Kurz & weise
Laß dich nur in keiner Zeit
zum Widerspruch verleiten!
Weise fallen in Unwissenheit,
wenn sie mit Unwissenden streiten.
Johann Wolfgang von Goethe
West-östlicher Divan,
Buch der Sprüche
Titel von der Redaktion
Geld stinkt doch!
Erst schien es, als hätte ihn sein legendäres Verhältnis zum Geld auf dem politischen Parkett ausrutschen lassen: Vor wenigen Tagen berichtete das Handelsblatt, dass sich der ehemalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) auf eine dubiose Beratertätigkeit für ukrainische Oligarchen eingelassen habe. „Das schöne Gefühl, Geld zu haben, ist nicht so intensiv wie das saublöde Gefühl, kein Geld zu haben“, zitierte das Blatt ein Steinbrück-Interview mit der Zeit aus dem Jahre 2006.
Ganz so einfach ist die Sache nicht. Um den ehemaligen österreichischen Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) hat sich ein ganzes Berater-Team, die „Agency for the Modernisation of the Ukraine“, zusammengerottet: Rupert Scholz (CDU/ehemals Bundesverteidigungsminister), Günter Verheugen (SPD/ehemals EU-Kommissar) und Bernard Kouchner (ehemals Außenminister der Regierung Sarkozy/deshalb von der französischen SP ausgeschlossen) wurden Arbeitsgruppenleiter der illustren Gesellschaft. Mitinitiator ist der stinkkonservative CDU-Strippenzieher Karl-Georg Wellmann („Ukraine-Beauftragter“ der CDU-Bundestagsfraktion) aus Berlin. Sitz des Unternehmens wird Wien sein. Dort hockt auch einer der Finanziers, der aufgrund von Korruptionsvorwürfen um seine Auslieferung in die USA bangende Oligarch Dmitri Firtasch.
Die derzeitige Kiewer Regierung betrachtet die „Agency“ durchaus als unerwünscht. Kein Wunder: Sowohl Firtasch als auch die Mitfinanziers Rinat Achmetow und Viktor Pintschuk gehören zu den großen Privatisierungsgewinnlern der ukrainischen Wirtschaft und gehörten (?) zugleich zum Lager um den geschassten Viktor Janukowitsch.
Es steht zu vermuten, dass die Agentur-Initiatoren eine Absetzbewegung von der Clique um Petro Poroschenko und Arseni Jazenjuk vorbereiten. Wellmann begründete in SPIEGEL ONLINE die unappetitliche Connection ziemlich unverblümt: „Wir wollen deren Geld, um unsere Arbeit zu machen. Wir können die Ukraine nicht ohne oder gegen die Oligarchen reformieren.“ Sein SPD-Kollege Niels Annen sekundierte: „Wir müssen alles dafür tun, dass die reformbereiten Kräfte in der Ukraine in die Vorderhand kommen.“ Und wir dachten immer, die würden seit den Maidan-Ereignissen in Kiew regieren …? Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.
Günter Hayn
James Taylor in Düsseldorf
Bei der Mitsubishi Electric Halle, den meisten Rheinländern noch unter ihrem nicht viel besseren Namen Phillipshalle bekannt, ist der Name Programm. Sehr funktional und mit dem Charme eines Großlagers. Jedenfalls nicht sehr adäquat für die Musik, die James Taylor dort am 4. März spielt. Da scheinen die nächsten Stationen seiner noch bis Ende April andauernden Europatournee wie das L´Olympia in Paris oder das Gewandhaus in Leipzig besser zu passen.
Dennoch: mit seiner Mischung aus einigen neuen, noch unveröffentlichten Songs und einer Auswahl seiner Klassiker versteht es Taylor, Atmosphäre auch in eine Messehalle zu bringen.
James Taylor, inzwischen 66, gilt seit seinem ersten Erfolgsalbum „Sweet Baby James“ von 1970 als Begründer der Singer-Songwriter-Ära und war stets ein Vertreter der leisen Töne. Der fünffache Grammy-Gewinner besticht auch in Düsseldorf durch seine sonore Baritonstimme und ein prägnantes FingerPicking auf der akustischen Gitarre. Unterstützt wird er auf der laufenden Tour durch eine hervorragende Band, unter anderem mit Larry Goldings an den Keyboards, der Taylor schon als „One Man Band“ auf dem gleichnamigen Live Album unterstützte. Etwas ganz Besonderes ist auch das Spiel der 70-jährigen Drummer-Legende Steve Gadd, der auf Platten diversester Rock- und Jazzgrößen Bahnbrechendes geleistet hat.
