Die SPD ist eine Traditionspartei, zu deren Denkwürdigkeiten immer mal wieder auch Tabubrüche mit weitreichenden katastrophalen Folgen gehören. Man erinnere sich nur an die praktisch einhellige Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD-Reichstagsfraktion im Jahre 1914 für einen Kaiser, der nach den Sozialistenverfolgungen wenige Jahrzehnte zuvor plötzlich keine Parteien mehr kannte, sondern nur noch Deutsche. Oder an die erste unmittelbare Kriegsbeteiligung deutschen Militärs nach 1945 – mit Tornado-Kampfbombern der Bundeswehr gegen Serbien im Jahre 1999 –, die ausgerechnet ein SPD-Kanzler zu verantworten hatte. Und zwar völkerrechtswidrig, also als Akt einer Aggression, wie der Verantwortliche, Gerhard Schröder, später freimütig einräumte (zur Videosequenz hier klicken).
Ganz von derartigem Format ist die jüngste Volte der SPD zwar nicht. Aber ernst genug, um sich mit ihr auseinanderzusetzen, ist sie allemal: Die Bundestagsfraktion der Partei signalisierte Ende Juni, dass sie nun doch bereit sei, dem Einsatz bewaffneter Kampfdrohnen durch die Bundeswehr zuzustimmen. Noch in der vorangegangenen Legislaturperiode hatte die SPD die Beschaffung derartiger Waffensysteme blockiert.
Bekanntlich drängen die Union und die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bereits seit längerem auf die Beschaffung bewaffneter Drohnen, nachdem solche unbemannten und bisher unbewaffneten Flugkörper vom Typ „Heron 1“ – geleast von Israel – durch die Bundeswehr bereits seit vielen Jahren zur Luftaufklärung eingesetzt werden. Die Union und AKK haben nun speziell das Nachfolgemodell „Heron TP“ im Visier – 14 Meter lang, 26 Meter Spannweite und mit 1200-PS-Antrieb in der Lage, bis zu einer Tonne Waffenlast zu transportieren.
Das Argument der Beschaffungsbefürworter brachte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, auf den Punkt, als er jüngst erklärte, dass „bewaffnete Drohnen […] vor allem dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz [dienen]“.
Wie hat man sich das praktisch vorzustellen?
Vielleicht so wie im afghanischen Kunduz am 3. September 2009: Unweit eines Bundeswehrlagers waren zwei zivile Tanklaster von Taliban entführt worden und anschließend beim Versuch, eine Furt zu durchqueren, steckengeblieben. Der Standort wurde mit Drohnen, über die die Bundeswehr dort verfügte, aufgeklärt, wobei man „67 Taliban-Kämpfer gezählt“ haben will. Der im Bundeswehrlager zuständige damalige Oberst Wolfgang Klein forderte daraufhin zwei US-Kampfbomber an, die das Ziel vernichteten. Eine Untersuchungskommission im Auftrag des afghanischen Präsidenten listete später die Opfer auf: 119 Tote und Verletzte, darunter 30 tote Zivilisten und 20 tote unbewaffnete Taliban. Kleins Begründung für sein Tun: „[…] um Gefahren für meine Soldaten frühzeitig abzuwenden und andererseits mit höchster Wahrscheinlichkeit nur Feinde des Wiederaufbaus Afghanistans zu treffen.“ Hätte Klein eine bewaffnete Kampfdrohne zur Verfügung gehabt, dann hätte der Oberst das seinerzeit selbst erledigen können. Bliebe zu ergänzen: Am 4. September 2009 meldete das deutsche Regionalkommando in Afghanistan im Zusammenhang mit dem Angriff zwei Leichen im „Teenager-Alter“ und am selben Tag mailte der BND an das Kanzleramt: „Das Verheerende daran ist, dass dabei zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen sind […].“ Oberst Klein wurde inzwischen zum General befördert.
Kritiker bewaffneter Drohnen führen gegen diese Waffen vor allem folgende Argumente ins Feld:
- Kampfdrohnen seien keineswegs zu den „chirurgischen“ Präzisionsschlägen und zur Schonung von Nicht-Kombattanten in der Lage, wie ihre Befürworter gern behaupteten.
- Kampfdrohnen seien ein „Game-Changer“, ein Quantensprung in Richtung Fernsteuerung, Automatisierung und Autonomisierung des Kriegsgeschehens. Sie machten Krieg wahrscheinlicher, weil sie eigene Militärangehörige nicht gefährdeten und damit die Hemmschwelle in Richtung Waffeneinsatz signifikant senkten.
