25. Jahrgang | Nummer 2 | 17. Januar 2022

Bemerkungen

Lied im Winter

Trüb sucht mein Blick: wann wird sie wieder blühn?
Die harte Erde lässt mit kaltem Schweigen
die Wipfel in den klaren Himmel zeigen
um die verschneite Bank im Wald,
auf der du einst ein Frühlingsglück umarmtest;
nun sprießt Reif an den starren Zweigen.
Dann willst du weitergehn den alten Gang,
da schluchzt ein Vogelherz, du weißt nicht wo,
die Stille klingt ihm nach: sie blüht, sie blüht!
Lichtblüten glitzern über allen Steigen!

Richard Dehmel (1863–1920)

Opulente Literaturgeschichte Thüringens

„Nur wenn man den Boden kennt,
aus dem sie erwuchsen,
kann man die Pflanzen beurteilen.“

Arno Schmidt, 1958

Literaturgeschichten werden gemeinhin von Forschergruppen erarbeitet. Hier soll von der Mammutarbeit eines Einzelnen die Rede sein. An dem Buch „Das literarische Thüringen“ hat Detlef Ignasiak 13 Lebensjahre gesessen. Jahre, in denen sich die Rezeptionsgewohnheiten der Leser, auch ihr Kaufverhalten rasant verändert haben.

Das auf schwerem Fotopapier gedruckte Werk umfasst 1090 Seiten. Es wiegt mehr als zwei Kilo. (Nur das jüngste Jenaer Stadtlexikon ist schwerer.) Unter den lebenden Zeitgenossen konnte nur der 1950 in Berlin geborene Germanist Ignasiak dieses klar gegliederte Nachschlagewerk schreiben. Wer sonst hat so umfassende literaturtopographische, literatur- und kunstgeschichtliche Kenntnisse zu Thüringen? Zugleich ist Ignasiak ein Kenner der Regional- und Weltgeschichte.

Freilich haben dutzende andere Wissenschaftler, Dichter und Publizisten auch über Thüringer Schriftsteller und ihre literarischen Orte geschrieben Jeder dieser Kollegen könnte mühelos Lücken in dem vorliegenden Werk aufzeigen, sich zu wenig erwähnt oder zitiert finden, Bewertungen anders sehen, wichtige Quellen und Namen vermissen…

Wesentlicher ist indessen zu sehen, was hier vorliegt. Das Glas ist nicht halb leer, sondern gut gefüllt. Leider ohne einführende Worte kommt der Verfasser in seinem opus magnum sofort zur Sache, indem er alphabetisch von Altenburg bis Weimar literarische Orte und Autoren vorstellt. Bei größeren Städten und Ortschaften nimmt er auch das dörfliche Umland in den Blick. Gerade im ländlichen Raum wird mancher Leser Überraschendes finden.

Wer sich etwa an das idyllisch gelegene Dorf Tautenburg (bei Dornburg bzw. Jena) erinnert, dem fallen die Namen Friedrich Nietzsche, Lou Andreas-Salomé oder Ricarda Huch ein. Wer aber hat parat, dass dieser Ort auch mit Ernst Haeckel, dem expressionistischen Dichter Reinhard Johannes Sorge oder dem Kinderbuchautor James Krüss in Verbindung steht.

In schmaleren Bänden zur Literatur in Ilmenau, Jena und Neuruppin hatte der Autor das Format der Darbietung bereits erprobt: Von „Autoren-Galerien“ und „Dichter-Stätten“ ist die Rede. Am schwersten fiel es dem Literaturtopographen, das Weimar-Kapitel zu schreiben. Wo fängt man an, wo hört man auf? Welcher deutschsprachige Schriftsteller war nicht irgendwann einmal in der Goethestadt? Welchen ausländischen Autor sollte man in diese Literaturgeschichte aufnehmen? Der Weltliterat Franz Kafka – auch wenn er 1912 nur eine Woche in Weimar weilte – wird natürlich erwähnt. Was kann ein Publizist heute „Neues“ über Goethe und Schiller in Weimar bieten? Welche lebenden Autoren müssten unbedingt genannt oder ausführlicher vorgestellt werden? Auf welche wäre zu verzichten?

