23. Jahrgang | Nummer 23 | 9. November 2020

Deutsches Kabarett – so oder so lachhaft!

von F.-B. Habel

Ich habe nie geglaubt, dass so viel Arbeit dahintersteckt, um zu erreichen, dass Leute abends zwei Stunden lachen, ohne dass sie und die Autoren sich hinterher zu schämen haben. Und gar, bis es soweit ist, dass man denkt, wir hätten es ‚aus dem Ärmel geschüttelt!‘. Zum Glück sieht keiner die erste Niederschrift: wie krumplig, wie schwerfällig, wie schwerflüssig ist da noch alles.

Kurt Tucholsky

Tucholsky hat sich seine Arbeit nie leichtgemacht, auch seine Texte für die Weltbühne hat er mehrfach umgeschrieben, bis sie saßen. Dafür hat das meiste auch 85 Jahre nach seinem Tode noch seinen Wert. Seine Arbeit fürs Kabarett (er bevorzugte die Schreibweise „Cabaret“) stand nach über zwanzig Jahren erneut im Mittelpunkt der Jahrestagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft (KTG). Ursprünglich wollte man im Deutschen Kabarettarchiv in Mainz tagen, aber dort meinte man, erforderliche Abstände nicht einhalten zu können. Da sich die ursprüngliche Teilnehmerzahl pandemiebedingt sowieso stark dezimiert hatte, war es jetzt möglich, in Rheinsberg zu tagen, der einzigen deutschen Stadt, die über ein Tucholsky gewidmetes Museum verfügt.

Die Musikbrennerei ist sowohl ein Cabaret, als auch eine kleine Konzerthalle. Hausherr Hans-Karsten Raecke, ein Schüler der Komponisten Rudolf Wagner-Régeny und Paul Dessau, hat sie aus einer ehemaligen Schnapsbrennerei nach eigenen Entwürfen so errichten lassen, dass sie sich auch für Kabarettaufführungen gut eignet. Für diese Sparte ist Jane Zahn zuständig, die einst das Heidelberger AnnaBlumeCabaret leitete und nun in Rheinsberg ihr eigenes Refugium hat. Beide umrahmten die Tagung: Raecke mit einem Konzert, in das er Ausschnitte aus seinem Heine-Zyklus „Deutschland, ein Wintermärchen“ einfließen ließ, und Zahn mit einem komödiantischen Kabarett-Solo, in dem sie nicht mit Zweifeln an der Wirksam- und Notwendigkeit der gegenwärtigen Zwangsmaßnahmen sparte.

Davon betroffen war auch der in London ansässige KTG-Vorsitzende Ian King, dem eine zweiwöchige Quarantäne drohte, wäre er nach Deutschland eingereist. Doch sein kenntnisreicher Vortrag konnte verlesen werden. King wies auf Tucholskys Methode hin, ein anfangs „harmloses“ Lied mit einer politischen Strophe zu koppeln: „Ein Großteil der wirklich fürs Cabaret geschriebenen Texte erschien vor einem bürgerlichem Publikum, das einen linken politischen Inhalt nicht geschätzt hätte. Daher das Überraschungsmoment, wenn ein scheinbar unpolitisches Lied in der letzten Strophe die Zuschauer überrumpelt.“

Tucholsky verdiente gut – gerade auch durch seine Kabaretttexte. Doch er verriet seine Überzeugungen nicht, so King. „Insofern taten Tucholskys Kritiker um die KPD-nahe Zeitschrift Die Linkskurve ihm unrecht, als sie eine Tucholsky-Lesung mit einer Modenschau für gutsituierte Bürgerfrauen verglichen und die hohen Abendpreise bemängelten. Politisch harmlos waren solche Abende nicht. Übrigens: Tucholsky forderte für die Aufführung seiner Texte durch linke Agitprop-Truppen keinen Pfennig. Andererseits wollte er nicht nur vor bereits Überzeugten predigen.“

