von Waldemar Landsberger
Die SPD möchte manchmal den Eindruck erwecken, als wolle sie vielleicht doch – wenigstens eines Tages – wieder den Kanzler stellen. Und sich nicht mehr hinter der „Mutti“ verstecken. Dann wird das Thema: „Rot-Rot-Grün“ oder „r2g“ aufgerufen. Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein, der eigentlich Ministerpräsident im Hohen Norden werden wollte, aber dem Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig inner-SPD-lich unterlag, der nun Ministerpräsident Schleswig-Holsteins ist und gerade straßenbausteuerlichen Unsinn redet, nur um im Fernsehen vorzukommen, dieser Stegner ist jetzt eine Art z.b.V. des SPD-Vorstandes für Linken-Fragen. Ursprünglich war er ein selbsterklärter SPD-Linker, der keine Gelegenheit ausließ, der Partei Die Linke zu erklären, sie sei gar keine linke Partei und hindere die SPD nur daran, links zu sein oder zumindest so auszusehen. Wer also wirklich links wählen wolle, der solle SPD wählen, denn dann sei die Stimme gut aufgehoben und könne beim Mitregieren helfen. Er, der Stegner, stehe dabei für das eigentlich Linke.
Nun war das bei der Bundestagswahl 2013 nicht so recht aufgegangen, die SPD landete bei 25,7 Prozent der Stimmen, die Grünen waren mit 8,4 Prozent weit abgeschlagen – und für SPD-grün reichte es definitiv nicht. Mutti erreichte 41,5 Prozent. Deshalb die offizielle Entscheidung der SPD, einerseits in die GroKo mit den Christdemokraten zu gehen und andererseits die Linke nun nicht mehr wie zuvor zu verunglimpfen. Man werde gegebenenfalls prüfen, neue Wege zu gehen, die mit r2g zu tun haben.
Aber zuerst müsse die Linke sich ändern. Das war ein altes Lied in der SPD, das bereits in den 1990er Jahren angestimmt wurde. Das beträfe vor allem und zuerst die Außenpolitik. Da wurden meist drei Bedingungen genannt: Die Linke – damals noch die PDS – müsse sich mit beiden Beinen fest auf den Boden der NATO stellen, sich positiv auf die Europäische Union beziehen und die USA lieben, zumindest die „transatlantischen Beziehungen“ gut finden und für unverzichtbar halten. Wer diese drei Grundbedingungen nicht erfülle, könne nicht mitregieren in diesem Deutschland. Das aber möchten manche auch in der Linken, zu welchem Ende auch immer.
Im April nun stand ein neuartiges Mandat an: die in Syrien eingesammelten Chemiewaffen werden auf dem Seeweg abtransportiert, auf einem Spezialschiff unterwegs unschädlich gemacht und dann vernichtet. Die Bundesregierung hatte sich anheischig gemacht, eine deutsche Fregatte abzustellen, die das Spezialschiff „beschützen“ solle, damit die Chemiewaffen nicht in die Hände der Taliban, der Mafia oder welcher bösen Kräfte auch immer fallen. Nun kreuzen im Mittelmeer natürlich die verschiedensten Kriegsschiffe, und dass die USA mit ihrer Flotte nicht imstande sein sollten, den militärischen Begleitschutz für das Spezialschiff bereitzustellen, ist kaum vorstellbar. Dennoch, die deutsche Fregatte wurde im Bundestag zur Abstimmung gestellt, nach der Devise: Wer dem Einsatz nicht zustimmt, ist nicht wirklich für Frieden und Abrüstung, und wer zustimmt, anerkennt de facto, dass es gute Militäreinsätze im Ausland gibt.
So diskutierte die Linke denn auch. Die einen wollten partout nicht gegen die Abrüstung sein, die anderen sahen die schiefe Bahn, auf der dann auch die Linke in die Kriegseinsätze schlittert, und der Idee des Großen Vorsitzenden, sich geschlossen zu enthalten, wollten weder die einen noch die anderen folgen. So wurde es eine freie Entscheidung, bei der jede und jeder dem Gewissen folgen können sollte. Am Ende stimmten fünf Abgeordnete mit Ja, 35 mit Nein und 18 enthielten sich; sechs Abgeordnete waren aus unterschiedlichen Gründen nicht zugegen. Damit hatte die Mehrheit der Fraktion dagegen gestimmt, der Beschlusslage von Parteiprogramm und verschiedener Parteitage sowie deren enger Auslegung folgend, eine ziemlich kleine Minderheit – gemeinsam mit der großen Mehrheit der anderen Parteien – dafür und die anderen ein enthaltsames Gewissen.
