von Wolfgang Brauer
Die Berliner 1848er Revolution – die einzige, die wir wirklich hatten und die diesen Namen verdient – versackte im Folgejahr ziemlich erbärmlich im Märkischen Sande. Bei vielen Heutigen ist sie so tief dem Vergessen anheimgefallen, dass nur wenige wissen, weshalb der Große Kunstpreis Berlin immer am 18. März verliehen wird. Das ist der Tag, an dem im Jahre 1848 in Berlin die Barrikaden standen, auf denen 303 Menschen für die Freiheit starben. Tags darauf musste der König vor ihren Särgen die Mütze ziehen.
Ganz so schlimm war es 2016 nicht. Niemand starb. Im Vorjahr war nur ein Theaterintendant, der immer ganz wild revolutionär daherkam – dafür erhielt sein Theater jährlich 18,3 Millionen Euro Landesmittel, das muss man auch mal gerechterweise einräumen –, nein: nicht rausgeschmissen worden. Sein Vertrag wurde einfach nicht mehr verlängert. Das wäre von vielen in dieser Stadt mit einem gewissen Aufatmen ohne größeres Geräusch zur Kenntnis genommen worden („wurde ja auch Zeit“). Wenn Frank Castorf, um den geht es hier, im Sommer 2017 die Schlüssel des Hauses an seinen Nachfolger Chris Dercon übergeben wird, stand er 25 Jahre an der Spitze der Berliner „Volksbühne“. Eine Art Theater-Dino sozusagen. Für Letztere ist Berlin berühmt.
Wie gesagt, der Rauswurf zweiter Klasse wäre nicht groß aufgefallen, wenn der Berliner Kultursenator Michael Müller nicht statt des Dramaturgie-Revoluzzers den Londoner Kunstmuseumsdirektor Chris Dercon engagiert hätte. Der kriegt für die nächsten zwei Jahre schon mal 2,23 Millionen Euro mehr in die Hand gedrückt, weil Castorf, Kumpel wie er nun mal ist, den Dercon bis zum 31. Juli 2017 weder in die Werkstätten noch in die Probebühnen des Hauses lässt. Tags drauf greift Dercons Vertrag. Castorf blockiert wegen Eigenbedarf – würde man in der Immobilienbranche sagen. Aufgemerkt: Die „Volksbühne“ gehört weder dem Herren Castorf, noch gehört sie Chris Dercon. Sie ist Eigentum Berlins.
Den Aufschrei „Schützt Castorf!“ trat nun allerdings dessen Intimfeind Claus Peymann, Inhaber des Theaterbetriebes „Berliner Ensemble“, los. Peymann neidete dem Castorf immer die höheren Landeszuschüsse, so musste er sich 2015 mit nur 11,9 Millionen Euro begnügen. Gerne verschwieg er dabei, dass er sich einige Extras von der Lottostiftung mitfinanzieren ließ. Ein Goethe-Musical namens „Faust“ seines Bochumer Spezis Herbert Grönemeyer etwa. Peymann machte nun, nee nicht den als Kultursenator dilettierenden Michael Müller – im Nebenberuf ist Müller Regierender Bürgermeister von Berlin –, er machte den Staatssekretär für Kultur Tim Renner, der das alles einfädelte, als eine Art Super-GAU der Berliner Kultur nieder: „Herr Renner ist schon jetzt ein toter Mann. Er weiß es nur noch nicht.“ Auch das hatte mehr als einen Grund: Der Senat setzte Claus Peymann gegen seinen Willen einen zutiefst ungeliebten Nachfolger in den Pelz. Der Mann heißt Oliver Reese und kommt vom Schauspiel Frankfurt. Bis 2009 war Reese allerdings am Deutschen Theater Berlin zugange. Auch das ist Peymannsches Feindesland.
Der Berliner Senat darf das übrigens. Ohne die Landeszuschüsse könnte Claus Peymann den Laden dicht machen. Außerdem stellt Berlin ihm das Theater am Schiffbauerdamm zur Verfügung. Das Haus gehört aber auch nicht der Stadt, sondern der Ilse-Holzapfel-Stiftung. Die bekommt dafür rund 183.000 Euro Miete im Jahr. Das liest sich wie ein Schnäppchen, ist aber genau genommen ein Schneewittchen-Apfel: Hinter der Stiftung steckt Rolf Hochhuth. Bestandteil des Vertrages ist eine Klausel, die den Mieter verpflichtet, einmal im Jahr Hochhuths „Stellvertreter“ spielen zu lassen. Manchmal will Hochhuth auch etwas anderes spielen. Auf jeden Fall hat das Berliner Feuilleton dann regelmäßig Skandalstoff. Auch Rolf Hochhuth ist Feind. Ich sage jetzt nicht, wer wen in der Regel anwaltlich vertritt…
Die Berliner Kulturlandschaft ist hochgradig vermintes Gelände. Bislang ist noch jeder Kultursenator auf irgendeinem dieser Explosivgeräte hochgegangen. Es sei denn, er ist gleichzeitig so eine Art König, Regierender Bürgermeister zum Beispiel. Als solcher muss man nur gelegentlich – um im Eingangsbilde zu bleiben – die Mütze vom Kopf nehmen und eine Art Nachruf an einen noch Lebenden, den man kurz zuvor zur Strecke gebracht hat, vortragen. Michael Müller machte das am 18. März in der Akademie der Künste. Er übergab Frank Castorf den „Großen Kunstpreis Berlin“ der Akademie (15.000 Euro, ganz so groß ist er also nicht) und sprach lobende Worte. Überhaupt habe man da nur Menschen erlebt, „die sich loben“, resümierte die Berliner Zeitung. Selbst Castorf lobte, aber auch er sich selber. Wen auch sonst? Seine Preis-Urkunde vergaß er auf dem Rednerpult.
Es ist sehr schade, dass mit dem „Großen Kunstpreis“ im nächsten Jahr eine andere Sektion der Akademie dran ist. Der Preis wird nach dem Rotationsprinzip vergeben. Michael Müller wird sicher wieder eine lobende Rede reden müssen. Im nächsten Jahr müsste eigentlich die bildende Kunst dran sein. Aber vielleicht macht Peymann noch ganz schnell etwas mit Video oder Zelluloid. Die derzeitige Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel kommt vom Film. Ich wäre auf das Déjà-vu mit Claus Peymann gespannt.
Mit dem 18. März hat das alles nichts mehr zu tun. Da starben die armen Leute für die Interessen der Reichen. Sie wussten es nur nicht. Wie immer.
Schlagwörter: Chris Dercon, Claus Peymann, Frank Castorf, Großer Kunstpreis Berlin, Michael Müller, Oliver Reese, Senat von Berlin, Theater, Wolfgang Brauer