Das Buch ist in seiner Darstellung nicht einheitlich. Dies erweist sich als Gewinn. Mancher Autor, mancher Ort wird knapp, fast nüchtern vorgestellt, bedeutendere in Text und Bild. An anderer Stelle schlägt Ignasiak „Rundreisen“ vor. Er präsentiert Textproben in Poesie und Prosa, bietet auch Anekdotisches. Wesentliche literarische Orte (Dichterhäuser, Museen, Denkmale, Theater) werden durch „Kästen“ hervorgehoben.

Das von dem Erfurter Frank Naumann gefällig gestaltete Buch ist reich bebildert. Nicht jedes Foto ist ein Augenschmaus. Ein kleiner Verlag kann nicht immer mit Profifotografen unterwegs sein.

Dem habilitierten Literaturwissenschaftler, der in seinen „Nebenberufen“ Chef des Jenaer quartus-Verlages und Erfinder der deutschlandweit bekannten Palmbaum-Kulturreisen ist, gebührt Lob und hohe Anerkennung. Detlef Ignasiak zeigt lebendig und umfassend den jahrhundertealten ideellen und materiellen Reichtum des Literaturlandes Thüringen auf.

Sollte ihm der Freistaat für dieses Kompendium nicht dankbar sein?

Ulrich Kaufmann

Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen. quartus-Verlag Bucha bei Jena 2021, 1090 Seiten. 59,90 Euro.

Musikalischer Mix

Während die einen das neue Jahr mit Gesundheits- und Glücksversprechungen beginnen, andere wiederum bange versuchen, das griechische Alphabet zu lernen (Was kommt eigentlich nach Omikron?), legt der Musiker Dagobert Böhm in seinem eigenen Label Ozella Music zum Jahresanfang mit „Within a Dream“ eine neue CD vor.

Gesundheit und Glück spielen auch hier eine Rolle. Denn entstanden ist dies Album nach einer sehr schweren gesundheitlichen Krise, als Böhms (Über-)Leben in der Schwebe hing. Zwischen Meditation und Melancholie schwebt „Within a Dream“. Enthalten sind auch ältere Stücke, die Dagobert Böhm neu aufgenommen hat. Begleitet wird er von seinem langjährigen musikalischen Weggefährten Carsten Mentzel (Fender Rhodes, Piano, Synthesizer), teilweise auch von Karl Seglem (Saxofon), Knut Hem (Dobro) und Omar Gudjonsson (Pedal Steel und Schlagzeug).

Dagobert Böhm verrät im Booklet auch die Noten der zentralen Gitarrenmelodien, die im weiten Grenzgebiet zwischen Folk und Jazz verankert sind. Doch man kann die Lieder auch still genießen. Den von John Lennon geprägten Satz: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen“, hat Böhm zum Leitmotiv für sein künftiges Leben gemacht.

Leben ist aber auch, schöne musikalische Momente zu genießen. Es stünde diesem Lande gut an, die massenmedialen Lautsprecher zu ignorieren und stattdessen den leisen (Lebens-)Künstlern ein Ohr zu schenken.

Das Album insgesamt ist keltisch angehaucht, das musikalische Gerüst fokussiert sich in allen dreizehn Liedern auf Piano, Akustikgitarre und mehrstimmigen Gesang. Auch wenn dieses Album bereits vor der Pandemie entstanden ist: Der melancholische Wohlklang der atmosphärisch dichten Songs erscheint passend für die Corona-Zeit, musikalischer Balsam für die virengeplagte Seele.

Thomas Rüger

Dagobert Böhm: Within a Dream, CD, 2022, Label Ozella Music, etwa 14,90 Euro.

Aus anderen Quellen

Im Hinblick auf die Entwicklung in Kasachstan konstatieren Andreas Steininger und Kollegen vom Ostinstitut Wismar: „Für viele deutsche Medien scheint die Situation klar: Das jahrzehntelang unterdrückte kasachische Volk versucht, sich von seinem Gewaltherrscher zu befreien, Parallelen zu Syrien werden gezogen. Russland, durch die Demokratiebewegung im eigenen Land besorgt, versucht das regierende System zu stützen, in diesem Fall sogar mit Soldaten. Auch der Spiegel vermutet, dass zumindest Putin versuchen wird, vor dem Hintergrund der Krise seinen Einfluss in der Region und insbesondere auf Kasachstan zu erhöhen. Am deutlichsten formuliert ‚Die Zeit‘ unter der Überschrift ‚Putins Angst vor der Revolution‘, dass sich das kasachische Volk gegen das Regime erhebe, Russland eine derartige Demokratiebewegung im Nachbarland jedoch nicht gebrauchen oder gar dulden könne.“ Die Autoren fragen: „Ist das wirklich so?“ und analysieren die Lage.

