von Uwe Feilbach
Allenthalben wird heute, wie jüngst wieder auf dem G20-Gipfel in Hamburg, das Hohelied des freien Welthandels angestimmt, von dem seine Befürworter erwarten, dass er so ziemlich alle Probleme der Menschheit zu lösen vermag. Wohlstand, gesicherte Arbeitsplätze für alle sowie ein nie endendes Wirtschaftswachstum soll er bringen. Gegenteilige Meinungen sind in unserem Teil der Welt, wo die weitaus meisten Profiteure der Globalisierung zu Hause sind, im öffentlichen Diskurs nur selten zu vernehmen.
Dass die Wirklichkeit für Millionen Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika ganz anders aussieht, das führt uns der ugandische Wirtschaftswissenschaftler Yash Tandon in seinem Buch „Handel ist Krieg“ anhand von überzeugenden Fakten und eigener langjähriger Erfahrung aus seiner politischen Tätigkeit vor Augen.
Hart geht der Autor mit der zutiefst ungerechten Weltwirtschafts- und Handelsordnung ins Gericht, die die Kluft zwischen Nord und Süd, Arm und Reich immer größer werden lässt und den armen Ländern des globalen Südens, besonders in Afrika, jede Möglichkeit einer Industrialisierung und eigenständigen Entwicklung nimmt. „Dieses Buch“, so bemerkt der Autor zu seinem Werk, „handelt von der anderen Seite der Geschichte, so wie wir sie erzählen.“
Yash Tandon, geboren 1939 in Uganda und indischer Herkunft, hat an der London School of Economics auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften promoviert und war an verschiedenen Universitäten in den USA und Afrika als Hochschullehrer tätig. Er gründete 1997 SEATINI, eine Nichtregierungsorganisation, die den handelspolitischen Interessen Afrikas größeren Einfluss ermöglichen soll. Seit etwa 30 Jahren hat er als Vertreter verschiedener Organisationen und auch als Berater der Regierung Ugandas an fast allen wichtigen Konferenzen der WTO und anderer Handelsorganisationen teilgenommen.
In den Mittelpunkt seiner kritischen Analyse des Welthandels und der Globalisierung stellt Tandon die Welthandelsorganisation (WTO), die er als den „wichtigsten Schauplatz des globalen Handelskrieges“, als „verlängerten Arm der Handels- und Außenpolitik der USA und der EU“ sowie als „eine ideologische und sanktionsbewehrte Kriegsmaschine“ bezeichnet. Eine aggressive Handelspolitik vor allem der EU und der USA gegenüber Afrika spielt hier eine zentrale Rolle. Während EU und USA bei den internationalen Handelskonferenzen im Wesentlichen mit einer Stimme sprechen, sind die Entwicklungsländer unter sich tief gespalten; was, so Tandon, auch durchaus im Interesse der EU und der USA liegt. Der Autor vertritt die Ansicht, dass die reichen Industrieländer nicht wirklich an einer Industrialisierung und wirtschaftlichen Selbstständigkeit der afrikanischen Staaten interessiert sind. Um die Entwicklungsländer bei den internationalen Handelskonferenzen zur Unterzeichnung unfairer und ungleicher Handelsverträge zu nötigen, schrecken die Industriestaaten auch vor Drohungen mit Einstellung oder Kürzung von Entwicklungshilfe sowie vor Sanktionen nicht zurück. Eine wichtige Rolle spielen dabei die fortbestehende Abhängigkeit der ehemaligen Kolonien von den sie vormals beherrschenden Kolonialmächten sowie ein daraus resultierendes Gefühl der Schwäche und Minderwertigkeit seitens der afrikanischen Verhandlungspartner. Tandon ruft die Afrikaner zu mehr Solidarität und Selbstbewusstsein bei den Handelsgesprächen auf. Seiner Meinung nach gibt es bereits genügend Beispiele dafür, dass eine solche Haltung Erfolg haben kann.
Hinsichtlich der Landwirtschaftspolitik stellt Tandon in Bezug auf Afrika fest: „Marktzugang, nicht Ernährungssicherung ist der Daseinszweck der WTO“ und weist in diesem Zusammenhang auf eine Doppelmoral hin, die darin zum Ausdruck kommt, dass die westlichen Industriestaaten zwar ihre eigenen Agrarexporte in Entwicklungsländer großzügig subventionieren, den Staaten des Südens aber keinerlei Recht auf Schutz ihrer Märkte für Nahrungsmittel zugestehen.
