von Klaus Müller
Am Abend des 15. August 1971 verkündete Präsident Nixon, die USA würden damit aufhören, Regierungen und ausländischen Banken Dollar gegen Gold zu wechseln. Für Ökonomen begann ein neues Zeitalter: Gold, seit dem Altertum Geld und Macht, sei kein Geld mehr.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts besaßen alle wichtigen Industrie- und Handelsländer der Welt die Goldwährung. Münzen aus Gold, die Hauptform des Geldes, waren nur zum Teil im Umlauf. Sie wurden überwiegend vertreten durch Papier- und Kreditgeld. Denn schlechtes Geld vertreibt gutes Geld aus der Zirkulation in den Schatz, so Thomas Gresham (1519–1579), der Finanzagent der englischen Regierung. Später wurde das Gesetz nach ihm benannt. Aristophanes (zwischen 450 und 444 v.u.Z. – um 380 v.u.Z.), der griechische Komödiendichter, und Nikolaus Kopernikus (1473–1543), der große Astronom und beste Geldtheoretiker seines Jahrhunderts, hatten den Zusammenhang schon vor ihm erkannt.
Der Erste Weltkrieg war der Anfang vom Ende des Goldstandards. Die kriegführenden Staaten stellten die Zahlungen in Gold ein. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges stellte sich die Frage nach der Zukunft der internationalen Wirtschafts- und Währungsordnung neu.
700 Vertreter aus 44 Ländern entschieden im Juli 1944 im beschaulichen Ferienörtchen Bretton Woods (Bundesstaat New Hampshire) über die Zukunft des Geldes. In streng vertraulichen Verhandlungen legten sie das Fundament des neuen Weltwährungssystems. Die USA verpflichteten sich, den Notenbanken anderer Länder auf deren Wunsch Dollar jederzeit und unbegrenzt in Gold umzutauschen. Und zwar zum festen Kurs von 35 Dollar je Unze Feingold (31,1 Gramm), eine Parität, die Franklin D. Roosevelt 1934 am Frühstückstisch eingefallen war. So gut wie Gold, ja besser noch – das sollte ab jetzt der Dollar sein. Er wurde die weltweite Leit- und Reservewährung. Über ihren gesetzlich fixierten Goldgehalt waren die nationalen Währungen in festen Relationen aneinander gekettet. Die Kurse durften nur innerhalb enger Bandbreiten schwanken. Gold-Dollar-Standard nannte man das System fester Wechselkurse auf Goldbasis. Die Idee schien aufzugehen. Ein Dollarhunger hatte die Menschen des ersten Nachkriegsjahrzehnts erfasst. Kaum jemand zweifelte, dass die USA, den Konkurrenten in allen Belangen überlegen, ihre Umtauschpflicht erfüllen und das Weltwährungssystem funktionsfähig halten würden. Zumal ein Rückgriff auf das amerikanische Gold so lange nicht zu befürchten war, wie der Dollar taugte, internationale Geldverpflichtungen zu erfüllen.
Doch die Hoffnungen auf eine dauerhafte Währungsstabilität erwiesen sich als Illusion. Die USA wurden Opfer ihres übersteigerten Selbst- und Sendungsbewusstseins. Skrupellos missbrauchten sie ein einzigartiges Privileg. Als einziges Land konnten sie Leistungsbilanzdefizite mit der eigenen Landeswährung begleichen. Sie überschwemmten die Welt mit den Greenbacks, wie das amerikanische Papiergeld wegen seiner grünen Farbe genannt wird. In den 1950er und frühen 1960er Jahren stellte der Umtausch in Gold kein ernstes Problem dar. Die Goldbestände der USA waren hoch genug, die international zirkulierende Dollarmenge überschaubar. Die Zahlungsbilanzdefizite hielten sich in Grenzen. Doch das Dollarschicksal nahm seinen Lauf. Allein die Aggression in Indochina verschlang 135 Milliarden Dollar. Die Goldreserven der USA sanken dramatisch. Von 1950 bis 1971 von 23 auf 10 Milliarden Dollar. Die Rivalen der USA erhoben ohne Rücksicht auf die „atlantische Partnerschaft“ Anspruch auf das Währungsmetall. Frankreich löste eine politische Krise aus, als es 1968 die USA aufforderte, die französischen Dollarreserven in Gold umzutauschen und nach Frankreich zu liefern. „Das kostbare gelbe Metall“, sagte Staatspräsident Charles de Gaulle, „hat keine Staatsangehörigkeit und wird außenwirtschaftlich weltweit als der ungedeckte Wert par excellence gebraucht.“ Mit dem Missverhältnis zwischen den Goldbeständen der USA und der Dollarflut außerhalb des Landes wuchs das Unbehagen des US-Schatzamtes, der Umtauschpflicht nachzukommen. Nachdem die USA einige Länder, darunter die BRD und Japan, zunächst zu einem „Gentlemen’s Agreement“ überreden konnten, keine Dollar mehr in Gold umzutauschen, zog Nixon im August vor 45 Jahren die Reißleine. Es sollte ein Befreiungsschlag sein. Befreit von einer Pflicht, die zu erfüllen die USA immer weniger in der Lage waren, sollte der Dollar wieder eine Zierde werden.
