von Waldemar Landsberger
Nachdem in Sachen „Alternative für Deutschland“ monatelang mit Kanonen auf Spatzen geschossen wurde, sollte nach den Wahlergebnissen vom 13. März ruhiges Nachdenken angezeigt sein. Wer die Kommentare in den großen Medien sowie die allabendlichen „Talk“-Runden gesehen hat, konnte die Ausbreitung von Fehlwahrnehmungen und absichtsvollen Fehldeutungen verfolgen. Neben der häufigen Selbstüberhebung der Linken sind dies zunächst drei: die Unfähigkeit, zwischen einer konservativen, einer rechtspopulistischen und einer Nazi-Partei zu unterscheiden; die Gleichsetzung von historischem Nationalsozialismus und den heutigen Nazischlägern von nebenan; die halbbildungsgemäße Vorstellung, Ideologiekritik sei das höchste Stadium der Gesellschaftskritik und es müssten vor allem Worte kritisiert werden (Das Blättchen, 24/2015). Und bei näherem Hinsehen war klar: Die Linken hatten sich vor einen Karren spannen lassen, der von der CDU gelenkt wurde.
So ist politikwissenschaftliche Propädeutik angezeigt. Einige Hinweise gab es auch im Fernsehen, allerdings nach Mitternacht bei „Phoenix“ – ich weiß nicht, in welchem Promille-Bereich die Einschaltquoten liegen. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt hatte Gelegenheit, das Grundproblem auszubreiten: Es liegt in der strategischen Veränderung, die Angela Merkel an der CDU vorgenommen hat. Sie hat alle bunten SPD-Blumen umgetopft, in den eigenen Vorgarten gestellt und als eigene angepriesen – von der Rente mit 63, der Mütterrente, den Kita-Plätzen, der faktischen Abschaffung der Wehrpflicht bis zum Mindestlohn. Hinzu kommen die Blume Atomausstieg, die aus dem grünen Garten stammt, sowie eine Schwulen-, Partnerschafts- und Familienpolitik, die Forderungen aller linken Parteien entspricht. Welche Blumen ursprünglich im Garten der Partei Die Linke standen, ließ Patzelt unerwähnt, ist hier aber unerheblich.
Die Merkel-CDU wurde soweit sozialdemokratisiert, dass der historischen SPD das Wasser abgegraben wurde und sie strategisch überflüssig wird; in weiten Teilen Deutschlands ist sie faktisch nicht mehr „Volkspartei“ und in den Wählerumfragen deklassiert: eine 20-Prozent-Partei im Unterschied zur 35-Prozent-Partei CDU. Gleichzeitig war Folge, dass die Bindekraft der CDU nach rechts nachgelassen hat. Die Schwenks in Sachen Wehrpflicht, Atomausstieg und Familienpolitik haben viele konservative Parteigänger und Wähler vergrault. Die hatten nun die Wahl, schmollend zu Hause zu bleiben oder sich eine neue politische Heimat zu suchen. Das dachten sich auch Hans-Olaf Henkel, Bernd Lucke und Konrad Adam, als sie die „Alternative für Deutschland“ gründeten. Nur haben sie es nicht geschafft, die Sache in der Hand zu behalten. Frauke Petry, Alexander Gauland und andere übernahmen das Heft des Handelns und setzten auf einen lärmenderen Kurs einer national-konservativen, populistischen Partei. Die Konfliktlinie, an die sich die Partei anlagerte, war schließlich weniger EU-Kritik und Euro-Skepsis als seit Sommer 2015 die Flüchtlingspolitik.
Dieses Thema war von Angela Merkel kredenzt worden. Sie hatte im Sommer die deutschen Grenzen für syrische und andere Flüchtlinge geöffnet. Das war weder in der EU abgestimmt noch in Deutschland politisch diskutiert worden. Ähnlich wie beim Atom-Ausstieg hatte Merkel über Nacht eine Entscheidung getroffen, die in erster Linie das bürgerliche, konservative Lager beziehungsweise die eigene Partei überraschte, während sie sich von vornherein der faktischen Unterstützung der linken Parteien, SPD, Grüne und Linke sicher sein konnte. Kritik an der Entscheidung wurde rasch als rassistisch, nationalistisch, fremdenfeindlich oder rechtsradikal etikettiert.
Es wurde eine politische Atmosphäre geschaffen, in der der linksliberale Mainstream öffentliche Kritik an dieser Politik zunächst weitgehend zum Schweigen bringen konnte. Da neonazistische Netzwerke, zum Teil offenbar unterstützt von der NPD, immer häufiger Anschläge auf Flüchtlingsheime verübten und die Übergriffe auf Flüchtlinge sich mehrten, wurden die Brandstifter, Nazi-Schläger, die NPD und die AfD sowie jeder öffentliche Einwand gegen diese Merkel-Politik in einen Topf gesteckt. Die all-montäglichen Pegida-Demonstrationen in Dresden mit ihren schrillen Tönen kamen hinzu.
