Gewiss – gemäß Etikette gratuliert man niemandem vor dessen Geburtstag. Nur ist das bei einer Vierzehntageschrift eine Crux, denn wann hat man schon das Glück, dass ein zu würdigendes Jubiläum exakt auf den Erscheinungstag fällt. Andererseits – eine nachgereichte Gratulation ist mehr als suboptimal. (Ach, kommen die jetzt auch schon aus dem Muspott?)
Als kleineres Übel bleibt da nur – die Verletzung der Etikette. In diesem Fall gegenüber dem nicht nur von uns verehrten Dieter Hildebrandt, der am 23. Mai 85 wird.
Die Blättchen-Mannschaft hat einige Kollegen und Freunde gebeten, Dieter Hildebrandt mit einigen Zeilen zu sagen, was er ihnen war und ist. Dass deren Glückwünsche auch die unseren sind, versteht sich.
„Vieles, was ich sehe, nötigt mir die Verpflichtung auf, mich nicht gehen zu lassen – im Gegenteil, die, die sich engagieren, schreiben und so weiter, die müssten mehr werden. Da kann man doch nicht einen weniger machen, indem man keine Lust mehr hat.“, hat Dieter Hildebrandt kürzlich in einem Blättchen-Gespräch über sein Motiv gesagt, trotz scheinbarer Vergeblichkeit nicht aufzugeben. Damit hat er zugleich den inneren Antrieb der Blättchen-Macher und -autoren auf den Punkt gebracht.
Margit van Ham
Wolfgang Brauer
Heinz Jakubowski
Wolfgang Schwarz
Ich habe meinen Meister gefunden
Es war sein Abschiedsabend vom „Scheibenwischer“ im Oktober 2003, der zu seinen Bedingungen stattfand: Live, keine Reden und freie Wahl der Bühnengäste. Wir haben uns alle mächtig ins Zeug gelegt und es wurde ein glanzvoller Abend im Berliner Tipi-Zelt vor sechs Millionen Fernsehzuschauern.
Im Anschluss eröffnete die rbb-Intendantin das Bankett mit einer Rede.
Statt einer routinierten Lobeshymne auf den Scheidenden servierte Frau Reim eine unverbrämte Abrechnung mit einem unbequemen Kabarettisten, die in der Bemerkung gipfelte, dass Hildebrandt mit einsetzender Altersweisheit wohl selbst merken werde, dass es höchste Zeit war, Schluss zu machen und er mit etwas Abstand dem Sender noch dankbar sein werde, dem Ganzen ein Ende gesetzt zu haben.
Es wurde kalt im Zelt und die gut dreihundert geladenen Gäste erstarrten in einer Mischung aus Entsetzen und Ratlosigkeit.
Der Einzige, der diese Rede nicht für eine Unverschämtheit hielt, war Hildebrandt selbst. Ich saß ein paar Meter schräg hinter ihm und konnte sehen, dass er aufmerksam und leicht amüsiert zuhörte. Er ging am Ende der Rede artig auf die Bühne, nahm den vergifteten Dank inklusive einer roten Rose aus den Händen der Intendantin entgegen und bedeutete ihr mit einer kleinen Handbewegung, sie solle doch bei ihm stehen bleiben, er wolle sich nur kurz bedanken.
Was folgte, war eine Generalabrechnung mit dem öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsapparat, die als Vorwort in jedem guten Handbuch für Fernsehjournalistik stehen sollte. Hildebrandts Rede war druckreif, aber improvisiert und es gibt es leider keine Aufzeichnung. Der Ton war freundlich und leise, der Inhalt schneidend und klar, kein echter und kein gespielter „Hildebrandt-Hänger“ hemmte den Redefluss. Und die ganze Zeit über stand ein Musterexemplar des maroden ARD-Apparates neben Hildebrandt und musste der Demontage beiwohnen. Um ein Haar wäre bei mir Mitleid aufgekommen. Die Intendantin wollte ihm ans Bein pinkeln und hatte ihm damit eine Steilvorlage geliefert, die er mit der Leichtfüßigkeit eines Messi verwandelte.
Lehrmeister war Dieter Hildebrandt mir schon viele Jahre, aber an diesem Abend habe ich in ihm meinen Meister gefunden.