Aber bedeutet denn dies bereits einen Kurswechsel? Eine Interpretation könnte so gehen: Die Dafür-Stimmer und eine Stimmerin kommen alle aus dem Osten. Dietmar Bartsch und Roland Claus haben schon bei der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik gelernt, dass der Munitionsbunker bewacht werden muss. Wie zu Lande, so auch zu Wasser. Michael Leutert, der seinen Wehrdienst aus Gründen später Geburt erst nach der deutschen Vereinigung absolviert hat, dürfte dasselbe gelernt haben. Katrin Kunert, Jahrgang 1964, wird so etwas auch bei der obligatorischen Zivilverteidigungs-Ausbildung an der Ingenieurhochschule gehabt haben. Und Stefan Liebich, der geläutert auf seiner Webseite mitteilt, schon mit 13 Jahren freudig dem Werben der Staatssicherheit der DDR Folge geleistet zu haben (aber nun glücklich ist, dies wegen der Gnade der späten Geburt nicht habe einlösen zu müssen), weiß seit damals aber noch, dass das Gute in der Welt Schild und Schwert braucht. So könnte die Gewissensentscheidung dieser Fünf eine ziemlich klare biographische Grundlage haben.
Eine andere Interpretation könnte sein, dass Stefan Liebich als Mundwerk des „Forums Demokratischer Sozialismus“, der „Reformer“-Strömung in der Linkspartei, den SPD-Genossen ein Zeichen geben wollte. Dietmar Bartsch, zweimal durchgefallener, selbstgefühlt künftiger Parteivorsitzender, konnte dem nicht nachstehen und wollte mannhaft beweisen, dass er auch ein Gewissen hat. Wenn das das Gemeinte war, ist es ziemlich in die Hose gegangen. Fünf Stimmen von 64 oder abgegebenen 58 sind recht kärglich. Vor allem, wenn zu lesen ist, Liebich habe anschließend gesagt, in allen drei Fraktionen – gemeint sind SPD, Grüne und Linke – gäbe es „eine Mehrheit, die an der Option Rot-Rot-Grün arbeiten möchte“. Kann er nicht zählen? Oder haben wir eine neue Interpretation von Mehrheitsverhältnissen?
Fremdkommentare ließen nicht lange auf sich warten. Die DKP-Genossen teilten flugs mit, nun seien sie die einzige „100-prozentige Friedenspartei“. Und der Zug des deutschen Kommunismus endlos aus Nächtigem quillt und den faulenden Kapitalismus in seinen Grundfesten erschüttert! SPD-Oppermann, der schwatzhafte, der den GroKo-„Partner“ Friedrich von der CSU über die Klinge springen ließ, dieser Thomas Oppermann nannte die außenpolitische Positionierung der Linkspartei „unverantwortlich“: „In einem Land wie Deutschland kann man nur eine Regierung mit Partnern bilden, mit denen außenpolitisch und europapolitisch ein Grundkonsens besteht.“ Das sei bei der Linkspartei nicht der Fall.
Dabei hat er das Kriterium noch einmal neu definiert, nicht mehr die drei oben genannten, von denen die Sozialdemokraten schon lange reden, sondern nur noch eines: „die Westbindung“. Das meint viel mehr, als dass nur mitregieren darf, wer auch mitschießt. Das meint Regieren im Dienste der Interessen des deutschen Kapitals und seiner globalen Interessen. Eine alternative Politik ist da nicht vorgesehen. Nur: eine Linke, die nur noch fünf Stimmen hat, nutzt der SPD für die Kanzlermehrheit auch nichts. Und sie selbst gewinnt in der GroKo nichts hinzu. Ganz zu schweigen davon, ob die Grünen r2g überhaupt noch wollen. Oder lieber doch zu Mutti laufen.
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