Weitere Vorträge behandelten die unterschiedliche Entwicklung des deutschen Kabaretts nach 1945 in den beiden deutschen Staaten, etwa die Fortführung des tucholskyschen Tons durch seinen einstigen Komponisten Friedrich Hollaender. Er schrieb für die Münchner Kleine Freiheit der zurückgekehrten Emigrantin Trude Kolman Lieder, die die Tradition der zwanziger Jahre aufgriffen. Doch die Prinzipalin war auf ein bürgerliches, zahlungskräftiges Publikum bedacht, wie sie 1961 erläuterte: „Ich bin gegen politisches Kabarett, weil ich die Zeit dafür für zu ernst halte (…) Beim politischen Kabarett müsste man das Publikum angreifen, das die Leute, die wir angreifen, gewählt hat und so meine ich, dass es besser war, sich dem Sozial- und Kulturkritischen zuzuwenden und dies in entsprechend liebenswürdiger Form.“

Auch die politisch schärferen Kabaretts in der BRD (etwa Kom(m)ödchen in Düsseldorf oder die Lach- und Schießgesellschaft in München) standen weniger vor der Klassen- als vor der Kassen-Frage. Alle waren privatwirtschaftlich organisiert. Bei einigen kam eine indirekte öffentliche Förderung dazu, wenn das Deutsche Fernsehen ganze Programme ausstrahlte. Zu weit durfte man sich da nicht aus dem Fenster lehnen.

Einen anderen Tonfall schlugen Kabaretts an, die in den sechziger Jahren im Dunstkreis des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und der Außerparlamentarischen Opposition (APO) entstanden. Dazu zählte das 1965 von Reiner Uthoff (dem Vater des „Anstalt“-Leiters Max Uthoff) in München gegründete Rationaltheater, das von Anfang an nonkonformistisch war und keine Auseinandersetzung scheute. Die Folge waren 61 Strafverfahren wegen Gotteslästerung, Beschimpfung des Staatsoberhauptes und anderer Delikte. Die ungewollte Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft machte das Kabarett schnell über München hinaus bekannt, bundesweit gar, als Uthoff 1968 Baupläne für ein Nazi-KZ enthüllte, die Bundespräsident Lübke abgezeichnet hatte.

In Westberlin war das Reichskabarett in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre das wichtigste politische Kabarett und kritisierte mit seinem Programm nicht mehr nur unfähige Politiker oder andere Missstände, sondern die Gesellschaftsordnung, die Ursache dieser Missstände war. Gründer Volker Ludwig wandelte das Theater zum Grips um, das bis heute die nonkonformistsche Tradition des Reichskabaretts aufrechterhält.

In der DDR, so erläuterte Kabarett-Historiker Jürgen Klammer aus Leipzig, waren Kabaretts volkseigene Unternehmungen. Um den Absatz der Karten musste man sich hier keine Sorgen machen. Dafür gab es diffizile Methoden, in die Texte hineinzureden. Dass ganze Programme verboten wurden, kam zwar vor, aber man vermied es wegen der schädlichen Außenwirkung. Die Kritik der Satiriker sollte aber in den Theaterräumen bleiben. Fernsehübertragungen von Programmen der Berliner Distel oder Pfeffermühle und academixer aus Leipzig blieben Eintagsfliegen. Klammer analysierte die einzelnen Phasen des DDR-Kabaretts mit so oder so lachhaften Beispielen. Übrigens kamen auch Texte von Tucholsky auf die Bühnen der DDR-Kabaretts, sowohl die harmlosen wie „Ein Ehepaar erzählt einen Witz“ als auch die politischen. Gerd E. Schäfers legendäre Interpretation von „Ein älterer, aber leicht besoffener Herr“ beim Wahlkampf wurde auf Platte verewigt.

Dafür, dass die Tagung keine theoretische Unternehmung blieb, sorgte der Kabarettist Joe Faß aus Hannover, der den alten Texten von Tiger, Panter & Co. neue Nuancen abgewann, auch mit Tucholskys höflicher Publikumsbeschimpfung: „O hochverehrtes Publikum, sag mal: Bist du wirklich so dumm … ?“ Er erhielt zustimmenden Applaus!

Unser Autor leitete die Rheinsberger Tagung in seiner Eigenschaft als Zweiter Vorsitzender der KTG.