Im Kern der Sache jedoch geht es um die politische Kritik an der Flüchtlingspolitik Merkels. Sie blieb ohne Ort, weil es im Deutschen Bundestag faktisch keine Gegenposition gibt. Die CDU unterstützte ihre Kanzlerin, etliche Bundestagsabgeordnete mit Bauchgrimmen, CSU-Chef Seehofer machte einige rhetorische Kopfstände, hat das Regierungsboot aber nie verlassen. Die SPD-Zustimmung war stets gewiss. Grüne und Linke kritisierten die später von der Regierungspolitik vollzogene Verschärfung des Asylrechts, aber nicht die Sache als solche. So konnte die AfD zur einzigen politischen Kraft werden, die die Gegenstimmen auf sich zog.
Eine skurrile Nebenlinie war das Thema „Lügenpresse“. Die linke „junge Welt“ hatte seit Jahren Reklame für sich gemacht mit: „Sie lügen wie gedruckt – wir drucken, wie sie lügen“. Der Unterschied zu „Lügenpresse“, wie er von Pegida und AfD verwendet wurde, ist rein sprachlicher Natur – Lügenpresse ist kürzer. Rasch war das Argument bei der Hand, das sei Nazi-Jargon. Linksliberale Journalisten und Kabarettisten betonten zu jeder passenden Gelegenheit, man könne erstens in Deutschland alles sagen und zweitens seien die Medien allesamt ein Ausbund an Wahrhaftigkeit. Jahrzehnte Medienkritik werden weggewischt. Selbstverständlich gibt es eine inhaltliche Steuerung von Medien-Kampagnen in Deutschland: Der Spiegel, die Bild-Zeitung und die Frankfurter Allgemeine bringen in zeitlicher Nähe dasselbe Thema auf, die anderen schreiben ab, Tag für Tag wird etwas nachgelegt, Fernsehen und Rundfunk stimmen mit ein. So entsteht eine Kampagne – Gaddafi als Wiedergeburt Hitlers, Putin als die „Gefahr aus dem Osten“, der „faule Grieche“ und so weiter. So wurde monatelang gegen die AfD geschrieben und geredet – die Wählerschaft hat sich davon aber nicht irre machen lassen. Medienkritik bleibt Aufgabe von Gesellschaftskritik, auch wenn „Lügenpresse“ eine stark vereinfachte Formel ist.
Eine weitere Linie ist das Menschenbild. Die in den Medien immer wieder kolportierte Position, die Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik stachele die Menschen auf und führe zu Pegida-Demonstrationen und Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime, geht davon aus, die Menschen seien beliebig manipulierbar. Wie das Ende der DDR-Sozialismus gezeigt hat, sind sie das gerade nicht. Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung war Grundmoment der Politik des SED-Politbüros. Die Menschen sind von sich aus gegangen und wollten 1989 nicht, dass es so weitergeht, wie zuvor. Jetzt wollen viele kein Flüchtlingsheim vor der Tür. Das gilt übrigens in reichen Stadtvierteln von Hamburg wie in armen sächsischen Dörfern. Die Unterstellung lautet: die Leute hätten „Angst“ und wenn man ihnen die austreibt, verschwindet die Stimmung. Aber es geht gar nicht vor allem um Angst. Die Leute wollen keine Fremden. Die sprechen eine andere Sprache, haben eine andere Kultur, andere Gewohnheiten. Warum soll man sich umstellen, wenn man es nicht muss? Die Stimmung ist im Lande und hat sich in der AfD einen Ausdruck gesucht, nicht umgekehrt.
Wenn der „Wutbürger“ gegen den neuen Bahnhof oder gegen die neue Autobahn ist und dagegen demonstriert, freut sich der Linke und belobigt ihn. Wenn derselbe „Wutbürger“ gegen das Flüchtlingsheim vor der Haustür ist, gilt er ihm als böser Rassist. Es ist aber immer noch derselbe Wutbürger. Und der Salon-Linke schaut von oben herab auf den „Mehrheitspöbel“. – Soll er doch das Volk auflösen!
Schließlich geht es um die Verantwortung für Untaten. Die Unterstellung lautet, die AfD, weil sie die Bevölkerung aufhetze, sei für die Brandanschläge verantwortlich. Seit Jahren gibt es Anschläge von selbsternannten „rrrevolutionären“ Grüppchen in Teilen Berlins und Leipzigs auf Nobelkarossen und Polizisten. Es wurden Büros missliebiger Parteien mit Farbbeuteln beworfen, Türschlösser mit Schnellkleber blockiert, „Spaziergänge“ zu den Wohnungen übel beleumdeter Politiker organisiert. Alles das machen rechte klandestine Gruppen heute mit linken Büros, Wohnungen und Politikern. Die haben das kopiert. (Hier geht es ausdrücklich nicht um die Verbrechen des sogenannten NSU in Verbindung mit seinen Förderern im „Verfassungsschutz“, sondern um politische Alltagskriminalität.) Aber so, wie kein Linken-Politiker für die nächtlichen Brandstifter in Kreuzberg verantwortlich ist, sind auch die Untaten der rechten Grüppchen nicht der AfD als Partei zuzuschreiben.
Spätestens nach dem 13. März muss die AfD als Partei unter Parteien im politischen Feld betrachtet werden. Das heißt sie wird daran gemessen, was sie politisch in der Sache anzubieten hat.
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