von Ulrich Busch
Die prominente Politikerin, Ko-Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und erfolgreiche Publizistin Sahra Wagenknecht hat ein neues Buch veröffentlicht: „Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten“. Darin rechnet sie, wie nicht anders zu erwarten, scharf mit dem gegenwärtigen „Globalkapitalismus“ ab und entwirft alternativ dazu das Modell einer „modernen Wirtschaftsordnung“, die „produktiv“, „innovativ“ und „zugleich gerecht“ sein soll. Die dafür angestrebte Systemtransformation wird jedoch ausdrücklich nicht als Ablösung der kapitalistischen durch eine postkapitalistische oder sozialistische Ordnung verstanden, sondern als deren Fortschreibung in veränderter Gestalt. In herkömmlicher Terminologie ausgedrückt, bedeutet dies die Reformierung des bisherigen, „schlechten“ Kapitalismus in einen neuen, „guten“ Kapitalismus. Diese Lesart kontrastiert freilich mit der kapitalismuskritischen und auf die elementare Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ausgerichteten Grundposition der Linken, was für die Autorin angesichts ihrer politischen Stellung ein nicht geringes Problem sein dürfte. Sie zieht sich jedoch geschickt aus der Affäre, indem sie einen eigenen, vom traditionell-marxistischen Verständnis deutlich abweichenden Kapitalismusbegriff kreiert, gegen den sie dann zu Felde zieht und dem sie ihr ordoliberales Wunschbild als Alternative gegenüberstellt. Konsequenterweise verzichtet sie dabei gänzlich auf Anleihen bei Marx, Engels, Lenin oder Luxemburg und beruft sich stattdessen auf Autoren wie Walter Eucken, Friedrich A. von Hayek, Alexander Rüstow, Ludwig Erhard, Karl Polanyi und Thomas Piketty. In ihrer Argumentation kann die Autorin dabei nahtlos an ihr Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ (2011) anknüpfen, worin sie sich erstmals als geistige Erbin Ludwig Erhards outete.
Kapitalismus, das ist für Sahra Wagenknecht nicht mehr (nur) eine auf der Verwertung von Kapital, der Produktion von Mehrwert und dessen Aneignung sowie der Kapitalakkumulation beruhende Produktionsweise, sondern eine auf ungleichem Tausch und außerökonomischer Gewalt, auf der Konzentration und Zentralisation von Reichtum und Macht basierende sowie unter Ausschaltung von Wettbewerb, Markt und Recht funktionierende Wirtschaftsordnung. Ihr Kapitalismusbegriff ist also außerhalb marktwirtschaftlicher Grundzusammenhänge angesiedelt und bezieht sich ausschließlich auf Perversionen und Fehlentwicklungen der Waren- und Geldökonomie. Um dies zu begründen, beschreibt sie faktenreich und detailliert adäquate Phänomene, auch ganz aktuelle, und definiert schließlich das gegenwärtige Wirtschaftssystem als eine Art „Wirtschaftsfeudalismus“ und „Oligarchenherrschaft“. Ob die Charakterisierung der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung als „Neofeudalismus“ als politische Strategie überzeugt, vermag ich nicht zu beurteilen. Darüber muss die Partei DIE LINKE befinden. Aus der Sicht der ökonomischen Theorie jedoch erscheint es fragwürdig, die Grenzen zwischen verschiedenen Produktionsweisen und Gesellschaftsordnungen derart zu verwischen. Auch wenn es richtig ist, die üblicherweise vorgenommene Gleichsetzung von Kapitalismus, Marktwirtschaft, Wettbewerb, Demokratie und Leistungsgesellschaft als „Lüge“ zu entlarven, so legitimiert dies doch noch längst nicht deren komplette Entgegensetzung. Die logischen und historischen Zusammenhänge werden hier allzu sehr vereinfacht. Daher kann auch die aufgezeigte Alternative, eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus, als neues Gesellschaftsmodell nicht wirklich überzeugen.
