von Sarcasticus
Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Knechte,
drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
dem Mann in seine Rechte;
drum gab er ihm den kühnen Mut,
den Zorn der freien Rede,
daß er bestände bis aufs Blut,
bis in den Tod die Fehde.
Ernst Moritz Arndt
Welche zerebralen Spätfolgen nicht auszuschließen sind, wenn man jahrzehntelang Dienst als Karriereoffizier in der Bundeswehr getan hat, lässt sich vielleicht am Beispiel von Rüdiger Lucassen ermessen. Der war 34 Jahre dabei. Er bezeichnet seinen letzten aktiven Dienstgrad selbst als „Oberst im Generalstab“, obwohl der letztere Begriff seit Gründung der Bundeswehr im Jahre 1955 aus geschichtlichen Antezedenzien, die damals erst wenige Jahre zurücklagen, keine Verwendung mehr findet.
Doch wenn man so lange dabei war wie Lucassen, dann sehnt man sich vielleicht einfach nach einem richtigen Generalstab und schwadroniert im Übrigen gegebenenfalls auch noch als Zivilist von der unbedingt notwendigen „Motivation jedes einzelnen Soldaten zum unerbittlichen Kampf im Gefecht“.
Man hört förmlich Ernst Jüngers Stahlgewitter orgeln!
Dabei lässt sich die Vision vom „unerbittlichen Kampf“ sicher umso wohlfeiler aufrufen, wenn man, um auf Lucassen zurückzukommen, in seiner aktiven Zeit gar nicht der Verlegenheit ausgesetzt war, je an einem realen Gefecht teilnehmen zu müssen. So fällt auch das passende Pathos nicht schwer: „Der Dienst an der Waffe ist einzigartig. Kein anderer Beruf in Deutschland setzt die Akzeptanz und den Willen voraus, tödliche Gewalt anzuwenden […].“
Die Zitate entstammen einer Schrift neuesten Datums: „Streitkraft Bundeswehr. Der Weg zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands“, herausgegeben vom Arbeitskreis Verteidigung der AfD-Bundestagsfraktion. Und da Lucassen verteidigungspolitischer Sprecher dieser Fraktion ist, dürfte die Annahme kaum fehl gehen, dass er nicht nur eine inhaltliche Mit-, sondern eine Hauptverantwortung für dieses Papier trägt.
Im Einzelnen offeriert dieses AfD-Pamphlet unter anderem folgende Forderungen – respektive Vorhaben – und Begründungszusammenhänge:
- Wiedereinführung der Wehrpflicht und Durchsetzung derselben; der „Wehrersatzdienst […] soll die Ausnahme vom bewaffneten Wehrdienst“ sein.
- „Wiederaufnahme der Wehrerfassung. Musterung aller deutschen Männer ab dem 18. Lebensjahr.“
- Aufstockung der Bundeswehr „in einem ersten Schritt“ auf 230.000 Mann.
- Bildung eines gekaderten Reservistenkorps in der Stärke von 50.000 Mann – „für die Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr im Kriegsfall“, aber „auch befähigt […], im Grenzschutz eingesetzt zu werden“. Wegen letzterem: „Änderung der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren“.
- Entkoppelung des Militärhaushaltes vom „jährlich schwankende[n] Budgetrecht des Parlaments“; das „Grundgesetz muss […] angepasst werden“.
- „Deutschland erfüllt seine finanziellen Zusagen gegenüber der NATO uneingeschränkt.“ (Das meint derzeit bekanntlich zwei Prozent vom BIP fürs Militär, also eine Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben auf 75,8 Milliarden US-Dollar – S.)
- Integrierung der zivilen Bundeswehrverwaltung „in die Truppe“. Die aus historischen Gründen verfügte, im Grundgesetz verankerte Trennung von Truppe und Verwaltung „ist nicht mehr zeitgemäß“.
- Aufbau eines Generalstabes.
- Jährliche Militärparaden in Berlin – zum Tag der deutschen Einheit.
Und für Eierköpfe in Uniform hält das AfD-Papier ebenfalls eine klare Botschaft bereit: „Der Offizier ist zuerst Soldat und dann Akademiker.“
Und wozu das Ganze?
„Ziel ist die Wiederherstellung der Verteidigungsbereitschaft Deutschlands“, inklusive „Stärkung des Wehrwillens in der Bevölkerung“. Die Bundeswehr soll in die Lage versetzt werden, das deutsche Staatsgebiet 20 Tage lang autonom zu verteidigen.
Aber gegen wen eigentlich?
