24. Jahrgang | Nummer 13 | 22. Juni 2021

Antworten

Joseph Biden, US-Präsident – Bei Ihrem Treffen mit Putin in Genf machten Sie diesen auf folgendes aufmerksam: „Wie würden wir Amerikaner in der Welt angesehen werden, wenn wir in die Wahlen in anderen Ländern eingreifen?“ Wir wissen zwar nicht, wie der russische Präsident darauf reagiert hat, doch von uns gibt es schlicht und ergreifend ein DANKE! Für diese exzellente Lektion in politischer Bigotterie. Zwar haben Sie insofern Recht, dass die CIA und andere einschlägige Behörden Ihres Landes sich bei der Beseitigung missliebiger Regierungen in nahen und fernen Regionen der Welt meist nicht erst mit dem Procedere von Wahlen aufgehalten haben, sondern Putsche mittels einheimischer Handlanger (Mord inklusive) oder direkte Militärinterventionen vorzogen, doch dafür ist die Liste der Fälle höchst beeindruckend – Puerto Rico 1950, Iran 1953, Guatemala 1954, Libanon 1958, Kuba 1961, Kongo (Zaire) 1961, Brasilien 1964, Dominikanische Republik 1965, Indonesien 1965, Griechenland 1967, Chile 1973, Argentinien 1976, Grenada 1983 … Honduras 2009. Und das sind bloß die, die uns auf die Schnelle so einfallen.

Annalena Baerbock, schnellste Eintagsfliege der Republik? – Die 98,4 Prozent, mit denen Sie auf dem Wahlparteitag der Grünen als Kanzlerkandidatin bestätigt wurden, waren ja fast schon peinlich. So was kennt man doch nur aus der DDR. Aber da Egon Krenz am Ort des Geschehens nicht gesichtet worden ist, mag es dieses Mal durchaus mit rechten Dingen zugegangen sein. Bloß – ob das noch etwas nützt? Nach dem Vergessen meldepflichtiger Nebeneinkünfte und Tricksereien im Lebenslauf. Spiegel-Kolumnistin Bettina Gaus jedenfalls meint: „Annalena Baerbock hat ihren Lebenslauf aufgehübscht, eine vergleichsweise kleine Sünde. Ihre Wahlchancen sind dennoch ruiniert, denn sie hat das Wichtigste verspielt, was sie hatte: ihre Glaubwürdigkeit.“
Andere Spötter hämen schon, selbst weiland der kurze Hype um Martin Schulz von der SPD wäre nicht ganz so schnell wieder in Rauch aufgegangen wie der Ihre. Doch wir raten zu Gelassenheit. Halten Sie’s einfach mit Erich Honecker, der seinen vorschnellen Nekrologikern einst eine Nase drehte: „Totgesagte leben länger!“

Tino Chrupalla, AfD-Spitzenkandidat zur Bundestagswahl – Sie sind Mitglied in einer Facebook-Gruppe, in der auch Fotos geteilt werden. Das ist an sich unspektakulär und nicht ehrenrührig. In Ihrem Falle konnte man aber auf die Abbildung eines Pizzakartons stoßen – mit Konterfei von Anne Frank und dem Aufdruck „Ofenfrisch!“.
Von Sarah Wagenknecht jüngst bei Anne Will darauf angesprochen, zeigte Ihr leichtes, doch erkennbar mokantes Schmunzeln, dass in dieser Richtung womöglich noch mehr von Ihnen erwartet werden darf. Möge es also hinterher nicht schon wieder heißen, das habe man vorher nicht ahnen können.

Doch was mag die Dame des Hauses bewogen haben, jemandem wie Ihnen überhaupt eine öffentlich-rechtliche Plattform zu bieten? Vielleicht hat Anne Will sich einfach bloß gesagt: „Die werden schon abwirtschaften.“*

* – So der Bremer SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Gewerkschaftsfunktionär Oskar Schulze Anfang 1933. Die Nazis verhafteten ihn am 18. April 1933; er landete im gerade eingerichteten Bremer Konzentrationslager Mißler.

