16. Jahrgang | Nummer 8 | 15. April 2013

Bemerkungen

Endlich versöhnliche Töne!

Das Jahr 2013 steht unter dem Motto „Zerstörte Vielfalt“. Gemeint sind die kulturellen Kahlschlagsorgien der Nazis 1933 und die Novemberpogrome 1938. Die Zeitungen feuilletonieren wortreich vor sich hin. Berliner Museen geben sich viel Mühe, um das düstere Thema möglichst ansprechend unter die Leute zu bringen. So auch das Jüdische Museum. Das ist auf die sinnreiche Idee gekommen, mit einem ironischen Plakat für die neue Ausstellung zu werben und damit die arglosen Gemüter der Berliner zu verwirren. „Die Juden sind an allem schuld!“ liest man da, und: „Die ganze Wahrheit über die Juden!“
Zwei Berliner Schulmädchen, vielleicht 13, stehen sinnierend vor dem Plakat.
Meint die eine: „Die Juden sind an allem schuld… müssen komische Freaks sein, diese Juden.“
Die andre wiegelt ab: „Also ick hasse die nich. Ick weeß ja nich mal, wat die uns angetan haben.“
Treffender und prägnanter man kann das Verhältnis der Deutschen zu den Juden wirklich nicht zusammenfassen.

Matthias Käther

Deutschlands Sicherheit … am Hindukusch …

Mit etwas Abstand sieht man die Dinge in der Regel nüchterner als während des Geschehens selbst und ist dann bisweilen sogar geneigt, der Wahrheit die Ehre zu geben. Ein schönes Beispiel dafür fand sich dieser Tage in einem Interview des Ex-Basta-Bundeskanzlers Gerhard Schröder, in dem es unter anderem um den Afghanistan-Krieg ging:
„SPIEGEL: Sie haben als legitime Gründe für ein militärisches Eingreifen die Bündnissolidarität und humanitäre Erwägungen genannt. Warum nicht auch deutsche Sicherheitsinteressen?
Schröder: Welche meinen Sie?
SPIEGEL: Ihr kürzlich verstorbener Parteifreund, der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck, hat gesagt: Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.
Schröder: Das war der Versuch, eine weitere Begründung zu schaffen. Ich möchte das aus Respekt vor Peter Struck nicht weiter kommentieren.“ Das hat sich dann ja auch wirklich erübrigt.

Alfons Markuske

WeltTrends aktuell

„Wir wollen Russland als Partner“, stellte jüngst Außenminister Westerwelle fest. Das ist anspruchsvoll. Ein Blick zurück genügt, um zu sehen, dass Russland und wir in der Vergangenheit ein häufig schwieriges Verhältnis hatten. Nach dem Ende des Kalten Krieges sollte es anders werden. Wie steht es im Hier und Jetzt um die deutsch-russischen Beziehungen? In WeltTrends ziehen russische und deutsche Autoren eine kritische Bilanz, die konstruktive Anregung sein sollte, über die Zukunft dieser Beziehungen, die weit über das Bilaterale ausstrahlen, nachzudenken.
In der Rubrik WeltBlick – Entwicklungen in Südkorea, Japan, der Côte d’Ivoire und Polen sowie die schwierige Beziehung Großbritanniens zur EU. Im Porträt: Alexandra Kollontai, die als erste Botschafterin Sowjetrusslands den stalinschen Terror überlebte. Die Analyse geht der Frage nach, ob die Klimadiplomatie gescheitert ist, und der Zwischenruf fragt: Drohnen – The Smart Art of Killing? Auf dem neuen Streitplatz schließlich wird diskutiert: Was wird aus dem Westen?

WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 89 – März / April 2013 (Schwerpuntthema: Russland und Wir), Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet: www.welttrends.de.