Denn den augenblicklichen neuen alten Hauptfeind der NATO, die Russen, hat die AfD offenbar nicht im Visier; in dem Bundeswehr-Papier heißt es: „Deutschland setzt sich für eine aktive Entspannungspolitik der NATO gegenüber der Russischen Föderation ein.“
Doch nehmen wir die „20 Tage autonome Verteidigung des deutschen Staatsgebietes“ doch einfach mal zum Nennwert: Dann sind das im schlimmsten Falle auch 20 Tage raumgreifende Kriegführung mit modernen verbundenen konventionellen (und nuklearen?) Streitkräften auf deutschem Territorium. Diese Problematik war schon des Öfteren Gegenstand von Blättchen-Beiträgen. So kann ich hier auf einen von 2016 verweisen: „Ein Staat mit derart komplexen Infrastrukturen in Wirtschaft und Gesellschaft wie Deutschland wäre in einem Krieg, der große Teile seines Territoriums einbezöge, militärisch längst nicht mehr zu verteidigen, sondern nur noch zu zerstören. Das ist gleichermaßen der Vernichtungswirkung moderner, selbst schon konventioneller Waffen wie der Verletzbarkeit der zivilen Infrastrukturen geschuldet.“
Was letztere anbetrifft, bedarf es zum Beispiel nur einer relativ kurzfristigen Unterbrechung der Stromversorgung, um die Lebensnerven unserer Gesellschaft nachhaltig zu schädigen. Dazu Christoph Unger, Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kürzlich in einem Interview: „Nach 24 Stunden ohne Strom hätten wir katastrophale Verhältnisse.“ Wie katastrophal, das wurde im Blättchen 9/2019 „durchexerziert“.
Wer angesichts dieser Sachverhalte die militärische Verteidigung Deutschlands auf eigenem Territorium immer noch für eine realistische und realisierbare Zielvorstellung hält, der mag ja den Heldentod im „unerbittlichen Kampf im Gefecht“ für des Mannes höchste Bestimmung halten, aber der weiß definitiv nicht, worüber er redet. Dabei stammen die Erkenntnisse, um die es hier geht, zum erheblichen Teil schon aus den letzten Jahren des Kalten Krieges. Zur weiterführenden Lektüre ist zum Beispiel ein Beitrag von Max Schmidt und Wolfgang Schwarz aus dem Jahre 1989: „Zur Kriegsuntauglichkeit Europas“ zu empfehlen.
Doch zurück zum AfD-Bundeswehrpapier.
Die Autoren haben nicht nur die Verteidigung Deutschlands zu Hause im Blick, sondern global: „Die Bundesrepublik versetzt ihre Streitkräfte personell, materiell und rechtlich in die Lage, den ihr zugewiesenen Schutzanteil an jedem Ort der Erde (Hervorhebung – S.) gewährleisten zu können.“
Dies als nur dürftig kaschiertes Streben nach weltweiter Interventionsfähigkeit zu interpretieren, ginge angesichts der aktuellen Verfasstheit und der Ressourcen der Bundesrepublik vielleicht doch etwas zu weit. Aber die Richtung wird schon anvisiert. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja künftig in China mal wieder einen Boxeraufstand niederzuschlagen?!
Klare AfD-Kante nicht zuletzt auch an die Adresse der Briten und Franzosen, von den anderen NATO-Partnern (mit Ausnahme der USA) ganz zu schweigen: „Deutschland erhebt Anspruch auf eine militärische Führungsrolle in Europa.“
Wer AfD wählt oder dies in Kürze vorhat, der sollte sich vielleicht das Bundeswehr-Pamphlet dieser Partei mal komplett zu Gemüte führen. Es sind – aber nur wegen des großen Schriftgrades – 49 Seiten. Im Internet abrufbar.
P.S.: Hier vielleicht noch ein Vorschlag an den Arbeitskreis Verteidigung der AfD-Bundestagsfraktion. Wie wäre es denn mit einer eigenen Hymne für die Bundeswehr?
Und wenn Ernst Moritz Arndt vielleicht (noch) zu martialisch ist, dann käme womöglich die Ballade der Landsknechte aus Schillers „Wallensteins Lager“ infrage. Die beginnt doch vergleichsweise besinnlich und trüge überdies dem derzeitigen Einsatzgrad der mechanisierten Kampftechnik der Bundeswehr kongenial Rechnung:
Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!
Ins Feld, in die Freiheit gezogen.
Im Felde, da ist der Mann noch was wert,
Da wird das Herz noch gewogen.
Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein.
Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist,
Man sieht nur Herren und Knechte,
Die Falschheit herrschet, die Hinterlist,
Bei dem feigen Menschengeschlechte,
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein, ist der freie Mann.
…
Schlagwörter: AfD, Bundeswehr, Gefecht, Generalstab, Krieg, Rüdiger Lucassen, Sarcasticus, Verteidigung, Wehrpflicht