19. Jahrgang | Nummer 19 | 12. September 2016

Antworten

Lothar Kusche, Humor-Äquilibrist – Autor beim Blättchen waren Sie zwar keiner, aber dafür bei Ossietzky, was auch in Ordnung geht. Zeitweise stellvertretender Chefredakteur der Weltbühne (vor der, wie der Kabarettist Uwe Steimle das nicht folgenlose Großereignis nennt, Kehre) und Träger des Tucholsky-Preises (nach der Kehre). Vor allem aber haben Sie uns, Ihrem Publikum, zahllose, stets mit feinem Humor gestrickte Geschichten und Feuilletons geschenkt, die im bisweilen tristen Alltag jene Lacher produzierten, die es brauchte, um nicht restlos zu vermiesepetern. Darunter etwa die legendäre, von Elisabth Shaw kongenial illustrierte „Patientenfibel“ von 1971 – darinnen gar ewige Weisheiten wie diese: „Hypochonder ist eine Bezeichnung für Leute, die sich nicht wohlfühlen, wenn sie sich wohlfühlen.“ Oder jene: „Für seine Schmerzen entschädigt den Kranken weitgehend die Möglichkeit, von seiner Krankheit zu erzählen.“
Nun haben Sie sich, 87-jährig, am 20. August auf die Reise gemacht, Kollegen wie Kurt Tucholsky endlich auch persönlich zu treffen. Wir beneiden Sie. Aber nur um Letzteres.

Blättchen-Leser (Plural!), Angehörige einer artenreichen Spezies – Sie haben schon mal grundsätzlich die richtige Wahl getroffen, aber selbst wir müssen zugeben: Wer Blättchen liest, weiß vieles, doch nicht alles. Lücken schließt man am besten durch geeignete Informationsergänzungsmittel. An vorderer Stelle empfehlen wir die Ver-ANSTALT-er Max Uthoff und Claus von Wagner sowie ihre wechselnden Gäste. Auch die jüngste Sendung vom 6. September erreichte in unserem internen Ranking wieder das Level SoMaKeVeHa*. Daher ergeht an Sie, sollten Sie wider Erwarten der Originalausstrahlung doch ferngeblieben sein, die dringliche Aufforderung, das dadurch entstandene Informations- und Bildungsdefizit unverzüglich zu schließen – via ZDF-Mediathek!
Zum Anfüttern eine Kostprobe gefällig?
Uthoff: Was suchen Sie denn?
Von Wagner: Na, die Demokratie
Uthoff: Demokratie … Demokratie. Ja, was heißt schon Demokratie?
Von Wagner: Das Regieren des Volkes durch das Volk für das Volk.
Uthoff: Dreimal Volk in einem Satz. Frauke Petry?
Von Wagner: Abraham Lincoln.
Uthoff: Gut, ich kennen nun auch nicht jeden AfD-Vorsitzenden …

* – Sollte man keinesfalls verpasst haben!

Wahlkrampf in Berlin – Werte Parteien (SPD, CDU, LINKE, Grüne), uns erreichte folgende Leserzuschrift zu Ihren großen und kleinen Wahlplakaten, die den Mittelstreifen auf der B 1 vom Strausberger Platz bis zur Stadtgrenze verschandeln: „Ob es diese verkackten Flachwichser irgendwann noch mal schaffen, aus ihrem politischen, intellektuellen und ästhetischen Dünnschiss wenigstens handfeste Scheiße zu machen?“
Gut, der Duktus ist etwas degoutant und harmoniert so gar nicht mit dem gepflegten Stil unseres Hauses. Gleichwohl reichen wir die Frage trotzdem an Sie weiter. Weil – angesichts Ihrer erneuten Selbstbeschwichtigungen nach dem nun schon wiederholten Wahldesaster, dieses Mal in MeckPomm, zu befürchten ist, dass Sie, sollte die AfD in Berlin ähnlich reüssieren, sich diese Frage wohl wieder nicht selbst stellen werden.

Anjezë Gonxha Bojaxhiu, seit 3. September: Heilige Teresa von Kalkutta – Sie erkannten die Nöte der Menschen in Kalkutta und gingen zu ihnen. Auch wenn Ihrem Handeln manch zweifelhafte Motivation zugrunde lag – Missionaren vorzuwerfen, sie missionierten, ist allerdings albern. Sie missionierten und vergaßen dabei gelegentlich das Wort Gnade. Dennoch spendeten Sie Hoffnung. Ehre widerfährt Ihnen zu Recht. Ob es unbedingt eine Heiligsprechung sein muss, ist Sache Ihrer Kirche. Und die gibt sich nicht erst mit der Pontifikatsübernahme durch Franziskus gern einen modernen Anstrich. Aber selbst diesem Papst reichte ihr Lebenswerk nicht. Auch für Sie mussten erst zwei Wunder gefunden werden – nur Märtyrer dürfen auf solch Klimbim mitleidig herabschauen. Warum in Herrgotts Namen werfen ausgerechnet die Apologeten des Christentums den anderen Mittelalterbehaftetheit vor? Die Ihnen zugerechneten Wunder erschüttern allerdings unseren Glauben, jedenfalls den an die Nachhaltigkeit eines modernen, naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes: Die Inderin Monica Besra soll mittels eines von Ihnen der Kranken auf den Bauch gelegten Amulettes vom Krebs geheilt worden sein. Die Ärzte behaupten, es wäre kein Krebs gewesen. Der Vatikan lässt sich überdies auch davon nicht beirren, dass die Heilung offenbar medikamentös bewirkt worden ist. Medizin ist Teufelszeug, das ist doch spätestens seit den Zeiten des Heiligen Dominikus bekannt! Doch immerhin: Zu Frau Besra hatten Sie zumindest selbst noch Kontakt. Der tumorgeplagte Brasilianer Marcilio musste mit den Gebeten seiner Frau an Sie auskommen. Sie betete neun Tage lang. In der mittelalterlichen Zahlenmystik steht die Neun für die höchste Vollkommenheit und göttliches Bewusstsein … Klar, wer da das Skalpell führte.