Taylor stellt jedes seiner Bandmitglieder im Laufe des Abends persönlich und sehr wertschätzend vor. Überhaupt besticht er durch seine freundliche Art und nimmt das Publikum durch seine gelassene, in sich ruhende Haltung ganz für sich ein. Das Gefühl, einen glücklichen Menschen vor sich auf der Bühne zu haben, der seine Musik liebt, überträgt sich schnell auf den Zuhörer. Bemerkenswert auch, dass Taylor in der 20-minütigen Pause am Bühnenrand sitzt und Autogramme gibt, etwas, das zumindest dem Rezensenten von keinem anderen Künstler dieser Klasse bekannt ist. Mit dem Groove des ersten Songs nach der Pause holt die Band ihren Chef langsam vom Bühnenrand ans Mikrofon zurück. Das Publikum dankt ihm die Nähe und Songs wie „Fire and Rain“, „Mexico“ oder „Your Smiling Face“ mit langanhaltendem Applaus.
Ganz am Schluss – die Crew will schon mit dem Abbau beginnen – winkt Taylor die Band nochmal zu sich und spielt den Song, für dessen Originalfassung von 1971 er Carole King auf der Gitarre begleitet hatte und der an diesem Abend nicht fehlen durfte: „You‘ve got a Friend“. Mit dem Gefühl, einen Freund auf der Bühne getroffen und Lieder, die einem so vertraut wie Freunde sind, gehört zu haben, verlässt das Publikum die Halle, die sich zwischenzeitlich wie ein Wohnzimmer angefühlt hat.
Wolfgang Hochwald
Bananenrepublik oder – Thüringen ist überall
Bei der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft steht Gerd Schuchardt, 72, seines Zeichens ehemaliger SPD-Fraktionschef im örtlichen Landtag, Ehrenbürger der Stadt Jena und Träger des Thüringer Verdienstordens, im Verdacht, im November 2014 einem Abgeordneten seiner Partei einen Ministerposten versprochen zu haben, wenn der bei der Wahl des Ministerpräsidenten nicht für den Kandidaten der Linken, Bodo Ramelow, stimmte. Der Coup soll mit der CDU abgesprochen gewesen sein, die im Falle eines Scheiterns von Ramelow sehr wahrscheinlich den Kabinettschef in einer großen Koalition mit der SPD gestellt hätte. Beides ist bekanntlich nicht passiert.
Trotzdem: Einem Abgeordneten was versprechen, um dessen Wohlverhalten zum Schaden Dritter zu erkaufen – das klingt dem normalen Menschenverstand tatsächlich nach versuchter Bestechung. Der Paragraf 108e des Strafgesetzbuches „Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern“ stellt für dergleichen eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe in Aussicht und definiert den entsprechenden Täter – im schönsten Juristensprech – als jemanden, der „einem Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für dieses Mitglied oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass es bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse“. Soweit hatten offenbar auch die Staatsanwälte in Erfurt gelesen und waren dann tätig geworden. Pech für die Kuh Elsa allerdings, denn der Paragraf 108e war zwar erst im vergangenen Jahr erweitert worden, aber leider auch um Ausnahmetatbestände. Als ein solcher, also gerade als kein ungerechtfertigter Vorteil gilt seither – „ein politisches Mandat oder eine politische Funktion“. Chapeau! Als hätte der Gesetzgeber die Thüringer Causa direkt vor Augen gehabt.
Der Genosse Schuchardt hat also nichts zu befürchten. Da kann Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, noch so oft wettern, dass die besagte Ausnahme im Gesetz „in geradezu karikaturhafter Weise Vorurteile gegen den professionellen Politikbetriebe“ bestätige. Das geht den Mandatskrähen, wenn sie sich gegenseitig gerade mal wieder kein Auge aushacken, doch an den Federn ums Gesäß vorbei …
Corbinian Senkblei
Knall und Rauch
Spiegel Online berichtet: „Juncker fordert Aufstellung einer europäischen Armee“ und zitiert den Mann: „Eine solche Armee würde uns helfen, […] gemeinsam die Verantwortung Europas in der Welt wahrzunehmen“ und „außenpolitisch scheint man uns nicht ganz ernst zu nehmen“. Uns? Wenn man ihn und seine Amtsbrüder „nicht ganz ernst nimmt“, sind bessere Lösungen vorstellbar.
Günter Krone
Die eigentliche Härte
Ein Kapuziner begleitete einen Schwaben bei sehr regnichtem Wetter zum Galgen. Der Verurteilte klagte unterwegs mehrmal zu Gott, daß er, bei so schlechtem und unfreundlichem Wetter, einen so sauren Gang tun müsse. Der Kapuziner wollte ihn christlich trösten und sagte: Du Lump, was klagst du viel, du brauchst doch nur hinzugehen, ich aber muß, bei diesem Wetter, wieder zurück, denselben Weg. – Wer es empfunden hat, wie öde einem, auch selbst an einem schönen Tag, der Rückweg vom Richtplatz wird, der wird den Ausspruch des Kapuziners nicht so dumm finden.
