Die Radikalisierung der Mitte
Mark Pitcavage von der „Anti Defamation League“ beobachtet seit den frühen 1990er Jahren die Milizen- Bewegung und andere extremistische Organisationen in den USA. Er bestätigt, was sich mit der Amtseinführung von Donald Trump schon angedeutet hatte. Das Wachsen der Mitgliederzahlen der einzelnen Gruppen wurde durch die Wahl von Donald Trump gestoppt. Sie verschwanden wieder aus dem Rampenlicht, aus der vordersten Front der Rechtsaußenbewegung, arbeiten jedoch weiter im Hintergrund. Sie organisieren sich und bereiten sich auf den Tag X vor.
Und der könnte kommen, wenn Donald Trump nicht wiedergewählt werden sollte, denn abzusehen ist schon jetzt, dass Trump nicht einfach eine Wahlniederlage zugäbe. Vielmehr würde er wohl eine Verschwörungstheorie spinnen, die besagt, dass die Wahl gefälscht sei.
Dann wäre erneut die Zeit der Milizen gekommen. Ihr Mann sei dann wohl vom „Deep State“ gestürzt worden. Die Gefahr sei nicht unrealistisch, erklärt auch Mark Pitcavage. Doch er sieht die größere Bedrohung vor allem darin, dass die Polarisierung und Radikalisierung in der Mitte der Gesellschaft zugenommen habe. „Extremisten werden immer extrem bleiben“, meint Pitcavage. Ihm mache vor allem Sorgen, dass Leute wie Cesar Sayoc, der ein Trump-Unterstützer, aber kein erklärter Extremist war, im Oktober 2018 Rohrbomben verschickte. Oder James Hodgkinson, ein Bernie Sanders-Unterstützer, der im Juni 2017 den republikanischen Abgeordneten Steve Scalise, einen Polizeibeamten und zwei weitere Personen während eines Baseball Trainings anschoss. Die Gefahr komme aus der Mitte, aus jenem Bereich, der nicht als extremistisch eingestuft und somit auch nicht beobachtet wird, so Pitcavage.
Interessiert schaut der Extremismusforscher Mark Pitcavage auch auf die weitere Entwicklung der Republikaner. Die große Frage sei, ob die Partei nach Donald Trump wieder auf den politischen Kurs vor Trump einschwenken oder ob ihre Radikalisierung weiter zunehmen wird. Also, ob der Ton und der Politikstil von Donald Trump zur Normalität in den Reihen der Republikaner werde.
Vieles deutet daraufhin, dass die Republikaner auch nach Trump den Trumpschen Kurs weiter verfolgen werden. Im Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten verteidigen eigentlich alle Mitglieder der „Grand Old Party“ Trump. Von Distanzierung keine Spur. Und auch im Wahlkampf hat sich der Ton radikalisiert. Gleich mehrere Kandidaten der Republikaner haben der somalisch stämmigen Abgeordneten, Ilhan Omar, Verrat vorgeworfen und erklärt, sie sollte mit dem Tod bestraft werden.
Klar ist, dass auf die USA im kommenden Jahr eine schwierige Wahl mit noch nicht absehbaren Folgen zukommt. Wenn Trump gewinnt, wird er sich bestärkt fühlen. Wenn er verliert, droht dem Land eine Radikalisierung aus der Mitte heraus.
Arndt Peltner, Oakland
Grundrente und Niedriglohn …
Laurenz Nurk vom Gewerkschaftsforum schreibt über das neue Konzept von Arbeitsminister Hubertus Heil zur Grundrente:
„Das scheint eine große Mogelpackung zu werden, bei der der Niedriglohnsektor weiter festgeschrieben und mit staatlichen Subventionen gefüttert wird, anstelle den Mindestlohn und die Grundsicherung kräftig anzuheben. […]
Wie die vorgebliche Notwendigkeit der Lohn- und Rentenaufstockung durch öffentliche Mittel zeigt, ist die Lohnpolitik der letzten Jahrzehnte für die Beschäftigten und Rentenbezieher vor die Wand gefahren worden, als Preis für die Exportweltmeisterschaft und die Vermögensbildung bei den Reichen.
Das Vorhaben, die Grundrente einzuführen, wird den Niedriglohnsektor weiter vergrößern, so, wie es mit der Hartz-IV-Einführung auch vorgesehen war.
