18. Jahrgang | Nummer 16 | 3. August 2015

Transnistrien – ein Konflikt, der besser „eingefroren“ bleibt

von Wolfgang Kubiczek

Zwei Nachrichten aus der Ukraine ließen Ende Mai aufhorchen, obwohl sie hierzulande alsbald im konzertierten Griechenland-Bashing untergingen: Das ukrainische Parlament kündigte am 21. Mai fünf Vereinbarungen mit Russland über die Zusammenarbeit auf militärisch-technischem Gebiet. Am 30. Mai ernannte Präsident Poroschenko Michail Saakaschwili, von 2004 bis 2013 Präsident Georgiens und dort inzwischen mit Haftbefehl gesucht, zum neuen Gouverneur von Odessa. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen scheint auf den ersten Blick wenig wahrscheinlich.
Zu den aufgekündigten Übereinkünften gehört die Vereinbarung über den Transit von russischen Militäreinheiten durch die Ukraine, und zwar Einheiten, so die offizielle russische Sprachregelung, die sich „zeitweilig auf dem Territorium von Moldawien“ befinden. Genauer auf dem 202 Kilometer langen, aber schmalen Landstreifen zwischen dem östlichen Ufer des Dnjestr und der ukrainischen Grenze. Dieses Gebiet, das immerhin größer als Luxemburg ist, macht ungefähr elf Prozent des Territoriums Moldawiens aus. Ehemals Bestandteil der Sowjetrepublik Moldawien, hatte es sich nach dem Zerfall der Sowjetunion und nach einem kurzen Krieg von März bis August 1992 von Moldawien abgespalten und ein separates, völkerrechtlich nicht anerkanntes Staatsgebilde gegründet, die Pridnestrowische Moldauische Republik, im Westen kurz als Transnistrien bezeichnet.
Der Fall gehört zu den „eingefrorenen Konflikten“ (frozen conflicts), die es in diversen postsowjetischen Staaten gibt.

Russisches Militär

Die russischen Truppen auf moldawischem Gebiet bestehen aus zwei Gruppierungen: von den insgesamt etwa 1.500 Mann gehört ein Drittel zu den trilateralen Friedenstruppen (gemeinsam mit moldawischen und transnistrischen Soldaten), deren Einsatz von einer Gemeinsamen Kontrollkommission der beteiligten Seiten gesteuert wird und die die offizielle Akzeptanz der moldawischen Regierung haben. Zwei Drittel des russischen Militärs sind aus der 14. Gardearmee der sowjetischen Streitkräfte hervorgegangen, die sich nicht Moldawien, sondern der Russischen Föderation unterstellt hatte und heute als „Operative Gruppe der russischen Streitkräfte in Moldawien“ firmiert. Zwar hatte Russland sich verpflichtet, diese Kontingente „bis Ende 2002 aus dem Hoheitsgebiet Moldawiens vollständig abzuziehen“ (Gipfelerklärung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/OSZE, Istanbul, 1999). Allerdings wurde diese auch Russland (zwar nicht rechtlich) bindende Erklärung mit dem Argument, es fehle eine politische Lösung der Transnistrien-Frage und die russischen Streitkräfte müssten dort Waffen- und Munitionsdepots schützen, bisher nicht umgesetzt.
Verhandlungen über eine politische Lösung werden im so genannten 5+2-Format unter dem Dach der OSZE geführt. Dieser Gruppe gehören die Konfliktparteien Moldawien und Transnistrien sowie als Vermittler und Beobachter Russland, die Ukraine, die OSZE, die EU und die USA an. Die Verhandlungen treten seit langem auf der Stelle und eine Lösung für die Frage, welcher Grad an Autonomie Transnistrien innerhalb Moldawiens gewährt werden sollte, ist nicht in Sicht.
Der Transit über die Ukraine war die einzige Möglichkeit, die russischen Kontingente in Transnistrien auf dem Landweg zu versorgen. Da Transnistrien über keinen Zugang zum Meer verfügt, führt nunmehr der einzig legale Weg über den internationalen Flughafen von Chişinău, der moldawischen Hauptstadt, und dann über eine kurze Landroute (75 Kilometer) bis Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens. Allerdings gibt es Anzeichen, dass auch diese Möglichkeit des Transfers auf Schwierigkeiten stößt. So berichtete die russischen Zeitung Kommersant, dass seit Oktober 2014 hunderte russischer Militärangehöriger abgewiesen wurden, die den Transitweg über den Flughafen von Chişinău versucht hatten. Die moldawische Seite begründet das damit, dass sie von der Absicht jeweils nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt wurde, was bis dato zwar vereinbart, aber von der russischen Seite nicht eingehalten worden war. Außerdem erteilt sie prinzipiell nur noch Genehmigungen für russische Militärangehörige, die eindeutig den Friedenstruppen zugeordnet werden können, während diejenigen der „Operativen Gruppe“ als illegal angesehen und daher zurückgewiesen werden.
Diese Handlungsweise der moldawischen Behörden wurde von russischer Seite bislang offiziell nicht kommentiert. Dagegen kam es zu einer harschen Stellungnahme des russischen Verteidigungsministeriums bezüglich der Aufkündigung der Transitvereinbarung durch die Ukraine. Armeegeneral Jakubow erklärte: „Jetzt, da die Ukraine alle Vereinbarungen mit Russland im Bereich der militärisch-technischen Zusammenarbeit aufgekündigt hat, einschließlich des Transits von Frachtgütern über ukrainisches Territorium, bleibt dem Verteidigungsministerium nichts anderes übrig, als die russischen Einheiten mit Hilfe von militärischen Transportmaschinen mit allem Notwendigen über eine Luftbrücke zu versorgen.“ Der General verwies darauf, dass das Transitverbot zu einer Eskalation der Situation in dieser Region führen könnte. Zwischenzeitlich wurde gemeldet, dass der heruntergekommene Flugplatz der Stadt Tiraspol in die Lage versetzt wurde, russische Transportmaschinen aufzunehmen. Letzteres würde aber das Überfliegen des Luftraums Moldawiens, der Ukraine oder Rumäniens erfordern, wofür wiederum deren Zustimmung erforderlich wäre.

