von Jürgen Rose
Diese Rede hielt der dem Darmstädter Signal angehörende ehemalige Bundeswehr-Oberstleutnant Jürgen Rose am 26. Juni 2012 auf dem Odeonsplatz in München – anlässlich eines Beförderungsappells von studierenden Offizieren der Universität der Bundeswehr München im Münchner Hofgarten.
Die Redaktion
Sehr geehrte Versammelte, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Es freut mich sehr, dass Sie heute hier so zahlreich erschienen sind, um für den Frieden auf der Welt und gegen neomilitaristisches Brauchtum und revitalisierten Heldenkult im öffentlichen Raum zu demonstrieren. In den gegenwärtigen Zeiten des Krieges, in denen deutsche Soldaten wieder töten und sterben, bedarf das Militär mehr noch als in Friedenszeiten gesellschaftlicher Akzeptanz sowie politischer Legitimation. Soldaten brauchen die enge Verbindung mit der Gesellschaft. Soldaten wollen geliebt werden dafür, dass sie bereit sind, Leben und Gesundheit hinzugeben für die Gemeinschaft.
Die Publizistin Cora Stephan spricht in ihrer Abhandlung über das „Handwerk des Krieges“ von der „Kommunion“ zwischen Kriegern und Volk. „Gerade in einer Demokratie“, so stellt sie fest, „erscheint es undenkbar, von Soldaten … zu erwarten, dass sie ihr Leben riskieren, ohne dass sie sicher sein können, dass ihr ,Opfer’ der Gesellschaft auch etwas ,wert’ ist.“
Genau diesem Zweck gilt ein Zeremoniell wie der momentan nebenan im Hofgarten zelebrierte Beförderungsappell für die Offiziere der Universität der Bundeswehr München. Freilich muss auch die Heimatfront geschlossen stehen. Denn von deutschem Boden geht entgegen völkerrechtlich verbindlich abgegebener Zusicherungen wieder Krieg, ja sogar Angriffskrieg aus. Deutsche Soldaten kämpfen, töten und sterben für das Bündnis mit den USA, für den Fortbestand der NATO, für mehr politisches Gewicht Deutschlands auf der Weltbühne und nicht zuletzt für Wirtschaftsinteressen, wie Kriegsminister Thomas de Maizière nicht müde wird zu betonen.
Schon im „Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr“ aus dem Jahr 2006 steht zu lesen, dass „die Sicherheitspolitik Deutschlands von … dem Ziel geleitet wird, die Interessen unseres Landes zu wahren“, worunter insbesondere fällt, „den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern“, nota bene: unseres Wohlstandes!
Und laut den ganz aktuellen „Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR)“ aus dem Hause de Maizière vom Mai letzten Jahres gehört es zu den deutschen Sicherheitsinteressen, nicht nur ganz allgemein „außen- und sicherheitspolitische Positionen nachhaltig und glaubwürdig zu vertreten und einzulösen“, was immer unter diesem „Container-Begriff“ zu verstehen sein mag, sondern auch ganz konkret „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen“.
Gerade im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt muss der unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges begonnene Reform- und Transformationsprozess, dem das deutsche Militär unterzogen wird, zu erheblichen Zweifeln Anlass geben. Gemäß der Devise, dass „Waffen ja, schießen nein“ eigentlich ohnehin keinen Sinn mache und Frieden durchaus auch mit aller Gewalt geschaffen werden müsse – denn für den Brunnenbau hätten wir ja schließlich das THW – tritt mittlerweile das strategische Ziel des strukturellen Umbaus immer klarer hervor: nämlich die Kriegführungsfähigkeit der Bundeswehr zu steigern – mindestens 10.000 SoldatInnen sollen zukünftig zeitgleich dauerhaft in zwei Auslandseinsätzen und einer Marinemission eingesetzt werden können. Zugleich spiegelt sich der sicherheitspolitische Paradigmenwechsel weg von der Defensive und hin zur Offensive auch in den systematischen Rüstungsbeschaffungsprogrammen zur Optimierung globaler Interventions- und Angriffsfähigkeit wider.
Phraseologisch verbrämt wird die neue deutsche Sicherheitspolitik im offiziellen Jargon des Bundesministeriums der Verteidigung mit Parolen wie jener, dass „von der Nation fortan erwartet“ werde, „vermehrt internationale Verantwortung zu übernehmen“. Oder wie der deutsche Kriegsminister tönt: „Es ist ehrenvoll, in deutscher Uniform für eine bessere, gerechtere, freiere und sichere Welt einzutreten. Darauf können wir in aller Bescheidenheit stolz sein.“
Wie das Ergebnis solch ehrenvollen und heldenhaften Tuns mitunter aussieht, ließ sich etwa in Kunduz besichtigen, wo am Morgen nach der Bombennacht des 5. Septembers 2009 an die 100 afghanische Männer, Jugendliche und Kinder zerfetzt, verstümmelt, verbrannt, krepiert als Opfer eines schneidigen Bundeswehrobersts auf dem Feld der Ehre lagen. Ob der amtierende Kriegsminister dies meint, wenn er vor dem Deutschen Bundestag die Maxime „Wohlstand erfordert Verantwortung“ propagiert?