Andreas Steininger et al.: Demokratiebewegung oder der banale Kampf der Cliquen um die Macht – eine erste Einschätzung der Lage in Kasachstan, Ostinstitut Wismar, 09.01.2022. Zum Wortlaut hier klicken.

*

„Seit fast zwei Jahren ringt Deutschland nun schon mit dem Coronavirus, eigentlich sollte die Politik doch mittlerweile eine vernünftige Strategie entwickelt haben“, schreiben Florian Harms und Marc von Lüpke und fahren fort: „Hat sie aber nicht, immer noch wirken viele Entscheidungen kurzsichtig. Nun soll die Impfpflicht die Wende bringen. Also ein weiterer Eingriff in die Grundrechte der Bürger?“ Die Autoren befragen Hans-Jürgen Papier, früher Deutschlands höchster Richter.

Florian Harms / Marc von Lüpke: „Das Vertrauen ist dramatisch erschüttert“, t-online.de, 17.12.2021. Zum Volltext hier klicken.

*

„Man kann es schon nicht mehr hören“, beginnt Dagmar Henn, „das beständige Geschrei, Russland würde Gaslieferungen als ‚Druckmittel‘ nutzen und das arme ‚Europa‘ erpressen. Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre betrachtet, ist es im Grunde anders herum. Denn die Tatsache, dass Russland inzwischen auf die europäischen Abnehmer auch verzichten könnte, ist die Konsequenz hiesiger Versuche, genau das zu tun, was Russland vorgeworfen wird: den Handel mit Gas als politisches Druckmittel zu nutzen.“

Dagmar Henn: „Wer andern eine Grube gräbt …“, de.rt.com, 28.12.2021. Zum Volltext hier klicken.

*

Zum NSU-Komplex vermerkt Wolf Wetzel: „Anfangs warf die Bundesanwaltschaft André Eminger Beihilfe zu Mord vor und forderte zwölf Jahre Haft. Das Gericht sah dies zuerst auch so und ordnete 2017 Untersuchungshaft an. Am Ende sah es das Oberlandesgericht (OLG) dann ganz anders: André Eminger habe zwar dem Trio geholfen, aber gleichzeitig nichts gewusst – vom Nationalsozialistischen Untergrund, den er selbst in Wort und Tat propagiert hat. André Eminger wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt … und konnte nach Urteilsverkündung das Gericht als freier Mann und als Star der Neonaziszene verlassen. Ging es wirklich nur um einen Neonazi? Was bis heute unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass André Eminger nicht nur glühender Nazi war und ist, sondern auch eine ergiebige Quelle.

Wolf Wetzel, Der NSU-Komplex ist am Ende, nachdenkseiten.de, 17.12. 2021. Zum Volltext hier klicken.

*

Ein Horror für alle Rassisten und Überlegenheitsprediger der einen Rasse (etwa der weißen) über alle anderen: genetisch gesehen haben Ostafrikaner mit heutigen Europäern wesentlich mehr gemeinsam als mit Westafrikanern. Herausgefunden hat das ein noch nicht sehr alter Wissenschaftszweig – die Archäogenetik. Auskunft dazu gab kürzlich Johannes Krause im Deutschlandfunk Kultur. Und auch darüber, dass der in Europa heute vorherrschende helle Hauttypus sich erst vor wenigen Tausend Jahren überhaupt herausgebildet habe, denn die Ureuropäer stammten ursprünglich aus Ostafrika und erreichten Europa dunkelhäutig, wie sie waren, über den Nahen Osten, von wo sie unter anderem ihre Lebensweise als überwiegend Ackerbauer mitbrachten.

Im Gespräch. Archäogenetiker Johannes Krause im Gespräch mit Ulrike Timm, deutschlandfunkkultur.de, 17.12.2021. Zur Audiodatei hier klicken.