Kürzlich berichtete der Jenaer Soziologe Klaus Dörre, der im Mai 2019 auf der Gründungsveranstaltung der Bewegung „Students for Future“ an der Uni Leipzig sprach, er habe dort den Vorschlag gemacht, große Konzerne wegen ihrer Blockadehaltung gegenüber Klimazielen zu sozialisieren. Tosender Applaus sei die Antwort gewesen. Was wäre passiert, wenn Dörre das nicht vor Studierenden, sondern in einer Betriebsversammlung vor der Belegschaft eines Auto-Konzerns vorgeschlagen hätte? Etwa zur gleichen Zeit dachte der seinerzeitige Juso-Chef Kevin Kühnert in einem Interview laut über die Kollektivierung von BMW nach. Er erntete bei führenden Gewerkschaftern schroffe Ablehnung. Die Betriebsratschefs von BMW und Daimler kommentierten seinen Vorstoß: „Für Arbeiter deutscher Unternehmen ist diese SPD nicht mehr wählbar.“ Die damalige Parteivorsitzende Andrea Nahles beteuerte deshalb eilfertig: „Die Arbeitnehmer können sicher sein: Die SPD fordert keine Verstaatlichung.“ Niemanden wundert es deshalb, wenn die regierende SPD dem Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ mit Widerwillen begegnet.
Verkehrte Welt? Ich gebe zu, Dörres Bericht über die Reaktion auf seinen Vorschlag verkürzt zu haben. Wie er weiter schreibt, sei einigen der studentischen Veranstalter wegen des radikalen Statements „der Schrecken ins Gesicht“ geschrieben gewesen. Und im Herbst desselben Jahres verabschiedete die IG Metall, der die erwähnten Betriebsratsvorsitzenden natürlich angehören, eine neue Satzung, in der unter „Aufgaben und Ziele“ wie schon seit vielen Jahrzehnten ein Punkt zur „Überführung von Schlüsselindustrien und anderer markt- und wirtschaftsbeherrschender Unternehmungen in Gemeineigentum“ zu finden ist.
Jetzt wird die Eigentumsfrage von ganz anderen Leuten, mit einem ganz anderen Inhalt und mit völlig anderen Intentionen aufgeworfen. Es geht um die Schaffung von „Verantwortungseigentum“, um die neue Rechtsform einer „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“. Der Verband der Familienunternehmer lehnt den Vorschlag umgehend mit der Begründung ab, mit dieser Form würde die Idee des Eigentums in ihr Gegenteil verkehrt. Robert Habeck von den Grünen sprach in einer ersten Reaktion sogar von einer „freiwilligen Enteignung“ und einer „Sozialisierung des Eigentums“. Aber wenn sich – wie vor wenigen Tagen auf einem prominent besetzten Forum der Initiatoren des Vorschlags – Lars Feld, Chef des ordoliberalen Walter-Eucken-Instituts und bis vor Kurzem Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Christian Lindner (FDP), Friedrich Merz und Armin Laschet (beide CDU) und Olaf Scholz (SPD) einig sind, dass es sich um eine diskutable Idee handelt, darf als sicher gelten, dass es nicht um Enteignung geht. Längst ist es auch keine bloße Idee mehr. Die Stiftung „Verantwortungseigentum“, die hier federführend ist, hat die Aufmerksamkeit der Wirtschaftspresse gewonnen und eine Gruppe von Professorinnen und Professoren hat einen ausgefeilten Gesetzentwurf vorgelegt.
Worum geht es? Viele Familienunternehmen und familiär betriebene Handwerksbetriebe haben ein Nachfolgeproblem. Entweder haben sie keinen geeigneten Nachwuchs in der Familie oder die Sprösslinge haben keine Lust oder es gibt zu viele davon, so dass Streit programmiert ist. Um das Unternehmen trotzdem in der Familie und das Vermögen zusammen zu halten, kann eine Familienstiftung gegründet und die Geschäftsführung einem bezahlten Management übertragen werden. Die Gründung einer Stiftung, die den jeweiligen konkreten Familieninteressen angemessen ist, erfordert komplizierte rechtliche Konstruktionen mit erheblichen Kosten und ist für kleine und mittlere Unternehmen kaum praktikabel. Oft engagiert sich das bezahlte Management nicht so, wie die Familie das eigentlich möchte. Der frühere Adel hatte dieses Problem übrigens auch. Um das Vermögen in seiner Grundsubstanz zusammen und in der Familie zu halten, gab es die Rechtsform des Fideikommiss, bei der das Erbe nicht aufgeteilt werden konnte und nur ein treuhänderisch handelndes Familienmitglied das Nießbrauchrecht innehatte. Nicht selten vergaßen die Inhaber dieses Rechts das Familieninteresse und schließlich entsprach diese Rechtsform auch nicht mehr den eigentumsrechtlichen Anforderungen einer kapitalistischen Wirtschaft und wurde deshalb abgeschafft.
