Die Überschrift ist von Peter Panter aus der Weltbühne 48/1919 geborgt. Er setzte sich darin polemisch mit dem künstlerischen Gebaren der Theaterunternehmer Rotter auseinander, nicht zum ersten Mal und nicht als einziger Weltbühnen-Autor. Wer sich mit dem kulturellen Leben Berlins im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts beschäftigt, dem sind die Brüder Alfred und Fritz Rotter ein Begriff. Beginnend noch vor dem Ersten Weltkrieg, gelang es ihnen, ein Theaterimperium aufzubauen, mit dem sie sich Meriten erwarben, als sie beispielsweise Strindberg (nach dessen ersten Berliner Erfolgen durch Max Reinhardt) durchsetzen halfen und andererseits weltweite Erfolge mit Operetten von Lehár und Abraham schufen. Sie entdeckten Talente wie Käthe Dorsch und Hans Albers für die große Bühne. Sie engagierten Paul Wegener, Tilla Durieux, Albert Bassermann, Fritzi Massary, Richard Tauber, Hilde Hildebrand und Gustaf Gründgens als Publikumsmagneten. Durch Fehlspekulationen infolge der Weltwirtschaftskrise verloren sie alles wieder, hatten Hypothekenschulden, Mietrückstände, konnten die Klageflut nicht mehr abwehren, wurden in der rechtskonservativen Presse täglich – auch antisemitisch – angegriffen. Amtlich gesucht, entdeckte man sie nach der „Machtübernahme“ durch die NSDAP 1933 in Liechtenstein. Nazis jagten sie auch im Ausland! Alfred Rotter verunglückte mit seiner Frau auf der Flucht im Gebirge tödlich, Fritz Rotter entkam und starb 1939 in einem französischen Gefängnis.
Der in Berlin lebende Schweizer Autor Peter Kamber hat sich schon lange mit dem Leben der Rotters beschäftigt, die unter dem Familiennamen Schaie 1886 und 1888 in einer jüdischen Familie in Leipzig zur Welt kamen und sich nach anderen Pseudonymen im Weltkrieg in Rotter umbenannten. Seine Forschungen sind in den umfangreichen, gut bebilderten Band „Fritz und Alfred Rotter – Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil“ eingeflossen. Die spannende Geschichte der erfolg- und einfallsreichen Theatermänner und ihres Abstiegs wird spannend und detailreich erzählt.
Hier soll uns besonders die Weltbühne interessieren, deren Autoren Aufstieg und Fall der Rotters publizistisch begleiteten. Gerade Herbert Jhering äußerte sich böse, und doch mitunter abgewogen. Er habe den Rotters nachgetragen, dass sie einem seiner eigenen Stücke eine Abfuhr erteilt hatten, brachte Kamber in Erfahrung. Als der Zusammenbruch des Rotter-Imperiums klar war, resümierte Jhering in Nr. 4/1933 der Weltbühne, dass die Anfänge der Theaterbrüder noch vor dem Krieg durch die Rivalität der beiden führenden Berliner Theatermänner Otto Brahm und Max Reinhardt begünstigt wurden. Doch ihre erfolgreichen Geschäftsmethoden missbilligte er: „Sie waren da. Sie machten Lärm. Sie kannten keine Hemmung mehr. Sie glaubten zu wissen, was die aufgestörten, durcheinandergewirbelten Publikumsschichten sehen wollten: Pikanterien und feine Welt. Die Rotters schrieben sich selbst ihre Kritiken und gaben sie mit Illustrationen als Inserate auf.“
Besonders Schaubühnen-Begründer Siegfried Jacobsohn hatte sich gegen die Theaterunternehmer eingeschossen, die er meist abschätzig „die beiden Bindelbands“ nannte, eine Formulierung, die auch Tucholsky übernahm (oder war er der erste?). Jacobsohns Kritik entzündete sich am Geschäftsgebaren der Brüder, das Kaufen, Verkaufen, Firmengründungen, Erwerb von Anteilen, aber auch die Arbeit mit einer allzu offensichtlichen Claque. Er urteilte: „Wie Schwamm und Schimmel breiten die beiden Bindelbands sich über die Bühnen Berlins.“
Peter Kamber vermutet, dass Tucholsky die „Bindelband“-Formulierung „nie herzlos“ gemeint hätte. Tatsächlich stammt der Name von den Titelfiguren eines Stücks der Gebrüder Herrnfeld, die zur Kaiserzeit in Berlin sehr erfolgreich eine Art jüdisches Vaudeville betrieben hatten. Tucholskys erste Theaterkritik in der Schaubühne galt 1913 diesem Lustspiel. Er habe sich bei den Herrnfelds „krank und auch wieder gesundgelacht“, schrieb er später anerkennend.
An den Rotter-Bühnen mit gepfefferten Eintrittspreisen störte ihn vor allem das Publikum. Er, der immer wieder gegen die Schicht der Kriegsgewinnler anschrieb, schilderte das Rotter-Publikum in Peter Panters Satire „Rotters erste Reihe“ in der Weltbühne 8/1921 so: „In den roten Sanftfotölchen schwimmen ungeheure Fettmassen; vorne oben schimmert matt etwas, das man allenfalls Gesicht nennen kann. (…) Die Münder schlürfen den Brei, der oben serviert wird.“
Von Jacobsohn wurde kolportiert, sein Rochus auf die Rotters habe daher gerührt, dass sie ihm nach dem Verriss ihrer „Egmont“-Inszenierung Hausverbot erteilt hätten. Er ging so weit, dass er in einem Brief an Gustav Rickelt, den Präsidenten der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, 1924 pointiert warnte: „Mit jedem Theater mehr, das der Direktion in die Hände fällt, vergrößert sich ihre Schädlichkeit, als dieses Theater sonst ja unter die Leitung einer künstlerischen Persönlichkeit kommen könnte, die das Niveau der deutschen Theaterkunst in dem Grade heben würde, wie die Direktion Rotter es heruntergebracht hat.“
Kamber schildert die Laufbahn der Gebrüder Rotter objektiv, nennt Erfolge und Niederlagen beim Namen. Dabei bleibt er nicht immer dicht an ihrem Handeln, erlaubt sich den einen und anderen Diskurs, sei es in die politische Landschaft oder künstlerische Auseinandersetzungen, so auch über Wert und Unwert der Operette, ein Thema, das bis heute nicht abschließend behandelt wurde.
Fazit: Ein gut recherchiertes, zitatenreiches, auch mit ausführlichen Quellenangaben versehenes Buch, das das Berliner Theaterleben, aber auch politische Verhältnisse zwischen 1910 und 1933 aus einem speziellen Blickwinkel lebendig werden lässt!
Peter Kamber: Fritz und Alfred Rotter – Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil. Henschel Verlag, Leipzig 2020, 504 Seiten, 26,00 Euro.
Schlagwörter: Alfred Rotter, Berlin, F.-B. Habel, Fritz Rotter, Kurt Tucholsky, Siegfried Jacobsohn, Theater