Loriot, gänzlich Unersetzlicher – In diesen schrecklich wahlenaffinen Zeiten denken wir ganz besonders oft an dieses Ihrer zeitlosen Aperçus: „Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“ Und natürlich daran, wie sehr Sie uns seit dem 22. August 2011 fehlen. Quasi täglich mehr!

Michael Müller, sozialdemokratischer Neuordner Berlins – Nachdem Sie jahrelang eher durch bedächtige Stille auffielen, legen Sie nun aber los! Endlich wird die Volksbühne aufgeräumt, das Berliner Ensemble komplett entrümpelt (vom Ensemble, aber das ist egal), die renitenten Staatsballetttänzerinnen und -tänzer wieder zur Raison gebracht, und gegen die AfD wissen Sie auch ein Mittel. Eine Verfassungsänderung. Zwar nicht mehr vor der Wahl, das sähe nicht gut aus, meinen Sie. Es ist dafür, zugegeben, auch nicht mehr genug Zeit vorhanden. Aber nach der Wahl könnte man doch „politische Bezirksämter“ einführen. Ist ja irre! Was hat Berlin eigentlich? Ach so, Sie suchen einen Trick, um die Rechten ganz rauszuhalten? Lieber Herr Müller, wenn Sie meinen, durch Taschenspielerei in der politischen Geschäftsordnung könne man die immer bräunlicher aussehende Flut aufhalten: Damit sind schon Ihre Vorvorgängergenossen gescheitert. „Ich weiche nur der Gewalt!“, verkündete einst ein mächtiger SPD-Ministerpräsident. Und er wich. Vielleicht versuchen Sie es mal mit ordentlicher Politik im Interesse aller Menschen, auch der „abgehängten“ Ihrer Stadt?

Wolfgang Bosbach, Politiker, CDU, mediengeil – Ein ausgewiesener Kenner volksstammspezifischer Eigenheiten soll einmal geäußert haben, es käme ihm so vor, als ob die meisten Politiker im Lande vom Niederrhein stammten, weil: „Der Niederrheiner hat von nix Ahnung, kann aber alles erklären.“ Sie als derjenige Mandatsträger, der von 2013 bis 2015 jeweils am häufigsten in televisionären Talkshows zu allen möglichen und unmöglichen Themen herumlungerte, werden womöglich selbst ein vages Gefühl dafür haben, wie nahe Sie diesem Phänotyp inzwischen kommen. Da Sie im nächsten Jahr allerdings nicht wieder für den Bundestag kandidieren werden, könnte sich ihre talking presence anschließend rasch gegen NN bewegen – ein paralleles dem öffentlichen Vergessen Anheimfallen inklusive. Doch Sie sind ein Tüftler: Sie haben den Weg gefunden, wenigstens Letzteres nicht nur zu umschiffen, sondern die Schlagzahl und die Reichweite ihrer verbalen Diarrhö sogar noch zu steigern. Ab 2017 werden Sie bei BILD kolumnieren. Wöchentlich! Dieser missratene Klon einer richtigen Zeitung hat bekanntlich täglich mehr Leser als die meisten Talkshows je Zuschauer haben werden. Wenn das keine Karriere nach der Karriere ist …

Binali Yildirim, Antiterrorkämpfer der besonderen Art – Sie, der türkische Ministerpräsident, haben angekündigt, dass tausende Lehrer im kurdischen Südosten vom Dienst suspendiert werden würden. Man schätze, dass in dieser Region 14.000 Lehrer beschäftigt sind, die irgendwie mit dem Terror verwoben seien, sagten sie unter Hinweis auf die PKK. Wer wird die kurdischen Kinder unterrichten? Aber wenn man auf die Kurdengebiete Bomben wirft, braucht man ja vielleicht auch keine Bildung. Eigentlich logisch gedacht, man schützt sogar die Kinder, indem sie zu Hause bleiben, nicht wahr? Wenn die Kinder nichts zu tun haben, nichts lernen, bleiben sie ganz sicher auch von terroristischen Versuchungen verschont… Vielleicht gehen sie ja dann auch verstärkt in Koranschulen. Das hat schließlich schon in Afghanistan bestens funktioniert, um Wut und Verzweiflung zu kanalisieren…