Auf dem Rücken der Beschäftigten und alten Menschen werden den Unternehmen die Personalkosten erspart und die Lohn- und Rentendrückerei wird vom Staat auch noch subventioniert.
Die zur Schaustellung von Handlungsbereitschaft der Großen Koalition mit dem 3. Anlauf der Einführung der Grundrente soll verdecken, dass die öffentliche Hand geringfügig entlohnte Beschäftigte mit Milliardenbeträgen unterstützen muss, weil diese Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können und dass die Geschichte von der Brückenfunktion der Mini-Jobs ein Märchen ist, weil kaum jemand es schafft, über diese Beschäftigung den Um- und Aufstieg in ein sozialversicherungspflichtiges und finanziell ausreichendes Vollzeitarbeitsverhältnis zu erreichen.“
Laurenz Nurk, Gewerkschaftsforum
Gut gesagt
Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert. Und mehr als das Blei in der Flinte das im Setzkasten.
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„Hüte dich vor den Gezeichneten“ ist ein Schimpfwort, dem die Gezeichneten von einer gewissen Klasse der Nicht-Gezeichneten in der Welt seit jeher ausgesetzt gewesen sind. Mit größerem Recht könnten also die Gezeichneten sagen: „Hüte dich vor den Nicht-Gezeichneten!“
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Bei jedem Streit ziehe die Versöhnung selbst dem leichtesten Siege vor!
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Wenn unsern Pädagogen ihre Absicht gelingt, ich meine, wenn sie es dahin bringen können, daß sich die Kinder ganz unter ihrem Einfluß bilden, so werden wir keinen einzigen recht großen Mann mehr bekommen.
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Die gefährlichsten Unwahrheiten sind die Wahrheiten, mäßig entstellt.
Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799)
Wie machen wir einander das Leben leichter?
Klug sein!
Wir machen uns das Leben leichter, indem wir
a) nett zueinander sind. Es ist nämlich nicht nur anständiger, höflich und freundlich gegen seinen Nebenmenschen zu sein – es ist auch unendlich praktischer. Wenn jeder ein Stückchen nachgibt, geht alles viel leichter, geölter, glatter.
Wir machen uns das Leben leichter, in dem wir
b) uns nicht einbilden, dass eine „Bestimmung“, ein Paragraph, eine Verordnung für die Kleinigkeiten des Alltags auf jeden Fall bis zur endgültigen Niederlage des andern führen müsse. Das ist ein deutscher Aberglaube. Glatt durch die Straße fahren kann man nicht, wenn man immerzu „recht“ haben will. In jedem Deutschen steckt so viel Schutzmann – man muß einmal erleben, mit welchen Luchsaugen eine ganze Straße aufpaßt, ob das Auto auch richtig rechts fährt, und wenn es gar eine Dame ist, die chauffiert, dann bekommen die Leute eine Temperatur von 37,9, wenn sie einen Fehler macht. Das merkwürdigste dabei ist, dass die Polizei, besonders in den kleinen und mittleren Städten, eine Menge gescheiter und vernünftiger, ruhiger Beamten aufweist, die sehr gut verstehen, dass man zwar den bösen Willen und die grobe Unachtsamkeit immer, die kleinen Fehler aber fast niemals zu bestrafen braucht – das regelt sich von selbst.
Wir machen uns das Leben leichter, indem wir
c) endlich einmal einsehen, was das ganze westliche Ausland längst eingesehen hat, dass das Leben kein „Dienst“ ist und wir keine Dienstmänner.
Der Deutsche weiß nicht, wie unhöflich das ist, was er „sachlich“ nennt. Niemand hat in einer großen Stadt Zeit, Kratzfüße zu machen und schönen Frauen – mitten auf dem Damm – die Reverenz zu erweisen, das ist klar. Aber der harte Kasernenhofton, den man noch überall in Deutschland antreffen kann; die Beziehungslosigkeit des Sprechenden zu seinem Gesprächspartner; die Kälte im Blick und die Kälte im Ton –: das Leben wird dadurch nur immer schwerer, und es ist gar nicht sachlich und gar nicht „dienstlich“, sondern nur ungezogen und unerträglich.
