Wirkung bis weit in das 20. Jahrhundert belegt: Das „Big Bow“ (1996) der Modedesignerin Vivien Westwood mit einer großartigen „Watteau-Falte“ krönt das Ganze. Schade nur, dass die Schlösserstiftung sich nicht durchringen konnte, die Berliner Fassung der „Einschiffung nach Kythera“ (1717/1718) in diese bemerkenswerte Schau zu integrieren. Der Besucher ist gut beraten, sich nach dem Besuch der Sonderausstellung auf den langen Weg durch den Charlottenburger Neuen Flügel zu machen. Das Watteau-Kabinett liegt etwas abgelegen.
Antoine Watteau. Kunst Markt Gewerbe, Ausstellung im Schloss Charlottenburg Berlin, täglich außer Montag 9 bis 16.30 Uhr; bis 9. Januar 2022, Katalog im Hirmer-Verlag (in der Ausstellung 29,90 Euro).
*
Wir betreten die Liebermann-Villa am Wannsee, einen zu dieser Jahreszeit sehr stillen Ort – und sind plötzlich umfangen von der Sonne des Südens. Das Haus präsentiert eine kleine, aber feine Ausstellung mit Arbeiten Carl Blechens (1798-1840). Blechen ist jener deutsche Landschaftsmaler der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts, den viele gern neben Caspar David Friedrich stellen. Solche Vergleiche tun beiden nicht gut, obwohl Blechens frühe „Winterlandschaft mit Kieferngruppe“ (1823) stark an Friedrich erinnert. Das Bild – heute im Besitz der Bundesrepublik Deutschland, es war 1943 für das „Führermuseum Linz“ gekauft worden – ist in der Ausstellung zu sehen. Ebenso die „Kreidefelsen“ aus der Blechen-Sammlung der Stadt Cottbus. Carl Blechen ist gebürtiger Cottbuser, die Stadt bemüht sich seit Jahrzehnten um sein Erbe. Blechens „Kreidefelsen“ haben nichts mit denen der Dresdener Romantiker zu tun. Das relativ kleinformatige, sehr expressive, in Ockertönen gehaltene Bild passt auch nicht in unsere Vorstellung der biedermeiergeprägten Blechenzeit. Von Wieland Förster habe ich Ähnliches gesehen… Liebermann wiederum liebte sehr die 1828/1829 auf einer Italienreise entstandenen lichtdurchfluteten Arbeiten: „Die Studien, die er von dort mitbringt […] geben das Höchste, was ein Maler zu geben hat, sie geben das wieder, was Blechen gesehen hat: Das Einfachste und daher Schwerste.“ Max Liebermann betrachtete Carl Blechen als Vorläufer des Impressionismus. Die erste von ihm nach seiner Wahl zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste veranstaltete Ausstellung widmete sich „Werken des Landschaftsmalers Carl Blechen“. Liebermann selbst verfasste den Einführungstext des Begleitheftes.
Ob Blechen nun „Vorläufer“ war oder nicht, ob er ein entlaufener Romantiker oder ein zu ästhetischer Aufmüpfigkeit neigender Mann des Biedermeiers war – darüber werden noch Generationen von Kunsthistorikern heftig, aber garantiert ergebnislos streiten. Sein 1825er „Selbstbildnis“ erinnert im Gestus übrigens sehr an den jungen Heinrich Heine. Der saß auch zwischen allen Stühlen.
Aber genießen wir statt müßiger Spekulationen die schöne Auswahl der zwischen Amalfi und Rügen entstandenen Arbeiten!
Carl Blechen: Das Einfachste und daher Schwerste, Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstaße 3, 14109 Berlin, täglich (außer dienstags) 11 bis 17 Uhr; bis 24. Januar 2022 (Katalog 12,00 Euro).
*
Zum Abschluss unseres heutigen Stadtrundgangs in Sachen Kunst auf ins Schloss Biesdorf! Schloss ist ein bisschen hochgestapelt, es war eigentlich nur eine Unternehmervilla. Das Haus ist aufs Hübscheste saniert worden und beherbergt eine von Karin Scheel trefflich geführte Galerie, die zum Ärger mancher Biesdorfer viel heutige Kunst zeigt. Aber über die derzeitige Ausstellung im Obergeschoss habe ich noch keinen meckern hören. Im Gegenteil! Karin Scheel präsentiert völlig verrückt aussehende Bilder des spanischen Künstlers Gustavo (Gustavo Peñalver Vico). Dazu verspielte Kleinplastiken und Objektkunst des Meisters. Zusammengekommen ist fast eine Art Retrospektive. Die ist überfällig. Die letzte Gustavo-Schau fand in Berlin 2009 statt. Gustavo hat zu Berlin eine besondere Beziehung. Ende der 1960er Jahre fingen die Franco-Faschisten an, seine Bilder zu demolieren. Sie fühlten sich wohl zu Recht von seinen „skurrilen Gestalten in absurden Situationen“ (Bettina Neumann) angegriffen. In West-Berlin fand er 1971 Zuflucht und ab 1976 im Kunsthaus Bethanien für viele Jahre eine neue Wirkungsstätte.
Die in Biesdorf gezeigten – meist recht großformatigen – Tafelbilder kommen in einer für Berlin ungewohnt-fröhlichen Farbigkeit. Gustavo wagt es, sehr flächig fast nur mit den Grundfarben zu arbeiten. Diese Bilder gieren förmlich nach Licht! Die Arbeitsweise des Künstlers ist stark surreal geprägt, der Einfluss der Ahnen Dalí oder auch Joan Miró ist spürbar. Aber Gustavo entwirft mit seinen stark geometrischen Figuren eine ganz eigene Welt. Man muss die Bilder erst einmal auf sich wirken lassen, die Titel lesen – und dann noch einmal schauen. Verblüffend! Mein absoluter Liebling: „Rotkäppchen im Altersheim wird von einer Gruppe verkleideter Politiker im Ruhestand begleitet und begrüßt ihren außerirdischen Cousin, der mit einem vom Reiseveranstalter VivirdePie organisierten Flug ankommt, um den Geburtstag des Wolfes zu feiern“. Und ganz aktuell: „Doña Fernanda, Ministerin für Soziales, kontrolliert von ihrem Büro aus mit der Fernbedienung eine Gay-Gruppe ungarischer Salami-Verkoster, die eine Orgie auf einer Finca unter Lockdown genießen“.
Wie wohltuend ist diese Schau im trüben und immer gereizter daherkommenden Berlin!
GUSTAVO. gracias Berlin! Schloss Biesdorf, Alt-Biesdorf 55, 12683 Berlin, täglich außer dienstags 10–18, Freitag 12–21 Uhr; bis 4. März 2022.
Schlagwörter: Alfred Askanius, Antoine Watteau, Carl Blechen, Gustavo, Schloss Biesdorf