Ein Konflikt mit China hätte ernste wirtschaftliche Folgen für Deutschland und die Europäische Union. Über Jahrzehnte gewachsene Beziehungen stehen auf dem Spiel.
In den vergangenen Monaten verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den EU-Staaten und der Volksrepublik China. In Brüssel und Berlin schwenkt man seit Antritt der neuen US-Regierung unter Joe Biden plötzlich auf deren scharfe antichinesische Rhetorik ein. Eine der ersten Amtshandlungen von Präsident Biden war es, Anfang Februar den US-Zerstörer John McCain Richtung China zu schicken, bereits Ende Januar navigierte der US-Flugzeugträger Theodore Roosevelt im Südchinesischen Meer.
Der Kampf der USA, um den Aufstieg Chinas einzugrenzen, entwickelt sich zu einer zentralen Achse der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert. Er begann vor zehn Jahren unter Präsident Barack Obama mit seiner „Hinwendung nach Asien“. Unter Trumps Präsidentschaft wurde auf offenen Handelskrieg gegen China geschaltet, im Hintergrund forcierten die USA darüber hinaus ihre militärische Aufrüstung und die Einkreisung nicht nur Russlands, sondern ebenso Chinas weiter.
„China auszustechen“, sagte William Burns, Bidens designierter CIA-Chef, bei seiner Anhörung im US-Senat, „wird der Schlüssel zu unserer nationalen Sicherheit in den kommenden Jahrzehnten sein“. Zu den Mitteln gehören US-Flugzeugträger im Südchinesischen Meer, Handelssanktionen, Propagandakampagnen in Sachen Hongkong, Tibet oder Xinjiang sowie natürlich Druck auf die Verbündeten in Europa.
In der Welt des 21. Jahrhunderts gibt es drei wirtschaftliche und politische Zentren, die USA, China und die Europäische Union. Die Gewichte im Weltwirtschaftssystem haben sich allerdings längst nach Asien verschoben. Der Anteil Chinas am Bruttoinlandsprodukt der Welt lag 2019 kaufkraftbereinigt bei 19,3 Prozent, der der USA bei 15,1 Prozent und der EU-27 bei 13,8 Prozent. Standen die sogenannten entwickelten Länder wie Westeuropa, die USA und Japan sowie andere in den 1980er Jahren gemeinsam für 63 Prozent globalen Wirtschaftswachstums, waren es in den 2010er Jahren nur noch 23 Prozent. Heute kommt mehr als die Hälfte des Wachstums aus den aufstrebenden asiatischen Wirtschaften, entfällt auf China über ein Drittel.
Die Entwicklung Chinas ist das bedeutendste Modernisierungsprojekt in der Geschichte der Menschheit. Die Grundlage für ihren Platz in der Welt des 21. Jahrhunderts legte die Volksrepublik mit einem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg: Das Pro-Kopf-Einkommen des Landes lag 1949 bei umgerechnet 54 US-Dollar. Besitzlose Bauern, Tagelöhner und Wanderarbeiter machten 80 Prozent der Bevölkerung aus. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des gesamten Landes stieg seitdem atemberaubend – von 59 Milliarden US-Dollar (1960) auf mittlerweile 14.723 Milliarden US-Dollar. Seit Anfang der 1980er Jahre wurden 800 Millionen Menschen in China aus der Armut befreit. Bis 2010 hatte das Land seine Wirtschaftsleistung verdoppelt. Großbritannien benötigte 60 Jahre für diesen Schritt, die USA 40, China lediglich 12.
Deutschland sowie die EU sind von dem Versuch, die Volksrepublik China wirtschaftlich und politisch einzugrenzen, unmittelbar gefährdet. Beide Regionen sind wichtige Partner im Außenhandel. China ist zum fünften Mal in Folge der bedeutendste Außenhandelspartner Deutschlands, Deutschland umgekehrt der wichtigste Partner Chinas in Europa.
Am vorletzten Tag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, am 30. Dezember 2020, einigten sich China und die EU auf den Text für ein „Umfassendes Abkommen über Investitionen“. Darüber war sieben Jahre lang verhandelt worden. Am Ende wollte Bundeskanzlerin Merkel dieses Abkommen noch unter ihrer Ratspräsidentschaft unter Dach und Fach bringen und so ihren Nachfolgern hinterlassen. China wollte das Verhandlungsprojekt erfolgreich abschließen, bevor Biden sein Amt antritt.