Wir machen uns das Leben endlich leichter, indem wir
d) öfter fünf grade sein lassen, auch, wenn es einmal unser Geld kostet. Die Deutschen sind schlechte Verlierer – ihr kennt diesen Typus vom Skattisch her; da gibt es Leute, die können und können nicht verlieren, dann werden sie ungemütlich. Finden wir aber einmal eine Firma, die nach einem Einkauf sagt: „Wir wollen gar nicht untersuchen, ob das Ihre oder unsere Schuld ist, wir nehmen die Ware zurück, weil uns an Ihrer Kundschaft liegt!“ – so wird sich das in fast allen Fällen rentieren: Kulanz ist immer ein gutes Geschäft. Aber davon sind wir noch weit entfernt …
Und kann man sich bei kleineren Schadenersatzansprüchen, wenns nicht gleich an die Existenz geht, nicht in Güte einigen? „Recht muß Recht bleiben!“ Dieses „Recht“aber ist bei der Kleinheit der Beträge fast immer böseste Prinzipienreiterei und bitterstes Unrecht, das nur zur Schikane wird. Ist denn das eine Niederlage, wenn ich mich mit einem andern einige: Jeder von uns beiden soll die Hälfte des Schadens tragen? Ist es wirklich eine Niederlage – ?
Das Leben wird nicht leichter dadurch, dass sich jeder einbildet, er sei eine Ritterburg für sich – „reichsunmittelbar“ ist ein altes deutsches Ideal und ein schlechtes dazu. Subordiniert – das ist die schlechte Arbeit von gestern. Koordiniert – das ist die gute Arbeit von morgen.
Peter Panther
Der Mittag, 09.04.1929
Musikalische Jahreszeiten
Die Jahreszeiten sind ein nicht gerade seltenes Thema in der Musik. Vom Komponisten Antonio Vivaldi („Die vier Jahreszeiten“) bis zum kanadischen Liedermacher Terry Jacks („Seasons in the Sun“) reicht die Palette.
Der in Kassel beheimatete Pianist Edgar Knecht präsentiert mit seiner Veröffentlichung „Personal Seasons“ gleich zwei komplette Jahreszeitenzyklen. Der Tastenkünstler erntete in den letzten Jahren durch seine Zusammenarbeit mit dem syrischen Pianisten Aeham Ahmad international Aufsehen.
Die acht Stücke auf der CD „Personal Seasons“ zeigen den Musiker zusammen mit seinem Trio – das im Vorjahr zehnjähriges Jubiläum feiern konnte – in blendender Spiellaune. Die lebendigen Grooves und die zauberhaft perlenden Soli der einzelnen Musiker offenbaren die für Knecht so typische Symbiose aus Klassik, Jazz und Volkslied.
Schon beim Eingangsstück wird der für das Jazztrio prägende Ansatz deutlich: Ausgehend von einem bekannten Volkslied wird hieraus das Stück „Schalmei“, eine kreative Schöpfung, die dem Frühling gewidmet ist.
Hervorzuheben ist die personelle und musikalische Verstärkung des Trios durch den Trompeter Frederik Köster. Er verstärkt mit seinem Blasinstrument die Band bestens – in intimen und eher leiseren Musikpassagen genauso wie bei kräftigeren und eher lauten.
Dem Hörer bleibt es überlassen, seine favorisierten musikalischen Ankerpunkte zu suchen … Edgar Knecht und seine Band demonstrieren nachhörbar, dass alle vier Jahreszeiten durchaus ihre Reize haben.
Thomas Rüger
Edgar Knecht: CD „Personal Seasons“, Label: Ozella Music, circa 16 Euro.
Blätter aktuell
Donald Trump kämpft mit einem möglichen Impeachment und schlechten Umfragewerten. Dennoch ist den Demokraten der Sieg bei der Wahl 2020 alles andere als sicher. Wie aber können sie mehrheitsfähig werden, lautet daher die große Frage im linksliberalen Lager. Für einen klaren Linkskurs wirbt der ehemalige Arbeitsminister Robert Reich, während der Journalist Michael Tomasky für breite Allianzen plädiert. Sicher ist: Eine zweite Amtszeit Trumps wäre fatal – nicht nur für die amerikanische Demokratie.
