von Stephan Wohanka
Jeder Mensch hat seine eigene Sprache.
Sprache ist Ausdruck des Geistes.
Novalis
Eine Frage treibt mich um: Warum wird auf unser Land, seine Gesellschaft, seine Demokratie, seine Regierung und in Sonderheit seine Bundeskanzlerin mit einem derartigen (verbalen) Furor eingedroschen? Pegida-Marschierer „reservieren“ Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel, für letzteren führten TTIP-Demonstranten eine blutverschmierte Guillotine mit. „Frau Ausländerdrecksau, du gehörst am nächsten Baum aufgehängt“, konnte die Flüchtlingsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD) bei Facebook über sich lesen. Morddrohungen gegen Spitzen- und Lokalpolitiker sind für diese alltägliches „Lesegut“; viele haben Personenschutz.
Ich erinnere mich noch gut der sprachlichen Eskalation: „Im vorigen Jahr wurden wir als das Pack beschimfpt, wenn nur gewagt haben unsere Sogen öffentlich aus zusprechen. Heute ist es das Zauberwort Rechtspopulist. Was ganz schlimmes also“ (So im Original von ichausdemosten). Einige Sätze später zitiert „ichausdemosten“ Wikipedia: Der Populismus sei oft „Stilmittel … von sozialen Bewegungen“. Artikulierte da eine „soziale Bewegung“ wirklich nur „öffentlich Sorgen“? Wurde der Begriff „Pack“ nicht erst von Gabriel verwandt, als die sich „Sorgenden“ Merkel coram publico mit Vulgärausdrücken überzogen, die hier zu zitieren sich verbietet? Und die mit der Sache nicht das Geringste zu tun hatten. Ob Gabriel unbedingt so reagieren musste, sei dahingestellt, aber ebenso klar ist, dass den Schreihälsen vorher völlig jedwedes Empfinden dafür abhandengekommen war, wie man – in der Sache durchaus hart und deutlich – hier und heute miteinander zu reden pflegt. Wenn ins Feld geführt werden sollte, dass sich die Proteste deshalb zu wüsten Beschimpfungen, Pöbeleien und Verleumdungen steigerten, weil sie politisch weitgehend wirkungslos blieben; zumal die sie Äußernden meinen, sie seien „das Volk“, so ist dem entgegenzuhalten, dass sie eben nicht das Volk waren und sind, sondern nur ein Teil davon, der kleinere. Ein aufgeputschter Mob darf wohl nicht mehr als „besorgte Bürger“ gelten.
Die Autoren einschlägiger Wortmeldungen sind keineswegs alles Dumm- oder Wirrköpfe, ja mehr noch – sie gehören teilweise zu den bekanntesten Intellektuellen hierzulande; nehme ich zum Beispiel Matthias Matussek oder auch Peter Sloterdijk; bei Henryk M. Broder bin ich mir da nicht mehr so sicher. Jedenfalls zitiert Jakob Augstein die Genannten und noch einige mehr in einer Kolumne in Spiegel online. Kurze Blütenlese: „Was soll man denn von diesen ganzen ,Deutschland-ist-bunt‘-Kampagnen halten? Bunt ist auch ein Komposthaufen …“, „Wer von außerhalb Deutschland verfolgt, kann nur zum Schluss kommen, dass es sich um einen failed state handelt“ – also einen Staat, „der seine grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen kann“. Wenn die Bundesrepublik ein gescheiterter Staat ist, was sind dann Somalia, Libyen; was bleibt noch an Begrifflichkeiten, wenn diese zu jeder sich bietenden Gelegenheit ausgereizt werden? Genug, man kann bei Augstein nachlesen …
Ja, ich weiß, weder unsere Gesellschaft noch ihre Demokratie sind ideal; im Gegenteil – höchst unvollkommen, allzeit kritisierenswert und reformbedürftig. Aber sie sind das Beste, was diesem Land bisher widerfuhr! Verteidigen wir es! Und schließen „Denkanstöße“ über wirksame Verbesserungen, ja tragfähige Alternativen zur Verfasstheit unserer Demokratie nicht aus.
