21. Jahrgang | Nummer 24 | 19. November 2018

CDU mit Merz?

von Bernhard Romeike

An der Wand steht ganz groß: „Glaube – Sitte – Heimat“. Das war jedoch nicht die Tageslosung des 47. Kreisparteitages der CDU im Hochsauerlandkreis. Das ist der in der Festhalle der „Arnsberger Bürgerschützengesellschaft e.V.“ dauerhaft die Stirnwand zierende Wahlspruch. Der Hochsauerlandkreis hat seit der ersten Bundestagswahl 1949 immer einen direkt gewählten christdemokratischen Bundestagsabgeordneten; von 1994 bis 2009 war dies Friedrich Merz. Der derzeitige Direktgewählte heißt Patrick Sensburg. Er erhielt 2017 „nur“ 48 Prozent. Das gilt dort als Schwäche der CDU. Deshalb muss es mit der CDU anders werden.
Für das Verständnis der deutschen Christdemokratie ist dieser Hintergrund jedoch essentiell: Die multikulturell, akademisch (halb?)-gebildeten Globalisten aus Berlin-Kreuzberg, Hamburg, Leipzig oder anderen „Schwarmstädten“ (wie die Soziologen die Orte des „Zusammenrottens“ der global orientierten Teile der derzeitigen Jugend modisch nennen) können sich nicht vorstellen, dass es auch in Deutschland immer noch Orte gibt, in denen „Glaube – Sitte – Heimat“ festgemauert an der Wand steht und die CDU seit fast siebzig Jahren den Direktkandidaten für den Bundestag stellt. Von dort kommt ein Mann wie Friedrich Merz. Ungeachtet seiner weltläufigen Kenntnis von Politik und Wirtschaft in der EU und im internationalen Finanzwesen, in dem Merz nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag sein Geld verdiente (es heißt, es seien Millionen gewesen), gehört zur Personalie Merz diese Verankerung.
Am 10. November wählte der CDU-Kreisparteitag Hochsauerlandkreis als Kandidaten für das Amt des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Damit war er einer der offiziellen Kandidaten. Nachdem Angela Merkel im Gefolge des wieder verlustreichen Wahlergebnisses in Hessen am 28. Oktober ihren Verzicht auf den CDU-Vorsitz kundgemacht hatte, gab es postwendend eine Mitteilung von Friedrich Merz, dass er kandidiert. Das schien für viele eigentümlich, hatte er sich doch 2009 aus der Politik verabschiedet. Merz hatte jedoch bereits damals gesagt, es sei eine Auszeit, nicht für immer.
Der Spiegel wusste bereits in seiner Nummer 45 vom 3. November 2018, das Ganze sei ein „Rückspiel“: Merz und „CDU-Übervater“ Wolfgang Schäuble hätten schon lange „mit der inhaltlichen Neuausrichtung ihrer Partei, dem Linksrutsch, dem Abrücken von traditionellen Überzeugungen wie dem Bekenntnis zur Wehrpflicht oder zur Atomenergie“ gehadert. Deshalb habe Schäuble zusammen mit seinem Schwiegersohn, dem CDU-Vize und baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl, schon seit geraumer Zeit auf den Sturz Merkels hingearbeitet. Der Spiegel meint: „Merz und sein enger Freund Schäuble haben lange auf die Gelegenheit gewartet, sich an Merkel zu rächen und deren Kurs zu korrigieren. Wenige andere CDU-Politiker fühlen sich von ihr so gedemütigt wie die beiden“.
Damit trägt das „Qualitätsmedium“ Spiegel jedoch nicht zur Aufklärung, sondern eher zur Trumpisierung der deutschen Politik bei. Wer alle politischen Positionierungen, Differenzen und programmatischen Unterschiede zu lediglich persönlichen, individuellen Streitigkeiten erklärt, die auf Sympathie und Antipathie, Neid und Eifersucht beruhen, negiert das Wesen der Politik. Hier geht es um den Kampf um die besten Lösungen für das Gemeinwesen, das Öffentliche.
Nach der ersten Regionalkonferenz der CDU am 15. November in Lübeck – weitere sieben werden folgen – sagte Friedrich Merz, er wolle dass die CDU die „modernste Partei“ in Deutschland wird, die „Europa-Partei“. Dann könne sie wieder eine „stolze Volkspartei“ werden.
Nun kann man das für Illusionismus erklären. Der entscheidende Punkt ist jedoch ein anderer. Der New Yorker Globalisierungstheoretiker Arjun Appadurai betonte kürzlich, dass der globale Rechtsruck zeige: „Etwas geht gerade weltweit schief“. Es gehe um die Zukunft der europäischen Aufklärung im Zeitalter der Globalisierung, um die Verteidigung der Ideen der Aufklärung.
Inzwischen erweist sich, dass es äußerst problematisch ist, wenn weite Teile der Linken es nicht vermögen, zwischen Konservatismus, Rechtspopulismus, Nationalismus und Neonazismus zu unterscheiden. Dann wird die AfD zum Faschismus erklärt, und dieser „antifaschistische Kampf“ als Hauptaufgabe der Linken deklariert. Das ist jedoch eine absurde Idee. Die AfD ist kein Faschismus, und sich den „Kampf gegen Rechts“ als Antifaschismus zu suggerieren, ist politisch irreführend.
Tatsächlich ist die AfD Fleisch vom Fleische der Christdemokratie, wie die Linke Fleisch vom Fleische der Sozialdemokratie. Vor diesem Hintergrund wäre es eine weitreichende Operation, den Rechtspopulismus von einem originär konservativen Standpunkt aus anzugreifen, der gerade nicht kampagnenartig und instrumentell daherkommt. Das meint Friedrich Merz, wenn er davon spricht, dass die CDU wieder 40 Prozent der Wähler erreichen könne – und dann die AfD im Wählerzuspruch halbieren würde.