Während die meisten Deutschen die Verbrechen aus zwei Weltkriegen nicht vergessen haben, gibt sich die AfD als „Soldatenpartei“. Das schlägt sich nicht nur in ihrer Parlamentsarbeit, sondern auch in ihrer programmatischen Schrift zur Zukunft der Bundeswehr nieder. Doch deren Neuausrichtung im Sinne der AfD, warnt Blätter-Mitherausgeber Klaus Naumann, wäre nicht weniger als ein Bruch mit dem Grundgesetz – und zugleich mit der internationalen Ordnung.
Deutschland nähert sich der Vollbeschäftigung. Gleichzeitig arbeiten aber immer mehr Menschen, ohne dabei ausreichend Geld für ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Das Kernproblem, so die Journalistin Anette Dowideit, lautet: Wir wollen billig konsumieren, blenden die Frage nach den dafür notwendigen, zunehmend prekären (Arbeits-)Bedingungen aber aus. Dabei ist die Frage, was Arbeit wert ist, entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Dazu weitere Beiträge, unter anderem: „Grundrente: Vermurkster Kompromiss“, „Libanon: Revolution gegen den Kollaps“ und „Argentinien: Die Rückkehr des Peronismus“.
am
Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Dezember 2019, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.
Aus anderen Quellen
„Diejenigen, die sich mit dem Islam am stärksten identifizieren und die Texte des Korans wortwörtlich nehmen, sind total gegen unsere Gesellschaft“, unterstreicht der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban. „Das sind die Anhänger des politischen Islam und des Salafismus, sie sind potenzielle Terroristen. Der Dschihadismus kommt aus diesem Milieu. Der traditionelle Islam, das ist Gott sei Dank die Mehrheit, ist friedlich. Er weigert sich aber, sich zu integrieren. Er verlangt eine gleiche Anerkennung seiner Lebensweise wie die der Mehrheitsgesellschaft.
Andreas Kopietz: Wenn die Frauen rebellieren, zerfallen die Clans, berliner-zeitung.de, 04.11.2019. Zum Volltext hier klicken.
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„Die Militarisierung der Ostsee durch die NATO wird zusehends verschärft“, konstatiert Merle Weber und fährt fort: „Mehr Militärübungen, die Aufstockung der „NATO Response Force“ auf 40.000 Soldaten, die Verlegung von je 30 Kriegsschiffen, Flugzeugstaffel und Bataillonen. Und die Bundeswehr ist nicht zuletzt mit einem neuen Marinekommando in Rostock ganz vorne mit dabei.
Merle Weber:Die Militarisierung der Ostsee, justicenow.de, 27.11.2019. Zum Volltext hier klicken.
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„Ein neuer großer Krieg in der Mitte Europas?“, fragt Claudia Haydt und hat recherchiert: „Für die NATO und die USA ist dies schon länger kein abstraktes Szenario, sondern eine Option, die ganz konkret vorbereitet wird. Dabei drehen sich die Überlegungen kaum um die Auswirkungen einer solchen Konfrontation für die Bevölkerung, sondern vor allem darum, Krieg in Europa führbar zu machen. Der Chef der US-Landstreitkräfte, General James McConville, sieht in einem Krieg auf dem europäischen Kontinent nicht die Gefahr einer humanitären Katastrophe, sondern die eines logistischen Alptraums. […] Um dies zu vermeiden, beabsichtigen die Streitkräfte der USA mit Beteiligung anderer NATO-Staaten und der Bundeswehr im Frühjahr 2020 die Durchführung eines militärischen Großmanövers […].“
Claudia Haydt: Der Krieg und seine Logistik: Defender 2020, IMI-Standpunkt 2019/055, 22.11.2019. Zum Volltext hier klicken.
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„Zwei der ‚freiesten Volkswirtschaften‘ der Welt stehen in Flammen“, beginnt der kanadische Historiker Quinn Slobodian. „Nach Indizes der ‚wirtschaftlichen Freiheit‘, die jährlich unabhängig von zwei konservativen Denkfabriken veröffentlicht werden – der Heritage Foundation und dem Fraser Institute – steht Hongkong in den Rankings seit über 20 Jahren an erster Stelle. Chile belegt in beiden Indizes den ersten Platz in Lateinamerika und steht im weltweiten Ranking bei beiden auch vor Deutschland und Schweden.“
Quinn Slobodian: Wacht auf, Verdammte dieser Erde, Freitag, 47/2019. Zum Volltext hier klicken.
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