- Drohnenangriffe ohne Kriegserklärung verwischten die Grenze zwischen Krieg und Frieden.
- Kampfdrohnen würden – derzeit insbesondere durch die USA – immer wieder zu außergerichtlichen, vulgo kriminellen und überdies völkerrechtswidrigen Tötungen tatsächlicher, oft aber auch nur mutmaßlicher Terroristen auf dem Gebiet anderer Staaten eingesetzt, wobei es regelmäßig ebenfalls zur kollateralen Ermordung unbeteiligter Zivilisten komme.
Nun wäre die SPD nicht jene Traditionspartei, die sie nun einmal ist, wenn diese und weitere Probleme den Verantwortlichen der Fraktion für den Schwenk in Sachen Drohnenbewaffnung a) nicht bekannt wären und b) wenn sie nicht Lösungen dafür parat hätten. Etwa in der Art des bisherigen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD). Für die aktive Jagd auf Terroristen, so Bartels, sei die Bundeswehr-Drohne überhaupt nicht gedacht. (Dass sie nicht dafür geeignet wäre, behauptet allerdings auch Bartels nicht.) Vor allem aber hat die SPD-Fraktion „harte und verbindliche Kriterien“ für ihre Zustimmung zur Beschaffung bewaffneter Drohnen in den Raum gestellt. In einem entsprechenden Brief von Gabriela Heinrich, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Fritz Felgentreu, verteidigungspolitischer Sprecher, und Karl-Heinz Brunner, abrüstungspolitischer Sprecher, an ihre Fraktionskollegen ist unter anderem aufgelistet:
- „Ausdrückliches Verbot von extralegalen Tötungen, um die strikte Einhaltung des Völkerrechts zu gewährleisten und uns ausdrücklich von der Praxis einzelner anderer Staaten abzugrenzen.“
- „Kategorische Ablehnung von vollautomatisierten Drohnen und anderen Waffensystemen, um die finale Entscheidung über den Einsatz von Waffengewalt stets auf einem menschlichen Urteil begründen zu können.“
- „Verortung des operativen Hauptquartiers mit den Kontroll- und Steuereinheiten für Drohnen im Einsatzland, um mögliche völkerrechtliche Verwerfungen beim Einsatz von Drohnen auszuschließen.“
- „Größtmögliche Fürsorge und psychologische Begleitung für das Bediener- und Kontrollpersonal, um mögliche psychische Belastungen auszugleichen.“
Und – quasi mit erhobenem Zeigefinger – wurde hinzugefügt: „Eine Entscheidung für die Bewaffnung von Drohnen kann nur mitgetragen werden, wenn unsere Forderungen erfüllt werden.“
Was will man mehr?
Gibt aber immer noch einige, die das Nörgeln nicht lassen können. Wie Caterina Lobenstein in der ZEIT: Mit dem Schwenk der SPD „ist die Bewaffnung deutscher Drohnen so gut wie beschlossen. Was auf den ersten Blick wie ein Tabubruch der Sozialdemokraten wirkt, erscheint bei näherer Betrachtung eher wie ein logischer Schritt. Denn die SPD hat zwar laut über den Einsatz von Kampfdrohnen geschimpft, aber still dabei zugesehen, wie die Union und die Bundeswehr diesen Einsatz in den vergangenen Jahren gründlich vorangetrieben haben.“
Im Übrigen ist die Ausbildung von Drohnenpersonal der Bundeswehr für das Modell „Heron TP“ direkt bei den israelischen Streitkräften längst angelaufen, wie auf der Website der Israeli Air Force (IAF) jüngst berichtet wurde. In dem Beitrag heißt es darüber hinaus: „Es war das erste Mal, dass sich die IAF für die langfristige, permanente Ausbildung einer externen Luftwaffe auf einem ihrer Stützpunkte einsetzte.“ Ausgebildet, so in dem Beitrag, werden unter anderem „Nutzlastbediener“. Nutzlast ist ein zusammenfassender Euphemismus für alles Mögliche. Nicht zuletzt für Waffen. In diesem Fall hieß der „Nutzlastbediener“ früher schlicht und ergreifend Bordschütze.
P.S.: Eine „harte und verbindliche“ Festlegung hatte sich die SPD übrigens in einer anderen Frage – nämlich der von Rüstungsexporten – in die Koalitionsvereinbarung mit der Union vom 12. März 2018 geschrieben: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“ Was aus dieser Festlegung geworden ist, hat der Autor bereits in der Blättchen-Ausgabe 2/2020 berichtet.
Schlagwörter: bewaffnet, Bundeswehr, Drohnen, Krieg, Kunduz, Sarcasticus, SPD