19. Jahrgang | Nummer 6 | 14. März 2016

Kein Wort über Breedlove

von Petra Erler

Nun will ich es wissen: werde ich durch die Medien manipuliert? Durch die russischen Medien genauer gesagt. Schließlich ist die Sache so ernst, dass sich die deutschen Geheimdienste damit beschäftigen wollen. Also google ich am 28.02. die news. Focus lässt mich wissen, Clinton habe „überraschend“ die Vorwahlen in South Carolina gewonnen. Na so was, alle Umfragen hatten ihren Sieg vorausgesagt. Die Welt und die Tagesschau berichten korrekt. Und was sagen die Russen dazu? RT deutsch sagt gar nichts. RT. com berichtet, ebenfalls korrekt.
Aber bei RT deutsch stolpere ich über die Meldung, General Breedlove habe in einer Anhörung im US Kongress erklärt: „Die USA sind bereit, gegen Russland in Europa zu kämpfen und es zu besiegen.“ 
Das kann nur eine Lüge sein, denke ich, und mache mich auf die (google) Suche, ob der Mann wirklich so etwas entsetzlich Dummes und Gefährliches gesagt hat. Schließlich ist der Mann nicht irgendwer, sondern der NATO-Oberbefehlshaber in Europa. Contra Magazin berichtet, aber das muss nichts heißen (Putin-Troll?). Bei Tass (ebenfalls russisch) stoße ich auf eine Stellungnahme des Sprechers des russischen Verteidigungsministeriums, der die antirussische Haltung von General Breedlove moniert.
Sonst nichts laut news.google.de. Also weitersuchen. Auf der US Seite von google.news werde ich fündig. Military.com berichtet. Dort wird Breedlove unter anderem mit den Worten zitiert, Russland habe beschlossen, ein Gegner zu sein und stelle eine „langfristige existentielle Drohung für die Vereinigten Staaten von Amerika“ dar. Es sei aber kein Kalter Krieg. Dank military.com erfahre ich ebenfalls, dass laut Breedlove die NATO darauf vorbereitet sein muss, die „Festung Kaliningrad“ zu durchbrechen und dass die Russen in Syrien nichts anderes im Sinn haben, als die Syrer in die Flucht Richtung EU zu treiben. Darüber hatte RT deutsch kein Wort gesagt. Auch nicht darüber, dass der Mann demnächst in Rente geht. The Hill berichtet ebenfalls.  Es geht um die Budgeterhöhungen für 2017, um den Aufbau einer Abschreckungskapazität der NATO gegen ein aggressives Russland, das die Regeln der internationalen Ordnung nicht nur in Frage stelle, sondern ändern wolle, lese ich da. Auch „Veterans today“, ein online medium, das, wenn überhaupt, nur mit äußerster Vorsicht zu behandeln ist, findet Breedloves Aussagen einen Artikel wert, denn schließlich soll das betreffende Budget 2017 vervierfacht werden. Jede Menge Breedlove Zitate. Allerdings beginnt die Verfasserin in Veterans today mit der Frage, ob die Welt ein sicherer Ort wäre, wenn „ein bestimmter NATO-General“ bei Geburt erdrosselt worden wäre.
Weder die FT noch Le Monde berichten. Aber auf die Ukrainer ist Verlass. Die Kyiv Post zeigt sogar ein Foto dazu: Breedlove im Gespräch mit der deutschen Verteidigungsministerin von der Leyen.
Das ARD Studio Wien berichtet ebenfalls. Danach habe Breedlove von der Gefahr einer russischen militärischen Aggression gegen Moldawien gesprochen. Eine Gefahr, die ein rumänischer Wissenschaftler laut ARD-Bericht verneinte. Ach nein, diese Meldung stammt aus 2015.
Irgendwo muss sich im Netz doch die Anhörung von Breedlove verstecken, denke ich, denn nun will ich es genau wissen, Wort für Wort. Und siehe da, hier werde ich fündig.
Nach gut anderthalb Stunden original Breedlove frage ich mich, warum die deutschen Medien nicht berichteten. Weil man in Anhörungen, wenn es ums liebe Geld geht, die Worte nicht auf die Goldwaage legen sollte? Um mir keine Angst zu machen? Aber dann erinnere ich mich an das Geschrei im deutschen Blätterwald nach Medwedjews Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Medwedjew spricht von „neuer Ära des Kalten Krieges“ titelte die Süddeutsche. Die Tagesschau zitierte Medwedjew „Wir sind in die Zeiten eines neuen Kalten Krieges abgerutscht“, was der deutsche Außenminister verneinte. Es sei alles viel komplizierter, sagte Steinmeier. Und Die Zeit vernahm bei Medwedjew „Drohungen aus einem fernen Universum“. Später stellte sich heraus, dass die ganze mediale Hysterie auf einem Übersetzungsfehler beruhte. Tatsächlich hatte Medwedjew gesagt: „Speaking bluntly, we are rapidly rolling into a period of a new cold war“. Aber Medwedjew hatte in München auf russisch geredet, statt sich in allgemeinverständlichem Deutsch oder Englisch auszudrücken. Da kann so was schon mal passieren.
Breedlove, in der jüngsten Anhörung, spricht Englisch. Er spricht langsam. Zwar sind ein paar militärische Begriffe dabei, aber ansonsten kann man verstehen, was er so sagt. Nach Breedlove sind wir nicht im Kalten Krieg, sondern mittendrin in einem hybriden Krieg („we are already in a hybrid warfare“), unterhalb der Schwelle von Art 5 des NATO-Vertrags. Von den Russen angezettelt. Die russische Gefahr werde von allen NATO-Verbündeten ebenso verstanden, wie von den USA, beteuert Breedlove auf Nachfrage. Nur was die Militärbudgets angeht, bestehe noch Handlungsbedarf, um die verabredeten zwei Prozent Militärausgaben überall zu erreichen. Aber, so Breedlove, auch hier sehe er das Glas eher halb voll als halb leer. Die NATO müsse aufrüsten, um den russischen Gegner, der die USA und die NATO zum Feind erklärt habe, abzuschrecken oder aber im Falle eines bewaffneten Konflikts zu besiegen. Das alles sagt der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, ein Mann, der bei guter Gesundheit zu sein scheint. Jedenfalls optisch.
Um es abzuschließen: Während ich der Anhörung lauschte, entwickelte ich eine gewisse Dankbarkeit für die Meldung auf RT deutsch (Manipulation?) und dachte, wie schade, dass sich die deutschen Medien nicht auf das Thema gestürzt haben. Was sagt die Bundesregierung dazu? Wie bedroht sind wir wirklich? Was das für Schlagzeilen möglich gemacht hätte: Deutschland – der neue Feind Russlands oder Deutschland schon im Russenkrieg. Die Zeit hätte sicher wieder etwas besonders Griffiges gefunden. Aber vielleicht ist Breedlove ja schon Schnee von gestern, weil er bereits in der Vergangenheit, so der Spiegel, „gefährliche Propaganda“ betrieb?
Möglicherweise verweigern sich die deutschen Medien auch schlicht dem Informationskrieg. Frei nach dem Motto: Es ist Krieg und wir melden es nicht. Mediales Schweigen hat auch den Vorteil, Meckerern oder „Putinverstehern“ oder „Putintrollen“ keine Gelegenheit für Tricks aus der politischen Mottenkiste zu geben. Sie wissen schon, à la Jewtuschenko: Meinst Du die Russen wollen Krieg. Bleibt dennoch die Frage: Wer will hier Krieg?

Aus: EurActiv.de, 01.03.2016. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin und von eurAktiv.de