Aber nicht nur Familien wollen ihr Vermögen zusammenhalten. Auch in anderen Unternehmen können sich Gründer, Teilhaber oder „Macher“ als eine Gemeinschaft verstehen, die sich gegen internen Zerfall oder externen Ausverkauf immun machen will. Gründer sind nicht immer nur auf monetäre Erträge aus, sondern verfolgen vielleicht auch soziale oder ökologische Ziele, die bei Management- oder Inhaberwechsel vielleicht unter die Räder kommen. Stiftungen, die auch außerökonomische Ziele haben können, sind gerade für Gründer und Startups zu kompliziert und zu teuer. Diesem Mangel soll nun mit einer ähnlichen, aber einfachen Rechtskonstruktion abgeholfen werden. Der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen können Gewinne nicht entnommen werden, die Auszahlung von Anteilen ist nur in Höhe des eingezahlten Nennwerts möglich. Die Gesellschaft gehört sich genau wie eine Stiftung quasi „selbst“ und die Anteilsinhaber und Teammitglieder, die Managementfunktionen ausüben, fungieren als „Treuhänder“ des gesamten Eigentums. Eine reine Shareholder-Value-Orientierung ist mit dieser Rechtsform also nicht verbunden und für „Heuschrecken“ wie Hedge-Fonds, Venture Capital oder Private-Equity-Gesellschaften wären solche Unternehmen wahrscheinlich uninteressant.
Anders als ihr Verband können nicht wenige bestehende Familienunternehmen diesen Vorschlägen Positives abgewinnen und prüfen natürlich zuerst, ob sich damit vielleicht ein neues Steuersparmodell kreieren lässt. Manche jüngere Unternehmensgründer sehen eine Möglichkeit, eingefahrene Wege zu verlassen, eigene Interessen dauerhaft mit gemeinwohlorientierten Zielen zu verbinden und den Begriff der Familie über gemeinsame Wertvorstellungen und nicht mittels Chromosomen zu definieren.
Mit einem „Sozialismus durch die Hintertür“, wie auch gemutmaßt wurde, hat der Vorschlag freilich nichts zu tun. So wie die bestehenden Stiftungsunternehmen, die nach diesen Prinzipien agieren, bleiben sie kapitalistische Wirtschaftsunternehmen und agieren vor allem profitorientiert. Was unter Gemeinwohl verstanden wird, unterliegt ausschließlich ihren eigenen Festlegungen und da sie sich selbst gehören, kann es außer den gesetzlichen Bestimmungen und bei Kreditverhandlungen auch keine anderen externe Einflüsse geben. Belegschaften haben keine anderen Rechte als in anderen Unternehmen. Auch die Vorstellung, mit dieser Eigentumsform würden Eigentum und Haftung wieder zusammengeführt, ist falsch. Die Gesellschaftsform ist ausdrücklich die einer „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, nicht etwa mit dem Zusatz „gemeinnützig“ sondern „mit gebundenem Vermögen“.
Auf dem erwähnten Forum betonte Christian Lindner, der trotz einiger Wenn und Aber Sympathie bekundete, es gehe um eine „grundlegende Frage der Wirtschaftsordnung“. Professor Feld hob hervor, es handele sich keineswegs um eine gemein- sondern eine privatnützige Unternehmensform. Die Wirtschaftsordnung solle durch die Verbreiterung der Wahlmöglichkeiten bei der Unternehmensgründung oder -umwandlung weiter liberalisiert werden. Und Friedrich Merz ergänzte, das sei keine antikapitalistische Idee, sondern die Suche nach Wegen, wie die bestehende Wirtschaftsordnung widerstandfähiger gegenüber dem Druck aus dem „staatskapitalistischen China“ und dem „angloamerikanischen Marktkapitalismus“ gemacht werden könne.
Wenn die herrschende Elite über Veränderungen beim Eigentumsrecht nachdenkt, sollte das aufmerksam verfolgt werden. Das hat auch Sarah Wagenknecht in ihrem neuen, umstrittenen Buch getan. Ihr Vorschlag eines „Leistungseigentums“, bei dem sie Ähnlichkeiten zum „Verantwortungseigentum“ ausmacht, geht über dieses deutlich hinaus. Es schließt bestimmte Rechte der Mitarbeiter in demokratisch besetzten Kontrollgremien ebenso ein wie – je nach Größe differenziert – Mitspracherechte der Gemeinde, der Länder und des Bundes. Die gesamte Volkswirtschaft betreffende Investitionsentscheidungen sollen so auch den Interessen der Allgemeinheit unterworfen werden. Das ist zwar kein Sozialismus, aber ein Einstieg in mehr Wirtschaftsdemokratie, ein bei Linken und in Gewerkschaften verbreitetes Konzept. Zwar tauchen beide Begriffe bei Wagenknecht nicht auf, aber Nachdenken über Eigentum hat offensichtlich Konjunktur.
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