Der Sinn des Vertrages besteht darin, EU-Firmen in China und chinesischen Firmen in der EU Rechtssicherheit bei Investitionen zu geben und die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen zu erleichtern. In den USA wurde dieses Abkommen gleich nach der Unterzeichnung scharf verurteilt, es sei „Verrat an der liberalen Weltordnung“, und gefordert, den Ratifizierungsprozess im EU-Parlament zu verhindern.
Die USA wollen in ihrem Kampf gegen den weiteren Aufstieg Chinas verhindern, dass die EU und Deutschland eine eigenständige Rolle spielen. Tatsächlich soll ein engeres Zusammenrücken der wirtschaftlichen und politischen Zentren auf dem eurasischen Kontinent, der EU, Chinas und Russlands, verhindert werden. Dabei wird behauptet, das Abkommen diene vor allem chinesischen Interessen – während völlig klar ist, dass die deutsche Wirtschaft ein dringendes Interesse an diesem Abkommen hat.
Tatsächlich ließ sich die EU dazu verleiten, im März 2021 erstmals seit über dreißig Jahren Sanktionen gegen Peking in Form von Strafmaßnahmen gegen Personen zu verhängen, die als „Verantwortliche für die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang“ gelten. Prompte Antwort der chinesischen Regierung waren Maßnahmen gegen EU-Politiker und -Institutionen. Deren Agieren liefe darauf hinaus, „Chinas Souveränität und Interessen schwer zu schaden und bösartig Lügen und Desinformationen zu streuen.“
Den Genannten und ihren Familien wurde verboten, nach China zu reisen. Ihnen sowie Unternehmen und Institutionen, die mit ihnen in Verbindung stehen, wurde untersagt, Geschäfte mit chinesischen Firmen zu machen. Das bleibt nicht folgenlos. Außenminister Pompeo und andere wichtige Gestalten der Trump-Administration waren bereits mit solchen Sanktionen belegt worden, was nach US-amerikanischen Kommentatoren durchaus Wirkungen zeitigt, da es kaum ein großes US-Unternehmen gibt, das keine Geschäfte in oder mit China macht.
Damit sind wir auf dem diplomatischen Feld der „Retorsion“: Jede Maßnahme der einen Seite wird mit einer spiegelverkehrten Maßnahme der anderen Seite beantwortet. Man kann das weiter eskalieren oder aber anhalten. Der Spiegel warnte: „Die Sanktionen gegen China können zum Bumerang werden.“ Da stets der Westen anfängt und China antwortet, wäre es an ihm, dieses Spiel zu beenden. Anfang Mai 2021 teilte die EU-Kommission allerdings mit, nun auch die Ratifizierung des Investitionsabkommens auf Eis zu legen.
Die Bundesregierung taktiert und verfolgt eine Doppelstrategie: Man braucht und will China wirtschaftlich als Partner, setzt jedoch politisch auf Konfrontation. Dies werde – so betonte kürzlich Hans Modrow – auf Dauer nicht funktionieren. Entweder verhalte sich die Politik kooperativ wie die Wirtschaft oder die Konfrontation werde auf die Wirtschaft übergreifen. Dabei gelte: „China braucht Deutschland nicht unbedingt, aber die Bundesrepublik braucht China auf jeden Fall.“
Die ursprüngliche Fassung dieses Beitrags war von der Bundestagsfraktion der Linkspartei bestellt und vom Autor fristgemäß geliefert, respektive zum Druck vorbereitet worden. Bei der Schlussredaktion der Publikation wurde der Text entfernt. Ob deshalb, weil die Wortführer der Fraktion sich dem China-Bashing der deutschen politischen Klasse andienen wollen oder weil der Autor nicht mehr erwünscht ist, hatte er doch kürzlich die außenpolitischen Volten des Matthias Höhn als politisch völlig verfehlt kritisiert (Das Blättchen No. 3, 2021), ist hier unbekannt.
Schlagwörter: China, Erhard Crome, Europäische Union, Konfrontation, USA