Die Ukraine zündelt

Hier spitzt sich eine Situation zu, an der unter rationalen Gesichtspunkten eigentlich keine der drei direkt beteiligten Seiten ein Interesse haben dürfte. Die Ukraine hat mit dem Konflikt in der Ostukraine, den aufflammenden Bandenkriegen in Transkarpatien, dem militärisch untersetzten Aufbegehren des „Rechten Sektors“, dem Kampf gegen die Oligarchen, der eher ein Kampf zwischen ihnen ist, ganz zu schweigen von der wirtschaftlichen und finanziellen Misere des Landes, genügend „Baustellen“, um sich nicht einen weiteren Konfliktherd an den Hals zu wünschen. Allerdings gab es schon immer eine Strömung unter den derzeit Herrschenden, die der Auffassung war, man müsse nur einen ordentlichen Konflikt provozieren, um die USA und die NATO militärisch hineinzuziehen. Präsident Poroschenko wurde bislang nicht dazu gezählt. Dennoch lässt er sich gern zu militanten Sprüchen hinreißen. Auf einer Pressekonferenz mit Rumäniens Präsidenten Johannis im März erklärte er: „Wir kamen zu einer Übereinkunft, was das gemeinsame Vorgehen in Transnistrien betrifft. Und zwar mit dem Ziel, zum Auftauen des ‚eingefrorenen Konflikts‘ beizutragen, damit das unabhängige Moldawien seine territoriale Integrität wiederherstellen und Transnistrien reintegrieren kann.“ Und im Juni: „Wir haben nicht die Pflicht, russische Militärs nach Transnistrien zu lassen, und wir werden das auch nicht tun.“ Und weiter: Da Transnistrien im Unterschied zur Ostukraine keine gemeinsame Grenze mit Russland habe, sei es dort leichter, die Ordnung wieder herzustellen.
Die ukrainische Sicht, dass man einem Staat, mit dem man sich im Kriegszustand glaubt, keine militärischen Transits über das eigene Territorium erlaubt, ist wohl noch nachvollziehbar. Anders verhält es sich allerdings, wenn zusätzlich Öl ins Feuer gegossen und verkündet wird, dass man im Nachbarstaat Moldawien beitragen will, die „Ordnung“ wieder herzustellen, was einer Zerstörung des derzeit bestehenden Status quo gleichkäme, der zwar nicht zufriedenstellend ist, der aber seit 1992 einen Bürgerkrieg verhindert hat. Dass diese Äußerungen beim Treffen mit dem rumänischen Staatsoberhaupt fielen, ist besonders pikant, waren es doch rumänische Freiwillige, die 1992 an kriegerischen Handlungen mit dem Ziel beteiligt waren, Moldawien an Rumänien anzuschließen.