Die methodologische Problematik des Vorgehens zeigt sich auch in einzelnen Aspekten. So zum Beispiel bei der Behandlung der Finanzsphäre, des Geldes und der Banken, eines, wie man inzwischen weiß, speziellen Schauplatzes kapitalismuskritischer Polemik bei Sahra Wagenknecht. Einerseits räumt sie umstandslos ein, dass die Finanzbranche für die Entwicklung einer Volkswirtschaft „von zentraler Bedeutung“ ist. Andererseits kritisiert sie aber die besondere Behandlung „systemrelevanter Banken“ durch den Staat während und nach der Krise von 2008 als „ein Stück aus dem Tollhaus“. Anschließend stellt sie fest, dass es „ohne eine andere Geldordnung“ keine „andere Wirtschaftsordnung“ geben kann. Dem ist zuzustimmen. Als fatal würde sich jedoch eine Umsetzung der nachfolgend von ihr unterbreiteten Vorschläge für eine Neuordnung der Bankenlandschaft erweisen. Ausgehend von der Feststellung, dass die Banken die Hauptschuld an der Krise hätten, sieht sie in deren Entmachtung, Zerschlagung, Verkleinerung, Begrenzung, Verstaatlichung das Allheilmittel finanzwirtschaftlicher Gesundung. Wer die Banken aber vor allem als „Brunnenvergifter“ sieht, hat es schwer zu begreifen, wie eine monetäre Wirtschaft funktioniert. Unbestreitbar gibt es auf diesem Gebiet Defizite und großen Reformbedarf; dieser sollte aber nicht nur als ein Zurechtstutzen der Finanzsphäre begriffen werden, sondern auch als deren Modernisierung und Fitmachen für die Zukunft. Letzterer Aspekt fehlt aber in dem Buch. Erklärtes Ziel ist „ein kleinteiliger, gemeinwohlorientierter Finanzsektor, der kostendeckend, aber nicht profitorientiert das öffentliche Gut Geld so bereitstellt, dass die Wirtschaft sich nach den gesellschaftlich gesetzten Prioritäten entwickeln kann“. Das Nonplusultra dieser Überlegungen sind die „Gemeinwohlbanken“, die die bisherigen, sich am Markt und am Profit orientierenden privaten Geschäftsbanken ersetzen sollen. Aber kann das funktionieren, ohne dass sich das Umfeld der Banken, ihre Geschäftsgrundlage also, entsprechend verändert? Ich denke: Nein. Dieser Ansatz widerspricht der Komplexität entwickelter Volkswirtschaften und der umfangreichen Funktionen, die Banken darin zu erfüllen haben. Diese auf bestimmte „Kernaufgaben“ reduzieren zu wollen, käme einer Amputation der Geldwirtschaft gleich. Folgte man diesem Vorschlag, so böte der Bankensektor am Ende ein ähnliches Bild wie es die Heilsarmee bietet, die in einem richtigen Krieg auch nicht bestehen könnte, weil sie eben keine richtige Armee ist. Die „Gemeinwohlbanken“ sind eine romantische Illusion, aber keine zukunftstaugliche Reformidee.
So „eng“ die Argumentation in Bezug auf die Banken ausfällt, so klarsichtig äußert sich die Autorin jedoch zu verwandten Reformvorstellungen, so zum Beispiel zur „Vollgeld-Theorie“, die sie wegen der impliziten Verschlechterung der Kreditversorgung der Wirtschaft nicht unterstützt, sowie zum „bedingungslosen Grundeinkommen“, das sie aus ökonomischen und ethischen Erwägungen als Zukunftskonzept ebenfalls ablehnt.
Auch wenn eine Reihe der Ideen und Vorschläge nicht vollumfänglich geteilt werden, so bietet das Buch doch eine kurzweilige Lektüre und manche Anregung dafür, die ökonomische Realität eindringlicher zu durchleuchten, verbreitete Legenden und Mythen zu entzaubern und eingeübte Rituale und Praktiken kritischer als bisher zu hinterfragen. Zudem ist es aktuell gehalten und klammert keine der brennenden ökonomischen Fragen der Gegenwart aus. Sein Zustandekommen kann daher als eine solide journalistische und editorische Leistung gewertet werden.
Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten, Frankfurt/New York: Campus-Verlag 2016, 296 Seiten, 19,95 Euro.
Schlagwörter: Banken, Kapitalismus, Ökonomie, Ordoliberalismus, Sahra Wagenknecht, Ulrich Busch