21. Jahrgang | Nummer 14 | 2. Juli 2018

Treibsand

von Bettina Müller

24.5.2018. Die Meldungen überschlagen sich, ein ARD-Brennpunkt am Abend unterrichtet die bestürzte Nation über das furchtbare Drama, das unzählige Menschen in tiefste Trauer stürzt und die Produktion von Papiertaschentüchern und die Selbstmordrate bei Senioren in bisher ungekannte Dimensionen explodieren lässt: Captain Sascha Hehn verlässt das Traumschiff! Und das, nachdem schon Bordstewardess Heide Keller vor nicht allzu langer Zeit das mit „M.S. Deutschland“ bestickte Saunahandtuch geschmissen hat. Seitdem wird das ZDF in Mainz von fluchenden Postboten stündlich mit Körben von Bittbriefen beliefert, denn alle wollen des Captains würdiger Nachfolger werden:

„Lieber Kapitän Hehn oder auch: Lieber Sascha (ich verehre sie und Ihre Schauspielkunst schon seit langem, aber der Joachim darf das nicht wissen). Wir haben ja soo viel gemeinsam. Auch ich steuere schon seit geraumer Zeit ein sinkendes Schiff und bin auch etwas hölzern. Aber ich meine es nicht so. Das Fleisch ist willig, der Geist ist schwach. Was ich eigentlich damit sagen will: gerne möchte ich die Direktion über die gigantische hohle Nussschale übernehmen, die unter der Bezeichnung „Das Traumschiff“ in die Fernsehgeschichte eingegangen ist. Ich fühle mich ungemein qualifiziert für höhere Weihen und mein job coach hat mir dringend zu einem career change geraten.
In meiner jetzigen Position werde ich immer unglücklicher und mache daher viele Fehler. Die deutsche Nation dankt mir nichts, alle ziehen nur an mir rum und der Horst wird immer aufsässiger. Das macht mich alles so traurig. Daher bitte ich Sie inständig: lassen Sie mir von meinem Schneider eine zünftige KapitänInnenrobe klöppeln. Ich flehe Sie an! Unter uns: besser in „lockerer Passform“, Sie wissen schon, im Alter ist man ja nicht mehr so stramm. Sie werden es nicht bereuen. Vielleicht können wir uns bei Gelegenheit ja mal auf ein Glaserl Traubensaft treffen und Sie geben mir aus Ihrem reichhaltigen Schauspiel-Repertoire ein paar Tipps, wie ich die Rolle am Besten angehe. Ich tendiere derzeit zum method acting, aber der Robert (de Niro) hat ja leider keine Zeit für mich. Ich verstehe auch gar nicht, warum der letzte Woche einfach aufgelegt hat. Ich würde mich jedenfalls freuen. Bis dahin grüßt Sie in Verehrung,
Ihre Angela Merkel.“

„Hey, Mr. Captain,
hier schreibt Ihnen der Präsident der Vereinigten Staaten, Sie wissen ja wohl, was das bedeutet. Ich will den Kutter kaufen! Ich verlange, ihn zu kaufen! Sofort! Da ist Platz genug, um ganz Mexiko unterzubringen. Kann es kaum erwarten, die Verbrecher-Bande loszuwerden und auf Weltreise ins All zu schicken, am besten für immer. Also what’s up man? Kann ich auf Sie zählen? Nennen Sie mir Ihren Preis. Hurry up, denn time is money, ich bin kein Zauderer, das werden Sie ja wohl schon gemerkt haben, ich zahle alles! Das nehm’ ich locker aus der Portokasse. Also hier sind die Vertragsunterlagen und der Stift mit meinem Logo.
Ihr Donald Trump.“

„Hochverehrtes ZDF, Sie als größte deutsche Sendeanstalt haben eine große Verpflichtung Deutschland gegenüber. Denn Deutschland ist deutsch und soll auch deutsch bleiben. Unerwünschten, weil undeutschen und daher verkommenen Subjekten aus dem Ausland, also eigentlich allen jetzt, die da so rüberschwappen, muss unbedingt gezeigt werden, wer der Feldherr im deutschen Hause ist, nämlich wir, die AfD.
Das deutsche Traumschiff wäre ideal, um fremdländische Träume endlich in Schäume aufzulösen. Träumen dürfen nur Deutsche! Also raus mit dem Pack auf den Bananenkutter und ab durch die Mitte (bitte nicht wörtlich nehmen)! Die gesamte AfD-Fraktion des Deutschen Bundestags applaudiert im Geiste und wird Sie im Parlament für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen. Das deutsche natürlich. Alice, von der ich Sie herzlich grüßen soll (sie ist auch ein Fan seit Stunde 0), ist übrigens gerade dabei, Spenden für mich zu sammeln, damit ich mir endlich mal eine neue Krawatte kaufen kann und nicht immer dieselbe mit dem Dackelmotiv tragen muss. Obwohl, der Dackel hat ja eine ungemeine Symbolik für Deutschland, es ist DER deutsche Hund, der Teckel, der Dachshund, ach, eine ganz wunderbare Rasse. Und so folgsam und brav. Nie ein Widerwort. Wenn doch alle Deutschen so wären. Aber ich schweife ab. Eine neue Jacke wäre ja auch nicht schlecht, fällt mir ein, wo wir gerade beim Thema sind.
Habe neulich in diesem englischen Laden eine wunderschöne Krawatte gesehen, da waren so lustige Pudel drauf, ganz reizend, das darf dann aber keiner wissen, dass die nicht in Deutschland produziert wurde, wenn ich die wirklich bekomme. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob die Pudel wirklich deutsch sind, ich meine, die haben ja manchmal so tiefschwarzes Haar, das ist ja irgendwie schon verdächtig. Lieber Kamerad Sascha, ich darf Sie doch so nennen? Alles Weitere besprechen wir am besten informell bei einem Gläschen Jägermeister, z. B. in meiner Stammkneipe Das deutsche Eck. Waldi kommt auch mit. Bis dahin grüße ich Sie in tiefster Verehrung, denn Sie sind ein Meilenstein in der Geschichte des deutschen Fernsehens,
Ihr Alexander Gauland.“