„… ich (kann) ja sagen, was dieses Land (der Westen – St. W.) aus mir gemacht hat – einen Wissenschaftler und einen Staatssekretär, …, und vorher … einen Terrorverdächtigen, der festgenommen und später vom Gericht dieses Landes wieder von diesem Verdacht befreit wurde. […] Die Demokratie gibt einem alle Möglichkeiten. Dafür bin ich auch sehr dankbar – dass in einer freien Gesellschaft Rechtsstaatlichkeit herrscht und selbst in so einer Debatte wie jetzt die Koalition die Luft anhält und das Gutachten abwartet, statt ein von der Presse getriebenes Urteil zu fällen.“ Unschwer zu erraten; Andrej Holm sagt das. Ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat von einem, der weiß, wovon er redet. Es komme mir keiner, Holm rede seinen Kritikern nach dem Munde, bitte um schön Wetter. Dafür ist der Mann zu klug; er hätte anders formulieren können, wenn er es gewollt hätte.
Eine neue Qualität kam mit dem Attentat gegen die Besucher des Berliner Weihnachtsmarktes ins verbal-politische Spiel: „Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Das sind Merkels Tote“, wütete Marcus Pretzell, frischgebackener Ehemann Frauke Petrys. Der Tweet des AfD-Landeschefs von Nordrhein-Westfalen war eine AfD-typische Reaktion: Die Hintergründe und das Motiv der Tat waren zu dem Zeitpunkt noch völlig unklar, aber die erste Meldung setzt maßgeblich den Tenor der weiteren Debatte. Nicht, dass Pretzell den Bogen nicht nur geschmacklich und moralisch, sondern möglicherweise auch rechtlich überspannte, was die Reaktion der Münchener Polizei nahe legt, die den Beitrag „strafrechtlich“ auf Verleumdung oder Rufmord prüfen lässt; nein – die neue Qualität liegt darin, dass Pretzell höchst ambivalent mit dem Grundgesetz, dem Rechtsstaat umgeht. (Zur Erinnerung: Der Fall des „Terrorverdächtigen“ Holm zeigt dessen fundamentale Bedeutung). Pretzell ist Jurist, deshalb richtet er seine in eine Frage gekleidete Aufforderung „zurückzuschlagen“ an den „deutsche Rechtsstaat“ (sic!); als Jurist wohl wissend, dass ein Rechtsstaat eben nicht „zurückschlagen“ kann und darf, sondern an Gesetze gebunden ist. Ein Rechtsstaat kann (und sollte auch) seine Gesetze mit aller Konsequenz, ja bisweilen auch Härte durchsetzen, aber nicht mehr; andernfalls macht er sich mit denen kommun, die er bekämpfen will und muss und verliert so á la longue seinen Charakter. Ganz subtil – subtil muss man anfangs immer vorgehen – führt Pretzell so den Gedanken der Rache, der gesetzlosen Vergeltung in die deutsche Debatte ein. Der Weg ist klar – auf dem andere wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schon weiter sind: Er verzichtet schon völlig auf eine rechtliche Bemäntelung, wenn er zu einem „Feldzug“, zur Rache an Kurden und anderen aufruft. Auch Donald Trump fordert Vergeltung: „Solch ein Hass! Wann werden die USA und alle Länder zurückschlagen?“ Hey buddy, that question is wrong; seit 15 Jahren wird „zurückgeschlagen“, wird ein sogenannter „war on terror“ geführt; zuerst in Afghanistan, dann auch in Irak, in Libyen und in Syrien. Und die Bilanz all dieser Kriege? Der islamistische Terrorismus ist stärker denn je; offenbar ist diese Strategie nicht erfolgreich.
Sprache ist Welt. Sprache ist Politik, Debatte, Überzeugung; Sprache verwandelte so politische Konflikte in etwas Gemeinsames, Verfügbares, Verhandelbares. Heute ist die Sprache selbst der Konflikt, denn eine wütende Minderheit prägt das Sprach- und Medienbild. Wut verwirrt den Verstand, die Sprache und das Verhalten und behindert so vernünftiges Vorgehen. Die Wut rührt daher, dass Menschen ihre „Wahrheiten“ nicht oder nicht ausreichend wiedergegeben sehen. Und die Elite eine Sprache spricht, die diese Wahrnehmung noch bestärkt. Aber auch Wütende und ihre Mitläufer haben eine Aufgabe: sich über Wirkung und Rechtfertigung ihrer Wut Gedanken zu machen. Alle – Wütende und Besonnene – sind die Auseinandersetzung schuldig: Wenn tatsächlich der gewinnt, der zuerst und am lautesten schreit, verlieren wir am Ende alle.
Schlagwörter: AfD, Politik, Rechtsstaat, Sprache, Stephan Wohanka