Dahinter steckten handfeste Interessen. „Können Sie sich einen besseren Handel ausdenken“, fragte Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman schelmisch, „als schöne Textilien, chromblitzende Autos und ausgefallene Fernseher für eine Handvoll grün bedruckten Papiers zu erhalten?“ Nixon wollte mit dem Schachzug sein Land im internationalen Konkurrenzkampf stärken. Doch der alte Glanz des Dollars, dessen Geschichte bis zum Jahre 1776 zurückgeht, ließ sich nicht zurückgewinnen. Im Gegenteil: Mit der Entbindung von der Pflicht, Ausländern ihre Dollars in Gold einzulösen, konnten die USA die Verschuldung bis ins Uferlose ausdehnen. Dies beschleunigte den Kursverfall des Dollars, der dennoch bis heute die wichtigste Währung der Welt geblieben ist.
Und wie erging es dem Gold seit dem denkwürdigen Tag im August vor 45 Jahren? Auf den freien Goldmärkten brach der Preis für die Unze Gold einen Rekord nach dem anderen. 1976 – die Unze Feingold kostete im Durchschnitt 125 Dollar – empfahl der Internationale Währungsfonds seinen Mitgliedern, die Bindung ihrer Währungen an das Gold aufzugeben. Für die meisten Ökonomen fand mit dieser Maßnahme die Demonetisierung des Goldes ihren Abschluss. Niemand zahlte mehr in Gold, niemand rechnete mehr in Gold, kein Land, das sein Papiergeld durch Gold deckte. Eine gesetzlich garantierte Umtauschpflicht nationaler Währungen in Gold gab es nirgendwo mehr. Das Gold, entlassen aus einer unrealistischen Zwangsparität, pendelte sich, zeitweilig durch wilde Spekulation in schwindelerregende Höhen getrieben, auf das wahre Verhältnis zum Dollar ein. Für 1 000 Dollar hätte man 1970 zum offiziellen Kurs 28,6 Unzen Feingold erhalten. Aktuell kostet diese Goldmenge rund 39.000 Dollar.
Nach der großen Krise 2009 kauften Zentralbanken große Mengen Gold, so viel wie seit 1964 nicht mehr. „Sind die Notenbanker zu jenen weisen Männern geworden“, staunte das Handelsblatt, „die, wie Milliarden Menschen zuvor, verstanden haben, dass Gold seinen Wert seit 6000 Jahren fast ausschließlich wegen einer besonderen Eigenschaft erhält? … Gold ist Geld – und sonst nichts.“ Zentralbanken halten Gold in relativ konstanten Mengen als Teil ihrer Geld- und Währungsreserven. Etwa 30.000 Tonnen des edlen Metalls lagern in ihren Tresoren. Seit 2013 holt die Deutsche Bundesbank schrittweise in nennenswerten Mengen ihren Goldschatz, der in New York lagert, zurück. Sie will ihn unter Kontrolle und in Sicherheit bringen. Ab 2020 soll die Hälfte der deutschen Goldreserven in inländischen Tresoren liegen, 37 Prozent bleiben in den USA, 13 Prozent in London. Das ist die Rolle des Goldes im heutigen Währungssystem: Sicherheit zu bieten in einer Zahlungswelt, die fast reibungslos zu funktionieren scheint mit bunt bedruckten Banknoten, mit Kredit- und Geldkarten, mit Buchgeld, das nur als Zahl auftaucht, oder mit Computergeld, den mit entsprechenden Informationen belegten Speicherplätzen moderner Rechenwerke.
Gold ist das Medium, die sinnlose und auf Selbstzerstörung hinauslaufende Anhäufung von Forderungen zu überstehen, weil es selbst keine Forderung ist. Gold scheinbar entbehrlich, ist da für den Fall der Fälle. Es geht, wenn nichts mehr geht. „Die Krise der Währungen macht das Gold zur Krisenwährung“, so der Philosoph Wolfgang F. Haug. Goethe lässt Gretchen klagen: „Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles“. Der Spruch, scheinbar Schnee von gestern, erhellt den Vorgang vom 15. August 1971: Weshalb forderten Regierungen und Zentralbanken amerikanisches Gold und weshalb weigerten sich die USA, es herzugeben? Weil Gold plötzlich unwichtig geworden wäre? Die damaligen Auseinandersetzungen belegen das Gegenteil: Gold hatte seine währungspolitische Bedeutung bewahrt; es war nach wie vor begehrt. Nur so ist der Rücktritt von der Umtauschpflicht logisch, und es wundert, dass der Mehrheit der Währungsexperten dieser naheliegende Grund bis heute nicht aufgegangen ist.
Der Widerspruch zwischen der Geringschätzung des Goldes durch die Theorie und den Bemühungen der Regierungen, Banken und Privatleute, sich einen möglichst großen Vorrat an Gold zu sichern, ist keine neue Erscheinung. Sie begleitet die Geschichte des begehrten Metalls über Jahrhunderte hinweg, schrieb der französische Nationalökonom Charles Rist vor 76 Jahren. Es scheint, als sei dies bis heute so geblieben. Zentralbanken hüten ihr Gold wie die Katzenmama ihre Jungen. Das ist kein Beweis, dass Gold Geld geblieben ist. Aber erst recht nicht, dass es kein Geld mehr ist.
neues deutschland, 06.08.2016. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages.