von Ulrich Busch
Wissenschaft und Kunst stehen für unterschiedliche Formen der Wahrnehmung, der Erkenntnis, der Aneignung und des Umgangs mit der Realität, der Auseinandersetzung mit Natur und Gesellschaft, des Denkens und Fühlens der Menschen. Dies ist bekannt und bedarf daher keiner weiteren Begründung. Wissenschaft und Kunst besitzen aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Zu diesen gehört ein bestimmter Wissensstand und Fundus an Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten, subjektives Vermögen und herausragendes Können. Kurz: eine gewisse Professionalität ist unerlässliche Voraussetzung für ihre Ausübung, ferner die Beherrschung geeigneter Methoden und des jeweiligen Apparats und Instrumentariums, sei es der Mathematik, der Logik, der Sprache et cetera, oder eines Handwerks, einer bestimmten Technik, besonderer Fertigkeiten. All dies garantiert ein bestimmtes Niveau der wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Betätigung und ein Minimum an Qualität bei den Resultaten.
Beiden, der Wissenschaft wie der Kunst, ist neben dem „freien Spiel“ der kreativen Kräfte, neben Intuition, Phantasie, Impression und so weiter, aber immer auch ein gewisser „Ernst“ eigen. Das heißt, ohne Anstrengung geht es nicht. Wissenschaft und Kunst können für den, der sich auf sie einlässt, höchste Erfüllung bedeuten, tiefe Befriedigung und Genuss. Aber das bedeutet eben auch ständiges Lernen und Üben, systematisches Forschen und Suchen, eben „harte Arbeit“. Der „Spaßfaktor“ ist demgegenüber von untergeordneter Relevanz. Dies gilt uneingeschränkt für die aktive Beschäftigung, für die Ausübung einer Wissenschaft und die künstlerische Produktion, in bestimmtem Maße aber auch für deren Rezeption, also für die Aufnahme und Aneignung der Resultate, für ihren Konsum.
Ersteres dürfte unstrittig sein, letzteres ist es nicht. Hier herrscht vielmehr ein platter Konsumismus vor, wonach jeder beansprucht, alles konsumieren zu wollen, Hauptsache es vermittelt ihm Spaß. Indem so der Unterhaltungswert zum Kriterium für die Rezeption von Wissenschaft und Kunst gemacht wird, werden diese dem Bedürfnis nach Gaudi, Jux und Spaß angepasst und mithin dermaßen depraviert, dass das derart zustande kommende Ergebnis an Niveau- und Kulturlosigkeit kaum noch zu unterbieten ist. Man sollte meinen, es gäbe hier wenigstens bei der Wissenschaft eine ununterschreitbare Grenze. Aber weit gefehlt: Buchtitel wie „Kant zum Vergnügen“, „Partyspaß mit Kant“, „So macht Philosophie Spaß“, „Hegel für Dumme“, „Kierkegaard für Gestresste“, „Marx für Eilige“ und „Nietzsche für Boshafte“ belehren uns eines Besseren. Insbesondere geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Themen sind vor Banalisierung und Trivialisierung im Interesse ihrer Vermarktung nicht gefeit. Aber auch Albert Einsteins Relativitätstheorie wird einem „in fünf Minuten“ spaßig „erklärt“.
Weitaus Schlimmeres widerfährt der Kunst. Hier sind inzwischen die Grenzen zum Kitsch und zum Banausentum gänzlich verwischt. Bei Max Horkheimer lesen wir noch, dass Kunst „es verschmäht, sich gemein zu machen“. Aber gibt es heutzutage etwas Gemeineres als Pop-Musik oder Schlager? Was heute als „Filmkunst“ über die Bildschirme flimmert, als „Bestseller“ bei Thalia ausliegt oder als „Pop-Musik“ aus dem Netz heruntergeladen wird, ist zumeist primitivste Unterhaltung, hervorgebracht von einer „Kulturindustrie“, die mit wirklicher Kultur nichts am Hut hat, sondern allein dem Kommerz dient und der Manipulation der „Verbraucher“. Wenn gute Filme fast nur in Studio-Kinos laufen, anspruchsvolle Bücher kaum noch in Buchhandelsketten zu bekommen sind und klassische Musik nur etwas für Kenner ist, während die Masse Bild und Super-Illu liest, TV-Spielshows bei RTL, Vox und Sat1 anschaut und gute Musik nur noch als Klingelton auf dem Handy hört oder als Background in Werbespots, dann ist die Scheidung von Kunst und „Massenkultur“ vollzogen.
