23. Jahrgang | Nummer 6 | 16. März 2020

Unruhe im Präsidentenlager

von Jan Opal, Gniezno

Bislang gilt noch: Die Präsidentschaftswahlen in Polen finden am 10. Mai 2020 statt, die Stichwahl folgt 14 Tage später. Doch auch in Polen greifen nun behördliche Maßnahmen, die dem Corona-Virus zu Leibe rücken sollen. Insofern erklärte zunächst Amtsinhaber Andrzej Duda, in seiner Kampagne künftig auf größeren Menschenauflauf zu verzichten. Dem schlossen sich Komitees seiner Herausforderer an. Allerdings, so stolz die Präsidentenkanzlei bereits am Anfang des Jahres, habe das Staatsoberhaupt mittlerweile jeden einzelnen der vielen hundert Amtskreise im Lande mindestens einmal persönlich besucht. Das erinnert ein wenig an die ausgiebige Reisetätigkeit von PVAP-Chef Edward Gierek, der ja seinerzeit alle 49 von ihm eingeführten neuen Wojewodschaften zu besuchen hatte. Aber Duda wird heuer wissen, warum er den anstrengenden Reisen in die Provinz so ausgiebig frönte.

Nun kam es, kurz bevor die Regierung zu ihren Anti-Virus-Maßnahmen griff, zu einem wahren Paukenschlag, denn wie anders sollte der bis in die staunende Öffentlichkeit hineingetragene Konflikt zwischen Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei PiS und eigentlicher Herrscher im Lande, und dem Staatspräsidenten genannt werden! Diesem lag zur Unterschrift ein Gesetz vor, laut dem an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine zusätzliche Finanzspritze von umgerechnet etwa 480 Millionen Euro gezahlt werden. Begründet wurde der Bedarf mit sprudelnden Ausgaben insbesondere beim Fernsehen, die sonst nicht mehr gedeckt werden könnten.

Der Präsident nun machte seine Unterschrift abhängig von einer personalen Entscheidung, denn der bisherige Rundfunkchef Jacek Kurski, ein strammer Gefolgsmann im Kaczyński-Lager, sollte abgelöst werden, andernfalls werde die Unterschrift verweigert. Kurski ist jener Mann, der nach den gewonnenen Parlamentswahlen im Herbst 2015 Kaczyńskis Auftrag schnell und radikal umzusetzen hatte, aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen verlässlichen Regierungsrundfunk zu machen. Begründet wurde das damit, dass erst ein starker Regierungsrundfunk in der Lage sei, die mediale Hegemonie des liberalen Lagers zu brechen. Gesagt, getan – Kurski war ein Mann fürs Grobe, es war überhaupt seine große Stunde. Die ersten Massenproteste gegen die Knebelung der Meinungsfreiheit, die Anfang 2016 durch das Land fegten, konnten ihm wenig anhaben, der feste Bund mit Kaczyński war geschlossen. Mit dem, was der Rundfunk-Chef in der Folgezeit nun tat und tun ließ, wurde er zu einer der unerlässlichen Säulen für die Herrschaft des Kaczyński-Lagers.

Viele Beobachter haben die Wahlerfolge von Polens Nationalkonservativen im letzten Jahr auch dem reibungslos funktionierenden Regierungsrundfunk zugeschrieben, wobei der tatsächliche Anteil am Erfolg nur schwer in Prozentzahlen anzugeben ist. Doch Kaczyński weiß, dass er die gewaltige Stimmenzahl von neun Millionen Menschen ohne seinen treuen Kumpan an der Spitze des Regierungsrundfunks nie und nimmer erreicht hätte. Alle öffentlichen Kampagnen, mit denen Kaczyński das Stimmvieh zur Weide, sprich: Wahlurne trieb, hatten dort ihre mediale Quelle, wurden von dort mit allen greifbaren Mitteln durch das Land gepeitscht. Die Reihe der Feinde Polens wurde lang und länger: Kommunisten, Postkommunisten, der alte Erzfeind – die Deutschen, dann wiederum die Israelis und überhaupt die Juden, die Liberalen in Brüssel sowieso, schließlich noch Lesben und Schwule, die nach der wesentlich durch Polen vernichteten roten Pest die neue Regenbogenpest ins Land trügen. Kaczyńskis Regierungsfunk verkündete frech, Polen sei in einem Meer der Unfreiheit die letzte verbliebene Insel der Freiheit.

Nun hat Präsident Duda überraschend den Kopf des Rundfunkchefs gefordert – und Kaczyński musste liefern. Um sich doch noch aus der Schlinge zu ziehen, begab sich Kurski in die Hand des Staatspräsidenten, denn das Wohl des Landes und der Rundfunkanstalt sei wichtiger als sein Posten, doch möge Duda nun daran denken, dass die Wählerschar im großen Maße von den Wohltaten des amtierenden Präsidenten immerhin aus dem Regierungsrundfunk erfahren habe. Doch erst als klar war, dass Kurski seinen Posten verlieren wird, unterschrieb Duda das neue Gesetz.

Der Vorgang signalisiert die Unruhe, die mittlerweile ins Präsidentenlager eingezogen ist. Denn eigentlich waren zu diesem Zeitpunkt andere Umfragewerte erwartet worden, solche, die einen Sieg bereits im ersten Wahlgang signalisierten. Das Gegenteil ist nun der Fall, denn dem Amtsinhaber drohen Stichwahl und Niederlage, vorausgesetzt die Wählerschaft der jetzt einzeln antretenden Komitees im Spektrum der Verfassungsopposition zieht dann entschlossen an einem Strang. Kaczyński hatte bereits am Wahlabend nach den siegreichen Parlamentswahlen im Oktober letzten Jahres gewarnt, dass verlorene Präsidentschaftswahlen 2020 das ganze Gebäude der nationalkonservativen Herrlichkeit zum Einsturz bringen könnten. Dementsprechend riet er, den strammen Kurs beizubehalten, also weiter auf Polarisierung und öffentliche Gegnerbekämpfung zu setzen.

Präsident Dudas plötzlicher Schritt, öffentlich den Kopf von Kaczyńskis wichtigsten Gewährsmann im Medienbereich zu fordern, signalisiert, dass das Präsidentenlager entschlossen ist, nun auch auf der anderen Seite der bislang vom Regierungsrundfunk errichteten Barrikade nach einer nennenswerten Anzahl gemäßigter Stimmen zu suchen.