Kardinal Reinhard Marx, am Rücktritt Verhinderter – Sie hatten dem Stellvertreter Ihres Chefs, also dem mit Dienstsitz in Rom, wegen Ihrer persönlichen Verantwortung im Kontext des Missbrauchsskandals in der Katholischen Kirche nicht nur Ihren Rücktritt angeboten, sondern Franziskus zugleich expressis verbis „sehr“ darum gebeten, „diesen Verzicht anzunehmen“. Dabei war – angesichts anschwellender Demissionsforderungen an die Adresse solcher Ihrer Amtsbrüder wie Woelki in Köln und ähnlicher – doch völlig klar, dass der Papst, wollte er nach dem ersten Dominostein nicht noch wer weiß wie viele weitere kippen sehen, gar nicht anders konnte, denn abzulehnen. So muss ein inszenierter Nicht-Rücktritt zwar nicht zwangsläufig unterstellt, aber ebenso wenig mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Attestiert wurde Ihnen im Übrigen von vielen Seiten vorbildliche Haltung, wenn auch nicht alle gleich zum Höhenflug ansetzten wie die Passauer Neue Presse: „Der in der Öffentlichkeit ausgelöste Effekt, hier habe ein Kirchenoberer nun endlich einmal durch Taten überzeugen wollen, bleibt bestehen. Marx wird weiter mit dem Pfund einer moralischen Instanz wuchern können, weil er Macht abgeben wollte, wo andere über jedes Maß hinaus an ihr festhalten. Mit diesem Nimbus wird der frühere Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz weltweit wahrgenommen – und das könnte bei der nächsten Papstwahl eine Rolle spielen.“

Vulgo: Ein Missbrauchsmitverantwortlicher als Pontifex maximus?

Na ja, da gab es weiß Gott schon bedeutend schlimmere.

Aber danach?

Endlich doch noch big Aufräume im Vatikan und in den Dependancen?

Die herkulessche Statur dafür, von wegen Augiasstall, brächten Sie ja mit.

Doch sonst?

Wir halten den Ball da vorsichtshalber lieber erst mal flach.

Mit Goethen.

Sie wissen schon: „Die Botschaft hör ich wohl …“

Marietta Slomka, aus dem Journalismusberuf ausgestiegen? – Was parteiische Kommentierung und Berichterstattung des heutejournals betrifft, sind wir einiges gewöhnt. Wenn es um Russland oder China geht, sind Maß und Mitte nicht gewünscht. Ihre Kommentierung des Biden-Putin-Treffens war aber unübertroffen: Biden hätte als der klare Sieger hinausgehen müssen … Das entsprach zumindest auch der Sichtweise der sogenannten amerikanischen Qualitätsmedien.

Dass es darum ging, einen Gesprächsfaden überhaupt erstmal wieder aufzunehmen, Diplomatie Raum zu geben, um in wichtigen, zum Beispiel Abrüstungs- und Klimafragen voranzukommen, konnten Sie gut negieren.

Faktencheck – wozu?

Dass ausgerechnet Außenminister Maas diesmal als Realpolitiker auffiel und versuchte, den Wert des Treffens gegen Ihre Darstellung zu behaupten, macht uns nun wirklich sprachlos …

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Uneinsichtiger – Ihr Plädoyer, den militärischen Konflikt in der Ostukraine durch Lieferung von (natürlich defensiven) Waffen an Kiew weiter anzuheizen, bescherte Ihnen reichlich Kritik vom politischen Gegner, aber auch heftiges friendly fire aus den eigenen Reihen. Uns war’s ebenfalls eine Antwort wert (Ausgabe 12/2021).

Doch solches nicht mit Ihnen!

Schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister sind schließlich berühmt dafür, dass sie das Kreuz erst so richtig durchdrücken, wenn steifer Nordwest von vorn wettert. So setzten Sie nun auf den Schelm anderthalbe und kritisierten die Bundesregierung für ihre doppelten Standards: Diese liefere Waffen an Ägypten, das den Bürgerkrieg im Jemen anheize, und ließe die Ukraine im Regen stehen.

