von Peter Petras
Immer, wenn Situationen eine Zuspitzung erfahren, finden sich besorgte Bürgerinnen und Bürger, die Protestschreiben aufsetzen, an die tatsächlich oder vermeintlich Verantwortlichen appellieren und fordern, dass Abhilfe geschaffen wird. Das gehört zur praktischen Demokratie. Ob tatsächlich etwas passiert, hängt davon ab, in welche politische Konstellation der „Offene Brief“ oder Aufruf gerät. Wenn sich immer dieselben Menschen zu denselben Themen äußern, kurz: die „üblichen Verdächtigen“, nutzt sich das Instrument ab. Die Regierenden und die großen bürgerlichen Medien neigen in den meisten Fällen dazu, die Bekundungen totzuschweigen und sie auf diese Weise zu erledigen. Jüngst dagegen wurde gegen einige linke Bundestagsabgeordnete eine große Kampagne entfacht wegen einer Unterschrift gegen die kommenden Kriege gegen Syrien und den Iran. Man hätte das auch wieder stillschweigend unter den Tisch fallen lassen können. Dass man es nicht getan hat, muss also Gründe haben.
Zunächst zur Sache. Der Verein „Freundschaft mit Valjevo e.V. – Für Frieden, Freundschaft und Völkerverständigung“ wurde, wie auf seiner Webseite nachzulesen ist, am 16. Juli 1999 in Pfaffenhofen unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen Krieges der NATO gegen Jugoslawien gegründet. Durch die wochenlangen Bombardierungen serbischer Städte wurden auch in der Valjevo (einer Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern 90 Kilometer südwestlich von Belgrad) große Zerstörungen angerichtet. Die Menschen leiden noch heute unter den Folgen des Krieges. Ziel des Vereins ist es, beispielgebend eine feste freundschaftliche Beziehung zwischen den Bürgern Pfaffenhofens und Valjevos aufzubauen. In der Arbeit des Vereins verbinden sich Friedensarbeit und konsequentes Eintreten für Völkerverständigung mit konkreter humanitärer Hilfe für die Opfer von Krieg und militärischer Gewalt. Der Verein hat zehn große und etliche kleinere Hilfstransporte nach Valjevo organisiert, darunter solche zur Unterstützung des dortigen Krankenhauses und der Schulen. Nach dem Irak-Krieg des Westens hat der Verein die Behandlung eines verwundeten Kindes im Krankenhaus Ingolstadt ermöglicht.
Es handelt sich bei diesem Verein augenscheinlich um einen tatsächlichen Träger humanitärer Friedensarbeit, nicht um eine Verbindung politischer Scharfmacher. Nun hat der Vorsitzende des Vereins, Bernd Duschner, einen dringenden Appell gegen die kommenden Kriege gegen Syrien und Iran veröffentlicht. Die Überschrift lautet: „Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens!“ In dem vergleichsweise kurzen Text des Aufrufes wird zunächst festgestellt, das Ergebnis des Libyen-Krieges der USA und der NATO seien zehntausende Tote und eine traumatisierte Bevölkerung, eine weitgehend zerstörte Infrastruktur und ein zerfallender Staat. Dann wird darauf verwiesen, dass ständige Kriegsdrohungen, der Aufmarsch militärischer Kräfte, Embargos und der Einsatz von Spezialkräften des Westens in Syrien und Iran darauf zielten, eine Bürgerkriegssituation zu schaffen, die zum Vorwand für die längst geplante militärische Intervention gemacht werden soll. Es heißt dann: „Wir fordern alle Bürger, die Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, die Friedensbewegung auf, dieser Kriegspolitik konsequent entgegenzutreten.“ Von der Bundesregierung wird gefordert, die Embargomaßnahmen gegen die beiden Staaten bedingungslos und sofort aufzuheben, klarzustellen, dass sich Deutschland an dem vorbereiteten Krieg nicht beteiligen wird und sich auf internationaler Ebene für die Beendigung der Politik der Erpressung und Kriegsdrohung einzusetzen.
Am Ende des Aufrufes wird schließlich gefordert: „Das iranische und syrische Volk haben das Recht, über die Gestaltung ihrer politischen und gesellschaftlichen Ordnung allein und souverän zu entscheiden.“ Da steht nicht: „Solidarität mit Assad“ oder wem auch immer. Der Appell wurde inzwischen von über 2.000 Menschen unterzeichnet, darunter sechs Bundestagsabgeordneten der Linkspartei.