Heinrich von Kleist
Anekdote
Titel von der Redaktion
Blätter aktuell
In aller Regel wird der Islamische Staat nur mit seinen barbarischen Tötungsmethoden assoziiert. Dabei ist er hochmodern und „innovativ“, wie die italienische Terrorismusexpertin und Ökonomin Loretta Napoleoni aufzeigt. Organisiert wie ein multinationaler Großkonzern schafft es der IS wie keine bewaffnete Organisation vor ihm, den Schritt in Richtung des modernen Nation Buildings zu gehen und, mit Peitsche und Zuckerbrot, auch die Zustimmung der Bevölkerung für das Terror-Kalifat zu sichern.
Das Phänomen Pegida hat Entsetzen, aber vor allem immense mediale Neugierde ausgelöst. Schließlich gingen scheinbar wie aus dem Nichts Zehntausende „normale Bürger“ auf die Straße, um zum Teil stramm rechte Parolen zu skandieren. Der Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey nimmt die Bewegung genau unter die Lupe. Sein Befund: Pegida ist nicht in erster Linie rechtsextrem, sondern das Produkt einer hoch nervösen, neoliberal geprägten Mitte, in der die Affektkontrolle immer mehr verwildert und die Sehnsucht nach autoritärer Führerschaft wächst.
Krisen sind dem Kapitalismus inhärent; dennoch ist er über bald zwei Jahrhunderte stets erneuert aus ihnen hervorgegangen. Das Neue unserer Zeit besteht nach Ansicht des Soziologen Wolfgang Streeck darin, dass sich der Marktkapitalismus nun tatsächlich auf sein Ende zubewegt. Seit der neoliberalen Offensive der 1970er Jahre hat er sich selbst immer stärker geschwächt und zugleich von demokratischer Einflussnahme abgeschottet. Es gelte daher heute über einen Schlusspunkt des Kapitalismus nachzudenken – ohne direkt die Frage beantworten zu wollen (oder zu können), was an seine Stelle treten soll.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Nahost: Der unlösbare Knoten“ und „TTIP: Politik gegen den Bürger“.
am
Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, März 2015, Einzelpreis: 10,00 Euro, Jahresabonnement: 84,60 Euro (Schüler & Studenten: 67,20 Euro). Weitere Informationen im Internet.
Reisewarnung
Die Loreley überm Rheine
verlangt jetzt vom Publikum bar
für ihren Gesang ein ganz schweine-
mäßiges Honorar.
Sie strippt aber auch auf der Spitze
des Berges über dem Fluss
und bringt die Betrachter in Hitze
mit ihren heißen Dessous.
Sie hält nichts von Heines Gedichten
und fordert: „Wer zuhört und gafft,
muss hundert Euro entrichten.“
Das tut uns die Marktwirtschaft.
Günter Krone
Postbankert
Als jemand, dessen Kontostände sehr zur Übersichtlichkeit neigen und zwischenzeitlich auch schon mal knapp ins Rote driften, hat mir meine Bank, die Postbank, nun aber mit einem Brief Mut gemacht.
Denn dem „Sehr geehrten Herrn“, also mir, gegenüber schätzt man sich glücklich, ein wundervolles Angebot machen zu können: Eine POSTBANK VISA SHOPPING CARD. Mit einer solchen – „im In- und Ausland gern gesehen“ – könne ich meine Ausgaben auf mehrere Monate verteilen, müsse monatlich also „nur einen kleinen Teil“ meiner Einkäufe bezahlen. „So macht Shoppen noch mehr Spaß“, weiß meine Bank ebenso mitfühlend wie zuverlässig mitzuteilen. Und dann noch die Verheißung: „Mit der Postbank VISA Shopping Card werden auch größere Ausgaben ganz einfach bezahlbar.“
Media-Markt unterstellt seinen Kunden bekannter Maßen, „nicht blöd“ zu sein. Es sei mal dahin gestellt, inwieweit das zutrifft, aber die dem Hause mit der staatsanwaltlich belangten Führungsspitze, also der Deutschen Bank, zugehörige Postbank legt es offenbar geradezu auf nachhaltig verblödete Kunden, bei denen zwei mal zwei nicht vier, sondern Postbank lautet – und das zugehörige Motto: Verschulde sich, wer kann, und zwar gefälligst auf Teufel komm‘ heraus!
Helge Jürgs
Er ist’s
Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süsse, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist‘s!
Dich hab‘ ich vernommen!
Eduard Mörike
(1804-1875)
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