Eine Stunde zuvor hatte D.H. übrigens sein politisches Testament formuliert, während der Sendung: am Ende eines voluminösen Hängers, der Bruno Jonas als Duopartner an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte, sagte der Meister vergnügt: „Das war jetzt ein ziemlicher Hänger, aber ich glaube, ich habe im Wesentlichen herumgestochert.“ –
Es gibt nicht viele, die das mit Recht von sich sagen dürfen.
Georg Schramm
Lieber Dieter, ich hab’s dir ja schon so oft gesagt und wenn du es auch immer wieder geflissentlich überhört hast: Du bist in jeder Hinsicht ein Vorbild für mich. Damals wie heute. Ich habe dich neben deinen zum Glück allen bekannten beruflichen Qualitäten eben auch als Mensch immer bewundert. Deine Bescheidenheit, dein Mut, deine Ehrlichkeit, deine Loyalität – und jetzt machst du uns allen auch noch vor, wie geistig fit man gefälligst als Fünfundachtzigjähriger zu sein hat und wie hervorragend man auszusehen hat – findest du nicht, langsam wird´s zu viel? Mein Leben jedenfalls wäre ärmer ohne dich. Es ist so schön, dass es dich ungebrochen weiterhin gibt.
Dein Konstantin Wecker
Lieber Dieter, heute sind wir gleich alt, so empfinde ich das. Es gab mal eine Zeit, da warst Du doppelt so alt wie ich – ich etwa 15, Du etwa 30. Und ich saß mit meiner Mutter vorm Küchenradio und wir hörten Dich in der Münchner Lach- und Schiessgesellschaft, und meine Mutter sagte: „Der ist richtig. Was der sagt, stimmt immer. Und der lässt sich nie von denen da oben einschüchtern, das merk dir.“
Ich hab es mir gemerkt, und, Dieter: ich bin gut damit gefahren. Die da oben wehren sich, wenn man ihnen ans Bein pinkelt – na und? Du kannst jeden Morgen in den Spiegel gucken und wissen, dass Du es richtig gemacht hast. Und dank solcher Demokratielehrer wie Dir kann ich es auch. Du warst und bist wichtig für eine ganze Nachkriegsgeneration. Hab Dank, und mach bloß weiter. Die Dummheit grassiert ja noch immer.
Deine Elke Heidenreich
Lieber Dieter! Wenn ein Mensch ein Leben lang seinen Idealen treu bleibt, die Welt um ihn herum aber die ihren ständig ändert, kann man mit den gleichen Ansichten weltanschaulich ganz schön herumkommen. Die Adenauer-Generation hielt dich wahrscheinlich für eine linke Schmeißfliege. Die Achtundsechziger haben dir ziemlich sicher vorgeworfen, dass du ein bürgerlicher Systemerhalter bist. Und jetzt ist eine seltsame Epoche angebrochen, wo du dich – stets am gleichen Standpunkt stehend – wohl wieder weiter links wiederfindest.
Falls du trotzdem Kind einer bestimmten Zeit bist, muss es eine gewesen sein, die gegenüber fertigen Rezepten ein gesundes Misstrauen aufgebracht und Wert auf eine gewisse Redlichkeit gelegt hat.
Redlichkeit hält offenbar jung. Ein paar Achtundsechziger sehen jetzt jedenfalls ziemlich alt neben dir aus. Aber neben dir sieht fast jeder alt aus. Ich bin nie mit dir auf einer Bühne gestanden, aber ich möchte lieber nicht ausprobieren, wer dann jünger im Kopf und irgendwie hoffnungsvoller rüberkommen würde.
Das deutschsprachige Kabarett ist ja derzeit in einer Situation, die der Lage der katholischen Kirche nicht unähnlich ist. Beide Institutionen sind massiv davon bedroht, vor überaltertem Publikum in geistiger Bequemlichkeit zu versulzen.
Aber bei den 85- jährigen führen wir um Längen! So jemand haben die nicht. Jemand, der noch immer manchmal wie ein kleiner Junge auf der Bühne steht, mit blitzenden und erstaunten Augen, halb amüsiert, halb empört über die Dummheit und Gier der Welt.