O tempora, o mores – wo sind die Zeiten, als ein führender Grüner vehement gefordert hätte, die Sauerei mit den deutschen Waffenlieferungen an Ägypten gefälligst sofort zu beenden – wegen des Bürgerkriegs im Jemen! –, statt sie zum Vehikel seiner Ausstattungsvorstellungen fürs Militär der Ukraine zu machen?

Manche sehen Sie ja nach der Bundestagswahl schon als Außenminister.

Wir sehen Sie danach durchaus auch als so manches, allerdings – außer Minister.

P.S.: Einen gerade bekannt gewordener Trost für Sie und Ihresgleichen soll nicht verschwiegen werden – das Pentagon hat jetzt ein militärisches Hilfspaket im Umfang von 150 Millionen US-Dollar für Kiew angekündigt. Unter andrem um „die Interoperabilität mit der NATO zu verbessern“.

Theo Sommer, Ex-Chefredakteur und Herausgeber des Wochenblattes DIE ZEIT – Ihrem Freund Henry Kissinger schrieben Sie kürzlich eine Laudatio aus Anlass seines 98. Geburtstages, darinnen es hieß: „Wer Henry Kissinger […], für einen Kriegsverbrecher hält, der sollte die Lektüre hier abbrechen. Der Kissinger, der den Sturz des chilenischen Sozialisten Salvador Allende inszenierte und im Kampf gegen die Vietcong Bomben auf Kambodscha regnen ließ, ist nicht der ganze Kissinger – jener Staatsmann von Bismarckschem Format, Großmeister der Realpolitik, Friedensstifter und, zeitlebens in Sorge, ein Praktiker des Mächtegleichgewichts.“ Einen großen Denker und Gestalter von Weltpolitik habe ihn auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier genannt.

Das ist natürlich völlig richtig. Auch Martin Luther war ja bekanntlich nicht bloß Hassprediger, militanter Antisemit und wüster Hetzer „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren“, sondern ein nicht unmaßgeblicher Reformator der Kirche und Erneuerer der deutschen Sprache!

Andererseits, geschätzter Kollege Sommer: Wenn wirklich nicht einmal mehr ein blutiger Militärputsch und ein mörderischer Bombenkrieg mit jeweils Hekatomben von Todesopfern genügen sollten, um aus dem Koordinatensystem dessen, was unter „Verdienste an der Menschheit“ gerade noch so als tolerabel gelten mag, exkommuniziert zu werden, wo in drei Teufels Namen soll man die Grenze dann eigentlich ziehen? Auch der Braunauer hat schließlich, Sie werden sich entsinnen, Millionen Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt, Autobahnen gebaut sowie diese gigantische Urlauberbeherbergungsburg bei Prora auf Rügen …

Fred Kaplan, KlarstellerBlättchen-Lesern sind Sie als ausgewiesener Experte für Atomrüstung und Nuklearstrategie der USA, respektive Abschreckung, bekannt (siehe Ausgabe 6/2020). Immer wieder haben Sie sich dabei auch mit der sogenannten nuklearen Triade der USA befasst (land- und U-Boot-gestützte Interkontinentalraketen sowie atomare Langstreckenbomber).

Kürzlich lieferten Sie eine Erklärung dafür, warum atomare Rüstungskontrolle und Abrüstung im US-Kongress seit vielen Jahren unter ferner liefen rangieren: „Die meisten Mitglieder der Streitkräfteausschüsse des Kongresses betrachten die nukleare Triade mit der gleichen Verehrung, die Katholiken der Heiligen Dreifaltigkeit entgegenbringen. Wenn sie einen Zeugen fragen, ob er an die Triade glaubt, tun sie dies mit einem bebenden Ton, als ob sie Priester wären, die einen Bittsteller fragen, ob er an Gott glaubt.“

Doch gerade deswegen, so steht zu befürchten, werden die betreffenden Damen und Herren dereinst im Himmelreich mit offenen Armen empfangen, denn wie heißt es bekanntlich bei Johannes 20,29: „Seelig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Denn schließlich ist die Annahme, dass atomare Abschreckung der nationalen Sicherheit oder gar der Gewährleistung des Friedens diene, bestenfalls eine nichtbeweisbare Behauptung.