Ein Trommler mit kaputtem Tischtennisball

In den 60er oder 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass der Schlagzeuger progressiver Rockbands bei einem Konzert seine (Solo-)Künste bei einer längeren Vorführung demonstrieren durfte. Klassiker in dieser Hinsicht sind sicherlich „In-A-Gadda-Da-Vidda“ von Iron Butterfly (an den Drums: Ron Bushy) , „Moby Dick“ von Led Zeppelin (an den Drums: John Bonham) oder „The Mule“ von Deep Purple (an den Drums: Ian Paice).
Und auf der anderen Seite ist es gerade im Jazzbereich nicht unüblich, dass der Schlagzeuger „Bandchef“ spielt und eine Handvoll Musiker um sich schart. Charly Antolini, Billy Cobham oder Buddy Miles sind international renommierte Adressen, hierzulande ist beispielsweise Wolfgang Haffner hervorzuheben.
Sehr ungewöhnlich ist es dann aber, wenn ein Schlagzeuger eine komplett solo eingespielte CD vorlegt. Dies tat der Nürnberger Werner Treiber mit seiner Erstlingsveröffentlichung „Beyond Backbeat“.
Sein berufliches Standbein ist eine Dozentur an der Musikschule der Dürer-Stadt, und mit dem Spielbein ist Musiker in diversen Kombinationen, auch mit Ausflügen in andere künstlerische Gefilde wie Theater.
Auf „Beyond Backbeat“ nutzt er nicht nur das klassische Drum-Set. Er setzt zusätzlich auf allerlei Gegenstände wie Lineale, Einweckgummi oder einem kaputten Tischtennisball. Aber auch Wasch- und Zirkustrommel oder eine Styroporverpackung gehören zum illustren Instrumentarium des Musikers.
Sein skurriler Einfallsreichtum mündet jedoch nicht in schrägen musikalischen Darbietungen. Vielmehr präsentiert Werner Treiber elf Stücke in höchster rhythmischer Perfektion. Dabei ist sein enormer Spielwitz unverkennbar beziehungsweise nicht zu überhören. Es mag deshalb auch nicht zu verwundern, wenn ein Stück von Frank Zappa, einem der größten Kreativ- und Querköpfe im Musikgeschäft, inspiriert ist. Wer weiß, vielleicht fühlt sich der eine oder andere Hörer animiert, im eigenen Haushalt mehr rhythmischen Takt zu Gehör zu bringen …?! Werner Treiber liefert die professionelle Anleitung hierfür.

Thomas Rüger

Werner Treiber: Beyond Backbeat, Edition Metropolmusik, 2012, 15,00 Euro
(www.edition-metropolmusik.de/Werner Treiber – Beyond Backbeat.html)

Kron(e)juwelen

Superlot
Gegenwärtig wird wieder darüber debattiert, ob die Bezüge der Bundestagsabgeordneten erhöht werden oder nicht. In der Vergangenheit hat diese Debatte immer mit einer Erhöhung geendet. Da darf sich keiner wundern, wenn bei Bundestagsdebatten eine Menge Stühle im Plenarsaal leer sind. Die Damen und Herren Abgeordneten sind mit Geldzählen beschäftigt

Errorismus
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung „hat Präsident Hamid Karsai scharfe Kritik am westlichen Einsatz in Afghanistan geübt. Dem Antiterrorkampf mangle es an einer nach-vollziehbaren Strategie“. Offenbar hat man ihm auch weisgemacht, den Amerikanern ginge es in Afghanistan um Terrorbekämpfung, und der hat das geglaubt. Deshalb sei ihm das Buch Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie von Chalmers Johnson empfohlen. Der kürzlich verstorbene Autor hat als Professor mehrere Jahrzehnte an amerika­ni­schen Eliteuniversitäten politische Wissenschaften gelehrt, war außerdem jahrelang Berater der CIA und mithin alles andere als etwa ein Amerikahasser, aber gewiss ein Amerikakenner. In dem Buch ist zu lesen: „Mit dem Ziel, die ölreiche Region des südlichen Eurasiens unter ihre Hegemonie zu bringen, haben die USA im Kosovo, im Irak, in Afghanistan, Pakistan und Zentralasien Außenposten errichtet. Der einzige Staat, der Washington in seiner Sammlung – noch – fehlt, ist der Iran. Ziel dieser Hegemonialpolitik ist und war niemals, den Terrorismus zu bekämpfen, den Irak zu befreien oder einen Dominoeffekt der Demokratisierung im Nahen und Mittleren Osten auszulösen, oder welche Vorwände die Militaristen in Washington auch immer vorbringen mögen, Es ging allein um das Erdöl, um Israel und um die Innenpolitik – und natürlich darum, der selbst erwählten Bestimmung Amerikas als das Neue Rom gerecht zu werden.“ Gehobene Persönlichkeiten, bei denen robuste Ignoranz die Grundlage effektiver Funktionsausübung ist, sollten die Lektüre meiden.