Die hast du immer mit allen Mitteln bekämpft, die dir zur Verfügung standen. Und weil dich dieser Kampf noch immer brennend interessiert, bist du brennend interessant geblieben für so viele Menschen.
Das ist ein guter Wegweiser für uns, die wir dir hinterherstolpern. Ein paar Sachen wären noch zu schreiben, aber die heb ich mir für den Neunziger auf.
Vorerst einmal: Danke!
Josef Hader
Dieter Hildebrandt ist kein Künstler. Er ist nämlich nicht eingebildet, er ist nicht aufgeblasen, er ist keine Rampensau. Er mag seine Kolleginnen und Kollegen; zumal dann, wenn sie nicht eingebildet, nicht aufgeblasen, nicht rampensäuisch sind. An ihm ist nichts gekünstelt und nichts künstlich; er ist ein aufgeklärter, solidarischer, kameradschaftlicher Künstlermensch. Seine Kunst schraubt den Leuten das Brett vorm Kopf weg, ohne dass sie es richtig merken. Das ist subversiv. Dieter Hildebrandts Größe ist die subversive Bescheidenheit, mit der er seine Sätze stammelt, stottert und haspelt – bis sie sich zusammenziehen wie ein gut geworfenes Lasso. Dieter Hildebrandt ist ein liebenswürdiger, ein wunderbar überzeugungsstarker, ein echter sozialer Demokrat. Eine ganz tiefe Verbeugung zum 85. Geburtstag –
von Heribert Prantl
Einmal kam ich zu einem unserer Auftrittsorte. Eine etwa Achtzigjährige stand vor dem Fenster des Garderobentrakts. „Da ist der Dieter Hildebrandt drin“, sagte sie. „Ich weiß“, antwortete ich. „Der soll mal rauskommen“, sagte sie. „Wieso raus?“, fragte ich. „Ich warte hier schon zwei Stunden.“ „Aber was wollen Sie denn?“ „Ein Foto von ihm machen will ich“, erwiderte die Frau. „Weiß er das?“ „Man hat mir gesagt, er schläft.“ „Dann lassen wir ihn doch schlafen.“ „Nein, Sie können ihn jetzt ruhig mal aufwecken. Ich warte schon zwei Stunden.“ Ich versprach nachzusehen, fand Dieter hellwach und angezogen, sagte: „Da draußen ist eine…“.
„Herr Hildebrandt!“, rief die Alte, als sie seiner ansichtig wurde. „Ich verehre Sie schon seit meiner Jugend.“ Ich habe diesen Satz hundert Mal in Dieters Gegenwart sagen hören, habe ihn auch selbst ehemals gesagt. Immer quittiert er ihn freundlich, als hörte er ihn zum ersten Mal, und nie altert er unter diesem alt machenden Satz.
„Jetzt machen wir ein Foto, Herr Hildebrandt! Ich warte ja schon zwei Stunden.“ Dieter bedauerte, stellte sich auf, die Frau glühte. Im Augenblick aber, da der Auslöser gedrückt werden sollte, klingelte ihr Mobiltelefon. „Moment!“ schrie sie, nahm den Anruf an und krähte: „Du ahnst nicht, wo ich stehe!“
Und ich sah mir Dieter an, wie freundlich er wartete, lächelte, um sich blickte, ich dachte: Wie unermüdlich er wahrnimmt, was um ihn geschieht, wie er sein Verhältnis zu Bewunderern in einer Balance zwischen Zuwendung und Selbstbewahrung hält, wie er sich still müht, das Lebensgefühl aller um ihn zu steigern … wenn ich in seinen Lebenslauf blicke, der voller kühner Entscheidungen steckt, wenn ich seine moralischen Reflexe so intakt und sicher finde, wenn mir sein Gesicht nach all den Jahren immer noch so durchlässig erscheint, dann bin ich ruhig und glücklich in der Gewissheit: So kann man, so soll man sein.
„Sollen wir Ihnen einen Platz in der Vorstellung reservieren?“, fragte Dieter, als die Frau aufgelegt hatte. „Danke, aber da hab ich weiß Gott anderes zu tun“, erwiderte sie, „und mein Bus ist auch gleich weg.“
Roger Willemsen
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