Moldawien in der Krise

Moldawien wiederum wurde vom ukrainischen Transitverbot offenbar überrascht. Das Land befindet sich in fast jeder Hinsicht in einer komplizierten Lage und kann kein Interesse an einer weiteren Destabilisierung haben. Innenpolitisch ist Moldawien Oligarchenland: die zwei größten Tycoons – Vlad Filat und Vlad Plahodniuc – sind sowohl Gegenspieler als auch Komplicen. Sie beherrschen die zwei größten „proeuropäischen“ Parteien, die Liberaldemokratische Partei und die Demokratische Partei. Es herrscht, wie der Deutschlandfunk zu berichten wusste, ein Zustand „in dem Politik nichts weiter ist als ein Instrument zur Durchsetzung geschäftlicher Interessen. Und demokratische und pro-europäische Positionen nichts als Mäntelchen, das man sich umhängt, wenn es Vorteile im Kampf um Wähler und ausländische Unterstützer verspricht.“ Diese „Pro-Europäer“ konnten sich im November 2014 den Wahlsieg gegen die prorussischen Parteien nur sehr knapp und mittels politischer Manöver sichern. Im Grunde genommen ist die Bevölkerung ziemlich klar je etwa zur Hälfte prowestlich oder prorussisch.
Außerdem existiert mit dem autonomen Gebiet Gagausien (circa 160.000 Einwohner, Hauptstadt Comrat) ein weiterer Unruheherd mit separatistischen Bestrebungen und prorussischer Orientierung. Bei einem gegen den Willen der Zentralregierung von den Autonomiebehörden durchgeführten Referendum im Februar 2014 stimmten 98,4 Prozent für engere Beziehungen zu Russland, 97,2 Prozent sprachen sich gegen eine Annäherung an die EU aus (Wahlbeteiligung über siebzig Prozent). Das von einer bulgarischen Minderheit bewohnte Gebiet Taraclia verlangt ebenfalls Autonomie und eine Vereinigung mit Gagausien.
Moldawiens Ex-Botschafter in Frankreich Oleg Serebrjan warnte kürzlich davor, dass aus diesen beiden Regionen, einschließlich der bessarabischen Gebiete der Ukraine, eine neue separatistische Republik entstehen könnte. Südosteuropa sei unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten, potenziert durch eine beispiellose Wirtschaftskrise, eine außerordentlich labile Region. Die Konflikte, angefangen von Bosnien und Kosovo bis hin zur Ostukraine, müssten im Zusammenhang gesehen werden. Man könne keine Prognose über den Transnistrien-Konflikt abgeben, ohne die Entwicklung in den anderen Regionen zu beachten. Moldawien brauche jetzt zwei Dinge: zum einen, die Erhaltung des Status-quo und Gelassenheit im Dialog mit Transnistrien und zum anderen die Wahrung der territorialen Integrität im Süden des Landes.

