von Hubert Thielicke
Ende August drohte Donald Trump mit dem Ausstieg aus der Welthandelsorganisation (WTO). Er ist offensichtlich bereit, den Handelskrieg zu verschärfen. Im Mittelpunkt stehen die Zollstreitigkeiten zwischen den USA und China, das auf dem Wege zur führenden Wirtschaftsmacht der Welt ist. Angesichts des großen deutschen Leistungsbilanzüberschusses scheint man in Washington auch über Strafzölle gegen Berlin nachzudenken. Aber der von der Trump-Regierung initiierte Wirtschaftsstreit ist nur eine Seite der Medaille, die andere ist der Einsatz von Sanktionen als politische Waffe, was an die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Hauptadressat der von den USA verhängten und teilweise von Verbündeten mitgetragenen Strafmaßnahmen ist Russland. Sanktionen richten sich jedoch auch gegen die Türkei, Kuba oder Venezuela. Besonders gefährlich sind der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran und die Verhängung schärferer Sanktionen gegen das Land.
Erste Sanktionen gegen Russland erließ bereits die Regierung Barack Obamas im Dezember 2012 – den sogenannten Magnitzky Act. Sergej Magnitzky, Mitarbeiter des Fonds Hermitage Capital, hatte Korruptionsvorwürfe gegen russische Beamte erhoben. Selbst wegen Steuervergehen verhaftet, starb er 2009 in Untersuchungshaft. Sein Chef Bill Browder, Geschäftsführer des Investmentfonds, der in Russland in Abwesenheit wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, erwirkte in den USA die Sanktionen gegen russische Beamte.
Ganz andere Ausmaße nahm diese Politik jedoch im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise 2014 an. Angesichts der Übernahme der Halbinsel Krim durch Russland und der Abspaltung der Südostukraine beschlossen die USA und die EU Sanktionen gegen Moskau: Einreiseverbote und Kontensperren gegenüber bestimmten Personengruppen, Waffenembargo, Finanzmarktrestriktionen, Verbot der Lieferung spezieller Waren und Technologien. Russland reagierte mit Gegenmaßnahmen, insbesondere Verbote des Imports von Lebensmitteln aus Staaten, die antirussische Sanktionen verhängt hatten.
Die Folge ist ein beträchtlicher Rückgang des Handels zwischen den Betroffenen. Der Ostausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) schätzt, dass sich der Handel der EU mit Russland zwischen 2013 und 2017 um über 40 Prozent verringert hat, beeinflusst allerdings auch durch andere Faktoren wie den gesunkenen Ölpreis und den schwachen Rubelkurs. Die Kosten für Russland und den Westen hätten seit 2014 einen dreistelligen Milliarden-Euro-Betrag erreicht.
Immer öfter fragt man sich in Westeuropa, was die Sanktionen seit 2014 gebracht haben. Fortschritte bei der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen sind jedenfalls nicht zu verzeichnen. Trotz Kritik aus der Wirtschaft und Zweifeln in den Regierungen Griechenlands, Italiens, Österreichs, Bulgariens, der Slowakei oder Ungarns werden die EU-Sanktionen bisher jedoch fast automatisch im Halbjahresrhythmus verlängert.
Eine neue Welle haben inzwischen die USA ausgelöst. Noch im Dezember 2016 erließ Barack Obama Strafmaßnahmen, die mit angeblichen Cyberangriffen Russlands im Wahlkampf begründet wurden – eine Argumentation, die bis heute für ständig neue Sanktionen herhalten muss. Unter Donald Trump geht die Initiative zu neuen Strafaktionen vor allem vom Kongress aus. Exemplarisch ist das 2017 verabschiedete „Gesetz zur Abwehr von Amerikas Gegnern durch Sanktionen“ (CAATSA), das neben Iran und Nordkorea auch Russland betrifft und den außenpolitischen Spielraum des Präsidenten erheblich einengt, denn er darf die Maßnahmen ohne Zustimmung des Kongresses nicht aufheben. Zu beobachten ist eine gewisse Divergenz zwischen Trump, der an einer Normalisierung der Beziehungen zu Russland interessiert sein mag, und der harten Linie des Establishments in Gestalt des Kongresses.
Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge sind fast 700 russische Bürger und Firmen von den Sanktionen betroffen. Dass es im Grunde um eine weit reichende Schädigung der russischen Wirtschaft geht, zeigen die im April vom Finanzministerium der USA verkündeten Strafmaßnahmen gegen russische Konzernchefs, Unternehmen und Beamte. Im Zentrum steht der Oligarch Oleg Deripaska, Chef des Aluminiumkonzerns Rusal, weltweit die Nummer 2 am Aluminiummarkt. Während allgemein von Strafen für „Russlands bösartige Aktivitäten“ die Rede war, ist die Botschaft an die internationale Wirtschaft klar: Haltet euch bei Geschäften mit Russland zurück!