Günter Krone

Quelle: Chalmers Johnson: Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie, Goldmann Verlag, München 2004.

Nimmer rühre an den Schlaf der Welt – ?

Kandaules:
Das Wägen ist an ihr! –
Auch fühl ich’s wohl, ich habe schwer gefehlt,
Und was mich trifft, das trifft mich nur mit Recht.
Das schlichte Wort des alt-ehrwürd’gen Dieners
Hat mich belehrt. Man soll nicht immer fragen:
Was ist ein Ding? Zuweilen auch: was gilt’s?
Ich weiß gewiß, die Zeit wird einmal kommen,
Wo alles denkt, wie ich; was steckt denn auch
In Schleiern, Kronen oder rost’gen Schwertern,
Das ewig wäre? Doch die müde Welt
Ist über diesen Dingen eingeschlafen,
Die sie in ihrem letzten Kampf errang,
Und hält sie fest. Wer sie ihr nehmen will,
Der weckt sie auf. Drum prüf er sich vorher,
Ob er auch stark genug ist, sie zu binden,
Wenn sie, halb wachgerüttelt, um sich schlägt,
Und reich genug, ihr Höheres zu bieten,
Wenn sie den Tand unwillig fahren läßt.
Herakles war der Mann, ich bin es nicht;
Zu stolz, um ihn in Demut zu beerben,
Und viel zu schwach, um ihm es gleich zu tun,
Hab ich den Grund gelockert, der mich trug,
Und dieser knirscht nun rächend mich hinab.

Gyges:
Nein! Nein!

Kandaules:
So ist’s. Auch darf’s nicht anders sein!
Die Welt braucht ihren Schlaf, wie du und ich
Den unsrigen, sie wächst, wie wir, und stärkt sich,
Wenn sie dem Tod verfallen scheint und Toren
Zum Spotte reizt. Ei, wenn der Mensch da liegt,
Die sonst so fleiß’gen Arme schlaff und laß,
Das Auge fest versiegelt und den Mund
Verschlossen, mit den zugekrampften Lippen
Vielleicht ein welkes Rosenblatt noch haltend,
Als wär’s der größte Schatz: das ist wohl auch
Ein wunderliches Bild für den, der wacht
Und zusieht. Doch, wenn er nun kommen wollte,
Weil er, auf einem fremden Stern geboren,
Nichts von dem menschlichen Bedürfnis wüßte,
Und riefe: hier sind Früchte, hier ist Wein,
Steh auf und iß und trink! Was tätst du wohl?
Nicht wahr, wenn du nicht unbewußt ihn würgtest,
Weil du ihn packtest und zusammendrücktest,
So sprächst du: dies ist mehr, als Speis und Trank!
Und schliefest ruhig fort bis an den Morgen,
Der nicht den einen oder auch den andern,
Nein, der sie alle neu ins Dasein ruft!
Solch ein vorwitz’ger Störer war ich selbst,
Nun bin ich denn in des Briareus Händen,
Und er zerreibt das stechende Insekt.
Drum, Gyges, wie dich auch die Lebenswoge
Noch heben mag, sie tut es ganz gewiß
Und höher, als du denkst: vertraue ihr
Und schaudre selbst vor Kronen nicht zurück,
Nur rühre nimmer an den Schlaf der Welt!
Und nun – […]

Aus: Christian Friedrich Hebbel: Gyges und sein Ring – Kapitel 7.

Wirsing

Obwohl es anerkanntermaßen extrem umweltschädlich ist, werden nach wie vor viele Produkte in Plastetüten (westdeutsch: Plastiktüten) angeboten. Man kann dem kaum entgehen. Neulich erwarb ich Nikis (neudeutsch: T-Shirts), natürlich in einer Plastetüte, auf der zu lesen war: „Achtung Erstickungsgefahr. Diese Tüte bitte fernhalten von Kleinkindern und Kindern“. Angebracht wäre sicherlich auch der Warnhinweis: „Achtung, nicht lesen! Gefahr von Deutsch-Fehlern für Lernende und Schüler!“

Fabian Ärmel