NATO und EU zeigen Präsenz

Außenpolitisch ist Moldawien laut Verfassung auf einen neutralen Status eingeschworen. Allerdings gibt es einflussreiche Kräfte, die – ähnlich wie in der Ukraine – diesen Verfassungspassus zugunsten der NATO ändern wollen. Diese wiederum hat seit Beginn der Ukraine-Krise ihre Aktivitäten in Moldawien deutlich intensiviert. Im März 2014 äußerte der NATO-Oberkommandierende für Europa, US-General Breedlove, seine „Besorgnis“, russische Truppen könnten durch die Ost- und Südukraine bis Transnistrien durchbrechen, um die gesamte Region direkt an Russland anzugliedern. Im gleichen Monat sicherte die für Osteuropa im State Department zuständige stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland bei einem Besuch in Moldawien dem Land zusätzliche Hilfen, unter anderem bei der Stärkung des Grenzregimes, zu. Auf ihrem Gipfel in Wales, im November 2014, startete die NATO für Georgien und Moldawien (sowie Jordanien) ein neues Programm unter der Bezeichnung „Defence and Related Security Capacity Building“, das dem Nordatlantikpakt dabei helfen solle, „Stabilität in Regionen zu projizieren, ohne große Kampftruppen einsetzen zu müssen“. Dazu werden für die einzelnen Länder maßgeschneiderte militärische Hilfsprogramme aufgelegt. Am 24. Juni dieses Jahres verabschiedeten die Verteidigungsminister der NATO konkrete Maßnahmen für Moldawien, „um dem Land dabei zu helfen, seine Verteidigungs- und Sicherheitskapazitäten zu stärken“. Durch Berater, Training und Ausbildung sollen nach NATO-Vorstellungen die moldawischen Streitkräfte gestärkt und modernisiert sowie die Sicherheitsstrukturen reformiert werden. Moldawien erhält auch US-Militärhilfe mit dem Ziel, die Kompatibilität seiner Streitkräfte mit denen der NATO zu verbessern. Schließlich fand vom 12. bis 25. Juli in Moldawien das gemeinsame Manöver „Joint Effort 2015“ statt unter Beteiligung der USA, Polens, Rumäniens und Georgiens.
Seit Beginn der Ukraine-Krise haben sich folglich die Bemühungen der NATO deutlich verstärkt, die neutrale Haltung Moldawiens zu unterlaufen, wobei man sich allerdings auf politische Kräfte im Lande stützt, deren Rückhalt in der Bevölkerung gerade drastisch im Schwinden begriffen ist. Der ehemalige Verteidigungsminister Gaiciuk kritisierte gegenüber der Deutschen Welle die Annäherung an die NATO. Moldawien müsse seinen neutralen Status bewahren und ihn völkerrechtlich absichern lassen. Das würde Moldawien für Ost und West attraktiv machen und das Transnistrien-Problem lösen helfen.
Zur westlichen Offensive gegen den russischen Einfluss in Moldawien zählt zweifelsohne das im Juni 2014 unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der EU. Dieses Abkommen hat, wie andere westliche Aktivitäten, die moldawische Gesellschaft weiter polarisiert. Zum damaligen Zeitpunkt hielten sich die Befürworter einerseits der EU-Assoziation und andererseits eines Beitritts zur Zollunion mit Russland in etwa die Waage, mit deutlich rückläufiger Tendenz für erstere. Auch hier ist, wie in der Ukraine, die Chance für ein mit Russland abgestimmtes Vorgehen aus geopolitischen Erwägungen verspielt worden.
Nach einem im Mai aufgedeckten Korruptionsskandal, in den drei der größten Banken sowie proeuropäische Politiker verwickelt waren und in dessen Folge ungefähr eine Milliarde Dollar (etwa ein Achtel des jährlichen Bruttosozialprodukts) in finsteren Kanälen verschwanden, steht das Land vor dem finanziellen Bankrott. Es besteht die Gefahr des Abgleitens in Richtung eines „failed state“, eines gescheiterten Staates.

Russland in der Defensive

Russland ist in diesem Konflikt aktuell eher die reagierende Seite, die kein Interesse an einer weiteren Zuspitzung der Lage hat. Szenarien über russische Absichten, eine Landverbindung von der Ostukraine über Odessa nach Transnistrien militärisch zu erzwingen, die in der Ukraine und in einigen NATO-Kreisen moussieren, sind absurd. Anzeichen für eine moderate russische Haltung gab es übrigens schon vor der jetzigen ukrainischen Transit-Sperre. Ein Antrag Transnistriens auf Eingliederung in die Russische Föderation vom März 2014 wurde von Moskau rundweg ignoriert. Im Zusammenhang mit dem Assoziierungsabkommen Moldawiens mit der EU bot Russland Gespräche an, um die Konfliktlinien mit dem Handelsregime der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der Moldawien ebenfalls angehört, auszuräumen. Übrigens ohne Reaktion seitens der EU.
Anfang Juli kam es schließlich im Ergebnis eines Gesprächs zwischen dem Vizepremierminister Moldawiens Osipow und dem russischen Vizepremier Rogosin zu einer leichten Entspannung der durch die Kiewer Entscheidung herbeigeführten Situation. Osipow erklärte die Bereitschaft der moldawischen Seite, bei der Versorgung des russischen Militärs in Transnistrien Hilfe zu leisten und die Rotation russischer Militärangehöriger zu ermöglichen. „Man hat mir in Moskau gesagt“, erklärte Osipow, „dass die alarmistischen Töne nicht begrüßt werden, dass sie zu einer künstlichen Anheizung der Spannungen beitragen […] Wenn ein solch ernsthafter Partner wie Russland die Situation so einschätzt, und das entspricht voll und ganz unserer eigenen Einschätzung, dann ist das ein Zeichen, dass der Frieden erhalten werden kann.“ Und weiter. „Chişinău hat sich seit langem für einen friedlichen Prozess entschieden […] Chişinău hat im Übrigen auch keine Ressourcen für Kriegsspiele.“
Bleibt zu hoffen, dass diese Vernunft auch weiterhin zum Tragen kommt.