Dabei muss mit dem Missverständnis aufgeräumt werden, Massenkultur sei „die Kultur der Massen“ oder Kunst für die Massen: Es ist eben gerade keine Kunst, sondern lediglich „der massenhafte Konsum kulturindustrieller Waren“ (Theodor W. Adorno). Mit Kunstrezeption hat dies wenig zu tun, am wenigsten dort, wo vorgegeben wird, eine solche zu sein, zum Beispiel beim Friseur (Haarkunst), im Restaurant (Kochkunst) oder beim Sport (Kunstreiten, Kunstspringen et cetera). Ebenso wie „Gebrauchskunst“, zum Beispiel Sammeltassen, Papierblumen oder Porzellanpferdchen für die Vitrine, keine Kunst ist, sondern Kunstersatz, ist Gebrauchsmusik, die als „Geräuschkulisse“ dient oder der Ablenkung und Zerstreuung, keine Kunst. Mithin sind deren Akteure auch mitnichten Künstler. Sie sind gute oder schlechte Unterhalter – mehr nicht. Dies gilt für die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler ebenso wie für die vielen Stars und Starlets der Pop-Musik-Szene. Und selbst für so manchen Produzenten, wie das sogenannte „Sampling“, wo Musik zusammenkopiert wird, aktuell zeigt. Kunst ist eben nicht, was populär ist und einem kulturell anspruchslosen Publikum gefällt, sondern etwas, das mit spezifischen Mitteln Erkenntnisse vermittelt und dabei ästhetischen Maßstäben genügt.
Letztlich ist es immer eine Form- und eine Inhaltsfrage, was als Kunst gilt und was nicht.
Der Gründe für die Diskrepanz von Kunst und Massenkultur sind in der weitgehenden Kommerzialisierung von Wissenschaft und Kunst in der gegenwärtigen Gesellschaft auszumachen, aber auch im Selbstverständnis dieser als einer Event- und Spaßgesellschaft, worin inzwischen alles, auch Wissenschaft und Kunst, integriert ist und worin die Menschen zu bloßen „Verbrauchern“ degradiert sind. In der tagtäglichen Praxis hat dies zu einer Bedeutungsverschiebung und Sinnverkehrung geführt, die noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar gewesen ist. So gilt es heute als völlig normal, wenn ein TV-Spielfilm mehrmals, mitunter alle Viertelstunde, durch Werbespots unterbrochen wird. In der Satire stellt sich dies schon umgekehrt dar: als unerträgliche Unterbrechung der Werbung durch Spielfilmsequenzen. Ebenso wird heute widerspruchslos hingenommen, dass Massenevents wie Sportveranstaltungen beinahe das ganze Jahr über in den Fernsehprogrammen dominieren. Nun ist gegen Sport als aktive Betätigung ja nichts einzuwenden, hier aber geht es für Millionen Zuschauer um eine rein passive Form des Fernsehkonsums. Auch wird mittlerweile von vielen Fernsehzuschauern akzeptiert, dass Sportinformationen gegenüber der Weltpolitik Vorrang haben, weshalb zum Beispiel die ARD ihre 20-Uhr-Nachrichten schon mal verschiebt, wenn gerade ein Fußballspiel stattfindet oder ein solches nachträglich noch kommentiert werden soll. Das „Gelaber“ der Fußballer über geschossene Tore oder verpasste Chancen, das sich die Zuschauer dann anstatt der eigentlich auf diesem Programmplatz vorgesehenen Nachrichten anhören müssen, rangiert im Zweifelsfall vor diesen – weil der Unterhaltungswert mehr zählt als der Erkenntniswert und die Kultur.
Was übrig bleibt, ist dann nur noch schlechte Unterhaltung.
Schlagwörter: Fußball, Konsum, Kultur, Kulturindustrie, Kunst, Ulrich Busch, Wissenschaft