Libuše Šafránková, Unvergessliche – Generationen von Kindern, Eltern und Großeltern sind Sie ein Begriff, obwohl den meisten davon Ihr Name nichts sagen mag. Manche, wie der amtierende tschechische Premierminister Andrej Babiš, behaupten, Sie in der Rolle Ihres Lebens „vielleicht Hundertmal“ gesehen zu haben. Die spielten Sie 1973 mit 19 Jahren, als blutjunge Absolventin der Schauspielschule, und noch heute gehört der Film alle Jahre wieder zum weihnachtlichen without not, was mit Standardprogramm nur sehr unzulänglich wiedergegeben ist – „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.

Insgesamt spielten Sie in über 80 Film- und Fernsehproduktionen, der größte Erfolg ihrer späteren Laufbahn war eine Nebenrolle in dem berührenden Streifen „Kolya“ von Jan Svěrák, der 1996 völlig zu Recht als bester fremdsprachiger Film mit einem Oscar geehrt wurde.

Jetzt sind Sie mit nur 68 Jahren verstorben.

Mag die Sache mit der Wiederauferstehung – ob oder ob nicht – auch noch nicht endgültig entschieden sein, in Ihrem Falle jedenfalls sind es nur noch ein paar Monate.

Christian Esch, SPIEGEL-Scribent – Mit nicht nachlassendem Eifer erklären Sie uns ein ums andere Mal die Welt der Russen, in Sonderheit die perfide Politik Putins daheim und in der Ferne. Dabei bevorzugen Sie in der Regel auffällig düstere Farbtöne. So auch wieder in der Ausgabe 23/2021 des Hamburger Magazins. Und dieses Mal beginnen Sie mit einem hübschen Rückgriff auf, was liegt bei Russen näher – Tschechow. Von dem stamme „eine viel zitierte Regel der Theaterkunst: Wenn im ersten Akt eine Pistole an der Wand hängt, dann muss sie irgendwann in den folgenden Akten einen Schuss abfeuern.“ Doch damit nicht genug: In Putins Reich sei vielmehr in den vergangenen Jahren „im Bühnenbild eine geladene Pistole nach der anderen“ erschienen und just jetzt, im Jahre 2021, war es soweit: „All jene Waffen, die seit Jahren an den Wänden hingen, gingen nun mit großem Getöse los.“ Man hört es förmlich bis nach Berlin.

Tatsächlich allerdings schrieb Anton Tschechow am 1. November 1889 in einem Brief an seinen Künstlerkollegen Aleksandr Semjenowitsch Lazarev-Gruzinskij: „Bester Aleksander Semjenowitsch, Ihr Vaudeville habe ich bekommen und sofort gelesen. Es ist sehr schön geschrieben, aber seine Architektur ist unerträglich. Diese widerspricht der Bühne total. Urteilen Sie selbst. Daschas erster Monolog ist völlig unnötig, denn er ragt hervor wie ein Auswuchs. Er wäre am Platz, wenn Sie aus Dascha nicht einfach eine Statistenrolle hätten machen wollen und wenn er, der Monolog, der dem Zuschauer viel verspricht, irgendeinen Bezug hätte zum Inhalt oder den Effekten des Stücks. Man kann nicht ein geladenes Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuß daraus abzugeben.“ (Hervorhebung – die Redaktion.)

Werter Kollege Esch, falls sich der übrige Inhalt Ihres betreffenden Beitrages zur Realität verhalten sollte, wie Ihr Tschechow zum Original, na dann – gute Nacht, Marie! Da ließe Relotius weiß Gott grüßen.