Saakaschwili als Gouverneur von Odessa

Und was hat es nun mit der im Mai erfolgten Ernennung des Ex-Präsidenten von Georgien zum Gouverneur von Odessa auf sich? Da schlagen die Wellen der Spekulation hoch. So wird behauptet, dass sei auf Druck der USA geschehen, die für diesen strategisch wichtigen Hafen am Schwarzen Meer – ein Schnittpunkt der Interessen der USA, Russlands, der EU und der Ukraine – einen zuverlässigen Statthalter brauchten, zumal prorussische Sympathien unter den Odessaern durchaus verbreitet sind.
Hintergründe in wenigstens zwei Richtungen zeichnen sich aber deutlich ab. Innenpolitisch geht es um die Festigung der Positionen Poroschenkos. Von der Frage, wer in Odessa künftig das Sagen hat, hängt in den nächsten Jahren die Zukunft der großen ukrainischen Finanz- und Industriemagnaten, internationaler Konzerne, aber auch der verschiedenen politischen und kriminellen Klans ab. Die Einsetzung Saakaschwilis war ein weiterer ernster Schlag gegen den Oligarchen Kolomoiskij, „dessen“ Gouverneur Palytsia durch Saakaschwili abgelöst wurde. Dennoch bleibt Kolomoiskij in Odessa präsent, verfügt er doch über eine der größten Erdölraffinerien des Landes. Ein zweiter innenpolitischer Aspekt, so wird spekuliert, könnte der Aufbau Saakaschwilis als Alternative zum derzeitigen mit Poroschenko in Konkurrenz stehenden Ministerpräsidenten Jazenjuk sein, was aber auf den Widerstand der USA stoßen dürfte. Denn Jaz, wie Nuland ihn nennt, ist ein Mann Washingtons.
Die zweite Richtung betrifft in der Tat Transnistrien. Odessa ist von Tiraspol nur 100 Kilometer entfernt, und über die Stadt läuft ein Großteil der Ex- und Importgeschäfte Transnistriens. Jedoch dürfte die Aufgabe Saakaschwilis nicht darin bestehen, einen militärischen Konflikt vorzubereiten, wie transnistrische und russisch-nationalistische Medien versuchen glauben zu machen. Eher geht es um eine Politik der kleinen Nadelstiche gegen Transnistrien und eine Stabilisierung des ukrainischen Bessarabiens, dessen Bevölkerung vorrangig aus Bulgaren, Gagausen, Moldawiern und Russen mit engen familiären Beziehungen zu Transnistrien und Gagausien besteht und die demzufolge Kiew kritisch gegenüber stehen. Zu den Nadelstichen gehört die verstärkte Kontrolle der ukrainisch-transnistrischen Grenze und des grenzüberschreitenden Verkehrs.

Resümee

Moldawien, Transnistrien, die Ukraine mit Odessa – ein kompliziertes Knäuel von sich überlappenden Interessen und Konflikten, ursächlich ausgelöst durch den Zerfall der Sowjetunion und neuerdings befeuert durch geostrategische Ambitionen, vor allem von nicht aus der Region stammenden Akteuren. Eine friedliche Beilegung des Transnistrien-Konflikts ist für die überschaubare Zeit nicht absehbar. Ein militärischer Lösungsversuch wäre nicht nur für Südosteuropa eine Katastrophe. Kurzfristig ist die beste Lösung, den Konflikt „eingefroren“ zu lassen und wenigstens über die „5+2“-Ebene im, wenn auch derzeit aussichtslosen, Gespräch zu bleiben.