Hinter der propagandistischen Fassade tritt dagegen unverblümt die nackte Macht- und Interessenpolitik hervor, wenn aus dem Berliner Bendlerblock erschallt: „Wir haben ein nationales Interesse am Zugang zu Wasser, zu Lande und in der Luft.“ Mit ihrem penetrant neokolonialistischen bis imperialistischen Unterton kontrastieren derartige Programmaussagen auffällig mit den Vorgaben aus höchstrichterlichem Munde, denn in einem epochalen Urteil aus dem Jahr 2005 hatte das Bundesverwaltungsgericht besonders herausgestrichen, dass „der Einsatz der Bundeswehr ‚zur Verteidigung’ mithin stets nur als Abwehr gegen einen ‚militärischen Angriff’ … erlaubt [ist], jedoch nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen“.
In Anbetracht dessen drängt sich die Frage nachgerade auf, inwieweit die Sicherheitspolitik dieser Republik den Boden des Grundgesetzes nicht längst verlassen hat, wenn es denn realiter um nichts anderes geht, als die Durchsetzung der Globalisierung mit militärischen Gewaltmitteln, vulgo: Wirtschaftskrieg für die Profitinteressen der heimischen Produzenten.
Neu ist letzteres keineswegs, denn wie konstatierte bereits im Jahre 1925 Kurt Tucholsky so zutreffend: „Der moderne Krieg hat wirtschaftliche Ursachen.“ Und, so der scharfzüngigste Friedensjournalist Deutschlands weiter: „Die Möglichkeit, ihn vorzubereiten und auf ein Signal Ackergräben mit Schlachtopfern zu füllen, ist nur gegeben, wenn diese Tätigkeit des Mordens vorher durch beharrliche Bearbeitung der Massen als etwas Sittliches hingestellt wird.“
Zu diesem Behufe lässt sich die Kaste der schwarz, rot, grün und manchmal gelb gewandeten Hohepriester des globalen Interventionismus‘ getreu ihrer Maxime: Frieden schaffen mit aller Gewalt, so einiges einfallen. Feierliche Zapfenstreiche, öffentliche Gelöbnisse und Offizierbeförderungsappelle beispielsweise, wodurch dem Militär die Gelegenheit verschafft wird, zur spießbürgerlichen Erbauung im demokratischen Raum seine anachronistischen Rituale zu zelebrieren und zugleich Kanonenfutter für die künftigen Kriege anzuwerben. Denn viele neue Helden braucht das Land. Und diese neuen Helden brauchen neue Orden. Zwar existierte zuvor durchaus schon eine Auszeichnung, mit der „unter Gefahr für Leib und Leben“ erbrachte, „besonders herausragende Leistungen, insbesondere hervorragende Einzeltaten“ gewürdigt werden konnten, nämlich eine besondere Ausführung des „Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold“. Dies freilich war den Kriegern nicht genug; Für den in der Bundeswehr installierten neuen Kämpferkult bedurfte es eines richtigen Kriegsordens und so befindet sich nunmehr das „Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit“ im Arsenal, das unseren neuen Helden seit einiger Zeit „für außergewöhnlich tapfere Taten“ im Kriegseinsatz verliehen wird.
Aber nicht nur militärischer Tapferkeitsauszeichnungen für lebende Helden bedarf es für die Legitimation der neuen Kriege der Berliner Republik. Ergänzt wird das Repertoire durch ein Kriegerdenkmal, an dem die Berliner Offiziellen einmal jährlich staatstragend ihre Kränze zum glorifizierenden Angedenken für diejenigen abwerfen können, die das Ihnen verordnete Heldentum nicht er- und überlebt haben. Hierzu hat der vormalige Kriegsminister Franz-Josef Jung eine bronzeeloxierte Wartehalle für den Heldentod entwerfen lassen, offiziell als „Ehrenmal“ bezeichnet.
Und weil all diese Ehrenerweise für unsere schimmernde Wehr immer noch nicht genügen, ist für die Komplettierung der „heroischen“ Rundumversorgung nun auch noch ein offizieller „Veteranentag“ für ehemalige Kriegsteilnehmer in Arbeit – ganz nach dem Vorbild der USA, denn von Amerika lernen, heißt ja bekanntlich siegen lernen.
Mithin scheint nun wirklich alles getan, damit die uniformierten Handwerker des Krieges – gehirngewaschen von regierungsamtlicher Propaganda, nationalbesoffen, dressed to kill – „bereit [sind], ihr Leben und ihre Person für einen solchen Quark, wie es die nationalistischen Interessen eines Staates sind, aufs Spiel zu setzen“, wie Kurt Tucholsky einst ätzte.
Um zweierlei geht es den politkriminellen Kriegslenkern und ihren willfährigen goldbesternten Schlachtendirektoren bei ihrem Werben fürs Sterben demnach: Um das dringend benötigte Kanonenfutter sowie die breite Zustimmung der Öffentlichkeit zu den von ihnen in Szene gesetzten modernen Kolonial- und Globalisierungskriegen.
Genau deshalb sollten Demokraten, denen am Frieden und am Recht gelegen ist, gegen eine Politik aufstehen, die deutsche Soldaten weltweit in den Krieg schickt und, um hierfür Gefolgschaft zu erzeugen, den öffentlichen Raum für bellizistisches Militärbrimborium missbraucht. Dagegen protestieren wir, denn es geht um unseren Frieden und es geht um unsere Verfassung. Wir sind gefordert, als demokratische Staatsbürger und in unserer ganzen Person, beides zu verteidigen gegen die „schmutzige Zumutung der Macht an den Geist“, die einem Aperçu des großen Karl Kraus zufolge darin besteht, „Lüge für Wahrheit, Unrecht für Recht, Tollwut für Vernunft zu halten.“
Schlagwörter: Bundeswehr, Demokratie, Frieden, Grundgesetz, Helden, Heldengedenken, Jürgen Rose, Krieg