von Erhard Crome
Charakteristisch für die Zeit nach der deutschen Vereinigung war, dass Schritt für Schritt eine Atmosphäre geschaffen wurde, in der über Krieg wieder gesprochen wurde wie über das Wetter oder den Dollarkurs. Galt Krieg – in Europa während des Ost-West-Konflikts und als drohender Atomkrieg – als das Inferno, das Ende der Zeiten, die Apokalypse schlechthin, so wurde er jetzt „normalisiert“: Wenn’s denn sein muss, führt man ihn. Das hatte zur Voraussetzung, dem Kriege die Idee des Krieges voranzuschicken. Und das geschah, für die meisten zunächst unmerklich, bereits seit Anfang der 1990er Jahre.
Als Deutschland unter der SPD-grünen Koalition 1999 gegen Jugoslawien im Verbund der NATO seinen ersten Angriffskrieg seit 1945 führte, war dem eine geistig-ideologische Vorbereitung vorangegangen. Sie hantierte mit „Demokratie und Menschenrechten“, um eine Kriegsakzeptanz im Parlament und in der Bevölkerung herbeizureden. Am Ende benutzte der grüne Außenminister Joseph Fischer „Auschwitz“ frivol als das ultimative Argument für eine Ermächtigung Deutschlands zum Krieg – eben weil die Deutschen damals dieses einzigartige Verbrechen begingen, müssten sie heute bereit zum Krieg im Namen der Menschenrechte sein und den auch führen. Heute sind ehemals exponierte, aber weiter einflussreiche Grünen-Politiker, wie Ralf Fücks und Marieluise Beck, oder der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour die schärfsten Kriegstreiber gegen Russland.
Zugleich scheint es derzeit eine eigenartige grüne Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht zu geben, die aus einem Klima-Weltnotstand hergeleitet wird. Der Greta-Effekt in der deutschen Öffentlichkeit, der dieser Tage gerade auch nach Amerika zu exportieren versucht wird, sowie der Höhenflug der Grünen in den Umfragen in Deutschland lassen sie nach Sondermaßnahmen, sozusagen dem klimapolitischen Maßnahme-Überstaat rufen. So argumentiert die Grünen-Bundestagsfraktion richtig, dass die verheerenden Waldbrände in Sibirien und dem Amazonas-Gebiet die ganze Welt beeinträchtigen, fordert, dem nicht länger zuzusehen, erklärt dann aber: „Der Schutz des Regenwaldes liegt in der Verantwortung der Weltgemeinschaft.“ Und was soll das am Ende bedeuten? Entmündigung Brasiliens durch deutsche Welthüter? Die Bundeswehr beziehungsweise NATO-Truppen zum Kampfeinsatz nach Brasilien zu schicken?
Abgeordnete der Grünen reden von einer „Responsibility to Prevent“, also einer erweiterten „Schutzverantwortung“, nachdem schon nicht einmal die „Responsibility to Protect“ – also das bisherige Verständnis einer „Schutzverantwortung“, das zum Vorwand für den desaströsen Libyenkrieg des Westens herhalten musste – zu einer Völkerrechtsnorm geworden ist. Die „Rio-Erklärung“ der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung von 1992 bekräftigte gerade „das souveräne Recht“ der Staaten, „ihre eigenen Ressourcen entsprechend ihrer eigenen Umwelt- und Entwicklungspolitik auszubeuten“, bei Verantwortung dafür, anderen keinen Schaden zuzufügen. Insofern geht Einflussnahme auf Brasilien nur im Rahmen von Zusammenarbeit, nicht indem man sich zum Hüter einer „Responsibility to Prevent“ aufbläht.
Robert Habeck, heute einer der beiden Parteivorsitzenden der Grünen, hat 2010 ein Buch über „Patriotismus“ geschrieben. Das ist einerseits ein Plädoyer aus linker Sicht (er versteht sich in dem Buch als Linker) für einen Patriotismus im Sinne von Demokratie und Gemeinschaftlichkeit. Andererseits ist es eine Abrechnung mit dem Scheitern der SPD-grünen Koalition von 1998 bis 2005. Dazu betont er, die Gründe für „das schnelle Scheitern von Rot-Grün“ seien unterschiedlich gewesen. „Die SPD-Minister wollten zum Establishment gehören. Sie wollten so sein wie die CDU-Minister.“ Auf das Vorurteil, Sozis könnten nicht mit Geld umgehen oder sie seien vaterlandslose Gesellen, „antwortete die SPD nicht mit einer erfolgreichen linken Finanz- und Innenpolitik, sondern versuchte den Gegenbeweis anzutreten, indem sie den Staatshaushalt stärker zusammenstrich, als jede Unionsregierung es zuvor tat, und Sicherheitsgesetze erließ, dass es der Sau grausen konnte“.
Zu den Grünen meinte er, sie – „meist bürgerlicher Herkunft“ – hätten diesen Anpassungsdruck nicht gehabt, sondern es sei „eher Gleichgültigkeit“ gewesen, „die sie auf die schiefe Bahn brachte“, und zwar „eine typisch linksliberale Gleichgültigkeit gegenüber dem Staat“. Das war bereits damals, als Habeck das Buch schrieb, Augenauswischerei. Weder die Zustimmung der Grünen in der Schröder-Fischer-Regierung zu der von Habeck kritisierten Haushalts- und Sicherheitspolitik noch die von dem Grünen Fischer zu verantwortende Kriegspolitik ergaben sich aus „Gleichgültigkeit“, sondern waren Ausdruck ihrer Politik. Überhaupt umschifft Habeck in dem Buch alle außenpolitischen Themen und vermeidet es sorgsam, seinen früheren Parteikollegen (ob „Parteifreund“, weiß ich nicht) Fischer zu kritisieren.
Inzwischen sind Robert Habeck und Annalena Baerbock die Gesichter der Grünen-Partei und als solche auch zur Außenpolitik gefragt. Baerbock gab dem Spiegel in Nummer 33 ein Interview, in dem sie die Bundesregierung kritisierte, in der EU während der vergangenen Jahre „keine Führungsverantwortung wahrgenommen“ zu haben. Die Grünen wollten „eine stärkere europäische Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik“ und in der „Rüstungszusammenarbeit“. Die Teilnahme der Bundeswehr an einer EU-Mission im Persischen Golf kann sie sich gut auch ohne UNO-Mandat vorstellen. Angesichts „der Dauerblockade im UNO-Sicherheitsrat durch Vetomächte wie Russland, China und die USA“ sollte nach den Grünen das Völkerrecht „weiterentwickelt“, was heißt, der Sicherheitsrat entmachtet werden. Auch Habeck meinte, wenn die diplomatischen Mittel erschöpft seien, könnte er sich eine Beteiligung Deutschlands an einem Militäreinsatz der EU in der Straße von Hormus vorstellen.
Derlei Außenpolitik wäre für eine rot-rot-grüne Konstellation unter Einschluss der Linken nicht zielführend, im Grunde unmöglich, bereits beginnend mit der Vorstellung von Deutschland als europäischer Führungsmacht. Es passt aber gut zu der Außenpolitik von Merkel und Kramp-Karrenbauer.
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