Nach den im August von den USA verhängten neuen Sanktionen, für die der „Fall Skripal“ herhalten musste, werden im Kongress nun Maßnahmen erörtert, die alles Bisherige in den Schatten stellen und insbesondere gegen den russischen Banken-, Finanz- und Energiesektor gerichtet sein sollen. Das Handelsblatt schrieb am 6. September von einem „regelrechten Sanktionswettlauf“. Die geplanten Gesetze würden Freund und Feind treffen. Nie zuvor hätten die USA ihre Wirtschaftsmacht so offensiv und eigensinnig eingesetzt. In Anhörungen des Senats ließ der ehemalige Botschafter in Russland, Michael McFaul, keinen Zweifel an der Zielrichtung: Es gehe um eine „vielseitige Strategie der Eindämmung“, die ein „neues und verbessertes Sanktionsregime“ enthalten müsse.
Im Visier befindet sich auch das europäisch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2, das die USA als Hindernis für den Export ihres flüssigen Erdgases nach Europa betrachten.
Solche Sanktionen seien gefährlich, weil sie sich auch gegen europäische Partner russischer Firmen richten könnten, warnte der OAOEV-Vorsitzende Wolfgang Büchele. „Wir halten dies für völkerrechtswidrig und hoffen, dass die EU und die Bundesregierung hier schlimmeres verhindern können.“ Selbst in Regierungskreisen scheint diese Erkenntnis inzwischen angekommen zu sein. Auch im Verhältnis zu Russland würden extraterritoriale US-Sanktionen den Handel mit der EU bedrohen, stellte Bundesaußenminister Heiko Maas im August auf der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt fest. „Es ist letztlich schlicht unakzeptabel, mit Sanktionen Einfluss auf die europäische Energiepolitik nehmen zu wollen.“ Fragt sich, wie weit diese Erkenntnis trägt. Immerhin sprach sich Maas dafür aus, „die Autonomie und Souveränität Europas in der Handels-, Wirtschafts- und Finanzpolitik“ zu stärken. An Vorschlägen, um Zahlungskanäle und Bankenverkehrssysteme wie SWIFT unabhängiger zu gestalten, werde gearbeitet. Was Russland angehe, müsse sich Deutschland aus dem Schlepptau Washingtons lösen, forderte jedenfalls der sicherheitspolitische Experte Theo Sommer auf ZEIT online. Die primär vom Kongress bestimmte Russlandpolitik der USA entbehre jeglicher Rationalität.
Abgesehen von den bisherigen Reaktionen sind Russlands wirtschaftliche Möglichkeiten für weitere offensive Schritte gegen den von Washington erklärten „Wirtschaftskrieg“ (Ministerpräsident Dmitri Medwedjew) beschränkt. Im Kern geht es derzeit um zwei Richtungen: Modernisierung der eigenen Wirtschaft und Ausweitung der Außenwirtschaftsbeziehungen, insbesondere zu China. Im vergangenen Jahr wurde ein Programm zur Steigerung von Effizienz und Produktivität der russischen Industrie in Angriff genommen. Gegen die westliche Sanktionspolitik richtet sich auch die Politik der Lokalisierung und der Importsubstitution. Westliche Industriegüter sollen durch eigene Produkte oder Importe, vorwiegend aus asiatischen Ländern, ersetzt werden. Das Anfang September in Wladiwostok abgehaltene Eastern Economic Forum, an dem erstmals auch der chinesische Präsident Xi Jinping teilnahm, verdeutlichte das Ausmaß der strategischen Partnerschaft mit China, die von Energieprojekten bis zur militärischen Kooperation reicht. Wladimir Putin und Xi Jinping betonten, man wolle sich gemeinsam gegen unilaterale Aktionen und Handelsprotektionismus wenden. Die Rolle des US-Dollars im bilateralen Handel solle reduziert werden, stattdessen wolle man die eigenen Währungen nutzen. Der gegenseitige Handel könnte 2018 die Rekordmarke von 100 Milliarden US-Dollar erreichen. Geplant sind 73 gemeinsame Projekte in Industrie, Infrastruktur, Bergbau und weiteren Bereichen. Beispiel ist die etwa 3000 Kilometer lange Pipeline „Kraft Sibiriens“, die ab Dezember 2019 Erdgas aus Jakutien nach China leiten soll.
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