Dann hob das große Geschrei an. Der „Menschenrechtsbeauftragte“ des Auswärtigen Amtes, Markus Löning (FDP), meinte feststellen zu müssen, die Mitglieder der Linksfraktion hätten „sich an die Seite des Mörders Assad gestellt. Letztlich sagen sie: Es ist richtig, dass Assad seine Menschen umbringt“. Hier ist „letztlich“ eine euphemistische Umschreibung eines „eigentlich nicht“, aber: „ich (Löning) behaupte mal eben“. Aber ist nicht das „Recht auf Leben“ auch ein elementares Menschenrecht und müsste der Menschenrechtsbeauftragte dann nicht auf der Seite derer stehen, die für den Frieden sind? Der Aufruf und sein Wortlaut geben Lönings Interpretation genau nicht her. Damit aber war die infame Unterstellung in die Welt gesetzt. Der Kommentator Christian Bommarius führte am 14. Januar in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau noch eine weitere Drehung an der Interpretation durch: Die linken Bundestagsabgeordneten „verbrüdern sich öffentlich mit dem Massenmörder Assad“, und dies sei „eine Fortsetzung ihres antisemitischen Treibens“. Dieser Bommarius stellt dann den Appell in eine abstruse Linie vom 17. Juni 1953 in Ostberlin über den „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking 1989 bis zu angeblichen Freundschaften mit der Hamas; nebenbei werden noch ein paar frühere DDR-Botschafter denunziert. Die zentrale Argumentation ist, „die Kommunisten in der Linkspartei“ hätten – „damals wie heute“, was suggerieren soll, wer heute einen solchen Appell unterzeichnet, steht in der Tradition jener „Kommunisten“, die für die Toten des 17. Juni 1953 und des „Himmlischen Friedens“ 1989 verantwortlich sind – den Westen „zum Urheber der Massenmorde erklärt“, die in Syrien stattfinden.
Der Text des Appells gibt auch diese Interpretation nicht her. Das Problem ist, dass Bommarius nicht verstanden hat (oder: nicht verstehen will), dass Krieg nicht die Lösung der Probleme in Syrien sein kann, weil er noch mehr Tote verursacht, als der bisherige Bürgerkrieg. Bei Gaddafi in Libyen war die Rede davon, dass er für 1.000 Tote im Februar verantwortlich gewesen sei: Der Krieg hatte selbst nach Angaben der jetzigen Regierung mindestens 40.000 Tote zur Folge. Assad sei jetzt für 5.000 Tote verantwortlich, heißt es. Wie viele Tote soll der syrische Krieg dann bringen? 200.000? Das wäre die libysche Relation. Oder werden es mehr sein? Der Appell ist gegen den Krieg gerichtet und fordert, die Probleme auf nicht-kriegerischem Wege zu lösen.
In der Kampagne, die nun eine gegen die linken Bundestagsabgeordneten, nicht gegen die Autoren des Appells wurde, waren dann die üblichen Stimmen zu vernehmen. Die Süddeutsche Zeitung titelte am 12. Januar: „An der Seite des Mörders Assad“. Focus Online vermeldete am selben Tag „Empörung über Syrien-Erklärung von Linksabgeordneten“ und der unvermeidliche „BAK Shalom“ hatte den Unterzeichnern bereits am 8. Januar vorgehalten: „Gegen linke Solidarität mit den Schlächtern von Syrien und Iran!“ In diesem Sinne konnte dann Welt Online am 14. Januar mitteilen: „Ein Syrien-Aufruf von Politikern der Linken erregt inzwischen auch innerhalb der Partei die Gemüter“. Hier wäre mit „Radio Jerewan“ anzumerken: Erstens war es kein Aufruf von Politikern der Linken, sondern der Friedensbewegung; zweitens war es kein Syrien-Aufruf, sondern einer der „Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens“ fordert; drittens ist ein Aufruf zur Solidarität mit den Völkern keiner für die Regierenden.
Aber diese Feinheiten schienen am Ende nicht mehr zu interessieren. Die Fraktionen der Christdemokraten und der FDP erwirkten am 19. Januar eine Aktuelle Stunde im Bundestag, um auch diese Gelegenheit zu nutzen, die Linke wieder einmal übler Umtriebe zu verdächtigen. Aber wahrscheinlich ist es viel ernster. Es geht nicht nur gegen die Linke. Es geht gegen die Friedensbewegung, gegen die Idee, dass Frieden eine Alternative zur derzeitigen imperialistischen Politik des Westens ist. Wahrscheinlich wissen die Regierenden besser als wir, wie nahe der nächste Krieg bereits ist. Nur soll den Kritikern vorher das Maul gestopft werden.
Schlagwörter: Bundestag, Freundschaft mit Valjevo, Friedensbewegung, Krieg, Linke, Menschenrechte, Peter Petras