Scharfer Kritik unterzieht Tandon die Praxis des „Land Grabbing“, wobei, besonders in Afrika, große Flächen fruchtbaren Landes von kommerziellen Farmern oder großen Agrarkonzernen aufgekauft und für die Produktion von Biotreibstoffen zweckentfremdet werden.
Im dritten Kapitel seines Buches setzt sich Tandon kritisch mit den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen Europa und Afrika auseinander, die er als „Europas Handelskrieg gegen Afrika“ bezeichnet. Das beiderseitige Verhältnis beruhe von Beginn der Kolonisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag im Wesentlichen auf einer „Macht-Asymmetrie“. „Nach der Unabhängigkeit änderte Europa einfach die Form seiner Beziehungen zu Afrika, nicht aber ihren Inhalt.“ Seitens Afrikas sei dieses Verhältnis vor allem durch Abhängigkeit und von Seiten Europas durch Dominanz und Imperialismus geprägt. Hierzu stellt der Autor fest, dass „die kolonial konstruierten Diskurs- und Verhandlungsmechanismen […] bis zum heutigen Tag Bestand haben“. Tandon spricht in diesem Zusammenhang von einem „kollektiven Imperialismus Europas über Afrika“, der den britischen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg ersetzt habe.
Weitere wichtige Kritikpunkte sind Fragen des geistigen Eigentums, das Verwandeln von Wissen in Privateigentum globaler Konzerne, wodurch die Modernisierung und Industrialisierung der Länder des Südens wesentlich erschwert wird. Ferner die Ausnutzung traditionellen Wissens der indigenen Bevölkerung über Heilpflanzen durch internationale Pharma-Konzerne und die Politik der großen Saatgut-Konzerne, vor allem Monsantos, die zur totalen Abhängigkeit der afrikanischen Kleinbauern von den ausländischen Saatgutlieferanten führt.
Das fünfte Kapitel ist dem Problem der Handelssanktionen gewidmet, die der Autor als „kriegerische Akte“ bezeichnet. Als Beispiele werden hier Länder wie Uganda, Simbabwe, Kuba und Iran angeführt.
Im sechsten und letzten Kapitel geht Tandon auf die Ursachen der Handelskriege und Wege zur Herbeiführung eines zivilisatorischen Wandels mit dem Ziel der Überwindung des kapitalistisch-imperialistischen Systems ein, das nach seinen Worten „strukturell darauf angelegt ist, Ungleichheit zu produzieren“.
Tandon plädiert daher für einen „gewaltlosen Guerillakrieg gegen den imperialistischen Frieden“. Den Kapitalismus hält er für unregulierbar, weil er „seinem Wesen nach anarchisch ist“. Und er empfiehlt deshalb, dass sich möglichst viele Länder und Regionen von der westlich geführten Globalisierung abkoppeln.
Entschieden wendet sich der Autor gegen den Missbrauch von Begriffen wie Demokratie, Menschenrechte und Schutzverantwortung als Vorwand für die politische und militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Ländern des Südens. Tandon dazu: „ Wir müssen eine andere Welt schaffen – ohne NATO und ähnliche Militärallianzen. Dann könnten die politischen und ethischen Normen das bedeuten, wofür sie eigentlich stehen.“
Man muss nicht alle Meinungen und Sichtweisen Yash Tandons teilen, sollte es ihm aber als Verdienst anrechnen, dass er, gestützt auf profunde Sachkenntnis und langjährige politische Erfahrung, aus der speziellen Perspektive des globalen Südens auf wesentliche Defizite der gegenwärtigen Welthandelspolitik hingewiesen hat, die sonst nur äußerst selten zur Sprache kommen. Wer daran interessiert ist, sich eine unabhängige Meinung über weltpolitische Fragen zu bilden, sollte auch für die in diesem Buch dargelegten Argumente offen sein.
Yash Tandon: Handel ist Krieg. Nur eine neue Wirtschaftsordnung kann die Flüchtlingsströme stoppen. Übers. aus dem Englischen von Christoph Bausum. Bastei Lübbe, Köln 2016, 271 Seiten, 22 Euro.
Schlagwörter: Dritte Welt, EU, Globalisierung, USA, Uwe Feilbach, Welthandel, Yash Tandon